Corona-Warn-App: Regierung schwenkt auf dezentrale Lösung um

Berlin – Nach massiven Protesten von Datenschützern und IT-Sicherheitsexperten hat die Bundesregierung in der Diskussion um die geplante Corona-Warn-App eingelenkt und ist auf eine dezentrale Speicherung der Nutzerdaten umgestiegen. Das haben Kanzleramtschef Helge Braun und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) gestern in einer gemeinsamen Erklärung bestätigt.
Diese Lösung ist nach Einschätzung von Experten besser für den Datenschutz als ein zentraler Datenabgleich. Darüber hinaus lassen sich die Apps dadurch künftig mit den Smartphonesystemen von Apple und Google verknüpfen. Die beiden Unternehmen hatten angekündigt, an entsprechenden Schnittstellen für ihre Smartphone-Betriebssysteme zu arbeiten.
Die Apps sollen dazu beitragen, Ansteckungen besser nachzuverfolgen, wenn Ausgehbeschränkungen gelockert werden. Sie sollen erfassen, welche Smartphones einander nahegekommen sind, und Nutzer warnen, wenn sich später herausstellt, dass sie sich neben infizierten Personen aufgehalten hatten.
„Unser Ziel ist es, dass angesichts der bereits erfolgten Öffnungen nach den umfangreichen Kontaktbeschränkungen sehr bald die Tracing-App einsatzbereit ist und in der Bevölkerung sowie der Zivilgesellschaft eine breite Akzeptanz findet. Die Nutzung der App durch möglichst große Teile der Bevölkerung ist die Grundlage ihres Erfolges“, heißt es in der Erklärung.
„Um dieses Ziel zu erreichen, setzt die Bundesregierung auf eine dezentrale Softwarearchitektur, die die in Kürze zur Verfügung stehenden Programmierschnittstellen der wesentlichen Anbieter von mobilen Betriebssystemen nutzt und gleichzeitig die epidemiologische Qualitätssicherung bestmöglich integriert. Das bedeutet konkret, dass wir den Einsatz einer konsequent dezentralen Softwarearchitektur für die Anwendung in Deutschland vorantreiben werden.“
Option, freiwillig Daten für die Forschung zu übermitteln
Das Konzept sieht zusätzlich vor, dass Nutzer der App freiwillig in pseudonymisierter Form Daten zur epidemiologischen Forschung und Qualitätssicherung an das Robert-Koch-Institut (RKI) übermitteln können.
Diese Möglichkeit ist aus Sicht der Bundesregierung wichtig, um „eine ausreichende Datenlage zu generieren, mit der Aussagen zum Infektionsgeschehen möglich sind und die epidemiologische Relevanz von Kontakten bewerten zu können, um perspektivisch möglichst zielgenaue Quarantäne auszulösen“. Auch sei durch die Einbindung von Testlaboren eine möglichst frühzeitige Warnung an kritische Kontakte von positiv getesteten Patienten möglich.
Laut Gesundheitsminister Spahn kann die Entwicklung der Corona-Tracing-App allerdings noch mehrere Wochen dauern. Man wolle den neu eingeschlagenen Weg nun „so schnell als möglich, aber auch so sicher als möglich gehen“, sagte er im Interview mit den ARD-Tagesthemen. Auch sein Sprecher konnte am Montag in der Pressekonferenz der Regierung keine genaueren Angaben machen.
Die Bundesregierung hatte sich ursprünglich für ein zentrales Modell entschieden. Spahn erklärte die Änderung damit, dass die dezentrale Variante besser angenommen werde. Der über die App geführte Streit habe die Gefahr in sich getragen, „dass darüber Akzeptanz verloren geht, und deswegen haben wir uns jetzt für diese dezentrale Lösung entschieden“.
Auf den Hinweis, dass eine App ursprünglich schon Mitte April in Betrieb gehen sollte, sagte Spahn, er habe „immer darauf hingewiesen, mit den Erfahrungen aus anderen Digitalprojekten, dass es meistens ein, zwei, drei Wochen länger dauert als manch einer öffentlich sagt, weil Datensicherheit und Datenschutz so wichtig sind“. Die App solle nicht gehackt werden können, und es müsse klare Regeln geben, wer worauf Zugriff habe. Man könne auf den Entwicklungen in den letzten Wochen aufsetzen und dieses weiterentwickeln.
Technologie von Apple und Google im Hintergrund
Das Konzept von Apple und Google sieht vor, dass die Entfernung zwischen den Nutzern anhand der Bluetooth-Signalstärke gemessen wird. Mit dem Bluetooth-Funk verbundene Zusatzdaten wie etwa die Signalstärke sollen dabei verschlüsselt werden, sodass einzelne Gerätemodelle nicht an solchen Merkmalen identifiziert werden können.
Die Smartphones sollen zudem per Bluetooth zufällig generierte Krypto-Schlüssel austauschen, die sich alle 10 bis 20 Minuten ändern. Damit soll man Begegnungen nachvollziehen können, ohne dass ein Einzelner nachverfolgbar wäre. Die maximale gemessene Begegnungszeit wird auf 30 Minuten beschränkt und in 5-Minuten-Schritten ermittelt.
Der Abgleich, ob man sich in der Nähe eines infizierten Nutzers aufgehalten hat, soll dabei ausschließlich auf den Smartphones stattfinden. Die App-Nutzer laden sich dafür mindestens einmal am Tag Listen von Krypto-Schlüsseln infizierter Personen herunter. Dabei bleibt deren Identität für Apple, Google und die anderen Teilnehmer unbekannt.
Die Behörden können Grenzwerte für Signalstärke und die Zeit, die Geräte nebeneinander verbringen, festlegen. Das heißt: Google und Apple liefern die technischen Werkzeuge, aber die Gesundheitsbehörden entscheiden, wann sie von einer Ansteckungsgefahr ausgehen.
Google als Hersteller des Smartphone-Betriebssystems Android und Apple als Hersteller der iOS-Software der iPhones haben angekündigt, die erforderlichen Schnittstellen direkt in die jeweiligen Betriebssysteme einzubauen.
Gleichzeitig kann es schwierig sein, andere Konzepte ohne die Kooperation der Konzerne umzusetzen. So forderte Frankreich von Apple, aus Datenschutzgründen eingeführte Einschränkungen für den Bluetooth-Betrieb im Hintergrund auszuhebeln, damit die von der Regierung bevorzugte Corona-App funktioniert.
Apple will die Schnittstellen im Mai zunächst für iPhones mit der System-Version iOS 13 verfügbar machen, bei Google gilt das für Android 6.
Viel Beifall aus der Politik
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach begrüßte den Kursschwenk der Bundesregierung bei der Corona-Warn-App hin zu einer dezentralen Speicherung. Die Entscheidung sei mittlerweile unvermeidbar gewesen, weil sonst die Diskussion um den Datenschutz die Akzeptanz zerstört hätte, noch bevor sie fertig gewesen wäre, sagte er der Passauer Neue Presse.
Ähnlich die Oppositionsparteien: Auch die Grünen lobten die Regierungsentscheidung. Fraktionsvize Konstantin von Notz sprach von einem „Einlenken in der letzten Kurve“. Die Linke-Netzexpertin Anke Domscheit-Berg sagte, sie sei positiv überrascht. Der Umgang von Spahn mit dem Thema sei „gerade sehr vorbildlich“.
FDP-Fraktionsvize Frank Sitta mahnte: „Das Bundesgesundheitsministerium ist nun dringendst aufgefordert, zeitnah das weitere Vorgehen und bestehende Risiken vollumfänglich transparent offenzulegen.“
Die Regierung habe „genau die richtige Entscheidung“ getroffen, meinte auch Linus Neumann, Sprecher des Chaos Computer Clubs. Nutzer könnten freiwillig bestimmen, ob sie mehr Daten zur Verfügung stellen. So gehe man „mit mündigen Bürgern um“.
Der Bonner Infektiologe Peter Walger warnte unterdessen vor übertriebenen Hoffnungen. „Ich erwarte von der App keine wirkliche Hilfestellung beim Versuch, in die Normalität zurückzukehren“, sagte der Vorstandssprecher der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene der Neuen Osnabrücker Zeitung. Die App sage nichts darüber aus, ob ein tatsächliches Infektionsrisiko bestehe, sondern definiere nur die Nähe einer Person zu einer potenziell ansteckenden Person.
Tracing-App in Australien sehr erfolgreich
In Australien haben indessen direkt am ersten Tag fast zwei Millionen Menschen die neue Bluetooth-basierte App „COVIDSafe“ zur Kontaktnachverfolgung von Infizierten mit SARS-CoV-2 heruntergeladen. Laut Gesundheitsminister Greg Hunt werde das Angebot „außergewöhnlich gut“ angenommen. In weniger als 24 Stunden hätten 1,9 Millionen Menschen die App installiert. Die australische Gesundheitsbehörde hofft darauf, dass gut die Hälfte der 25 Millionen Einwohner die App nutzen werden.
Die seit gestern Abend verfügbare App macht über Bluetooth Nutzer ausfindig, die sich 15 Minuten oder länger in einem Abstand von bis zu 1,5 Metern zu einem Infizierten aufgehalten haben. Diese Daten können dann von den Behörden abgerufen werden, um die Kontaktpersonen schneller zu kontaktieren als bisher.
Die Verwendung der App ist freiwillig. Nutzer können ein Pseudonym nutzen, die Polizei hat keinen Zugriff auf die Daten. Zudem werden alle Informationen automatisch nach 21 Tagen gelöscht.
Der Vizechef der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), hat heute steuerliche Anreize für den Gebrauch der geplanten Corona-Warn-App vorgeschlagen. Der gesundheitliche und wirtschaftliche Nutzen einer solchen App zur Nachverfolgung von Infektionsketten sei „so hoch, dass man über eine Steuergutschrift einen zusätzlichen Anreiz setzen kann“, sagte Frei der Stuttgarter Zeitung und den Stuttgarter Nachrichten.
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