Coronakrise: Erstes Schutzmaterial erreicht die Ärzte

Stuttgart/Düsseldorf/Frankfurt am Main/Schwerin – Nach und nach erreicht die dringend benötigte medizinische Schutzausrüstung die Krankenhäuser und Arztpraxen. So erklärte der Baden-Württembergische Gesundheitsminister Manne Lucha (Die Grünen) heute, es seien hunderttausende Schutzmasken und Handschuhe in seinem Bundesland eingetroffen. Weitere, noch umfangreichere Lieferungen würden in den kommenden Tagen und Wochen erwartet.
Die jeweils mehr als 300.000 Schutzmasken und Handschuhe würden in einer Spedition zusammengeführt und an Stadt- und Landkreise, Universitätskliniken sowie das Innen- und Justizministerium verteilt. Eine Lieferung des Bundes mit Schutzausrüstung wurde nach Angaben des Ministeriums bereits über die Kassenärztlichen Vereinigung (KV) an niedergelassene Ärzte im Land ausgegeben.
Kritik an Kommunikationspolitik
Der Ärztliche Direktor des Heidelberger St. Josefs-Krankenhauses, Erhard Siegel, kritisierte die Landesregierung hingegen wegen ihrer Kommunikationspolitik in der Coronakrise. „Die kommunizieren nicht mit uns“, sagte er der Rhein-Neckar-Zeitung. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Die Grünen) und Gesundheitsminister Lucha seien nicht zu erreichen. Der Klinik fehlen nach Angaben von Geschäftsführer Manfred Albrecht von nächster Woche an einzelne Produkte.
In Düsseldorf hat heute der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) verkündet, es sei gelungen, rund 800.000 Masken zu bekommen. „Wir sind voll am Ball, um das zu besorgen, was zu besorgen ist auf diesen Märkten“, sagte Laumann. Außerdem gehe es um Schutzkittel und OP-Masken. Allerdings wirkten sich auch die zunehmenden Infektionen in Nordamerika auf die Beschaffungssituation aus. „Die Märkte sind leergefegt“, so Laumann.
Engpass vor allem bei Atemschutzmasken und Schutzkitteln
Seit Anfang März ist das Bundesgesundheitsministerium (BMG) bemüht, medizinische Schutzausrüstung zentral zu beschaffen und an die Bundesländer zu verteilen. Doch nach wie vor sind die Versorgungslücken groß. So seien in Hessen noch keine zentral beschafften Lieferungen eingetroffen, sagte gestern Vormittag der Geschäftsführende Direktor der Hessischen Krankenhausgesellschaft, Steffen Gramminger, dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ).
Zum Prozedere erklärte er: „Der Bund leitet die Schutzausrüstung an die Länder weiter. Die Anzahl richtet sich nach der Einwohnerzahl des entsprechenden Bundeslandes. Das Land verteilt dann weiter an die Krankenhäuser.“ Zu dem Verteilungsschlüssel habe sich das Ministerium in Hessen jedoch noch nicht geäußert.
Ein Engpass bestehe derzeit vor allem bei Atemschutzmasken und Schutzkitteln. Kurzfristig sei der Engpass sehr groß. Mittelfristig hofft Gramminger, dass die versprochenen Lieferungen kontinuierlich eintreffen werden. Langfristig hofft er auf eine Entspannung. Denn „China produziert auf Volllast und Lieferungen erfolgen regelmäßig“.
Dass in einzelnen Krankenhäusern keine Schutzausrüstung mehr zur Verfügung steht, dürfe nicht passieren, betonte Gramminger. Sollte es doch geschehen, „müssen alle Reserven von Schutzausrüstung an die Orte zusammengezogen werden, wo sie am meisten gebraucht werden“.
KV Nordrhein versorgt zunächst Praxen in betroffenen Gebieten
Die KV Nordrhein (KVNO) hat am Dienstag begonnen, Schutzmaterial an primärversorgende Ärzte aus Köln, Leverkusen und dem Rhein-Erft-Kreis zu verteilen, wie die KV dem DÄ erklärte. Erste Teillieferungen des BMG seien am Wochenende eingetroffen. Die einheitlich bestückten Pakete bestehen aus FFP2-Masken, Schutzkitteln, Schutzhauben und Mundschutzteilen.
„Die Ausstattungspakete werden an von der KVNO ausgewählte regionale Ausgabestellen in Nordrhein verteilt. Die Reihenfolge bestimmt der KVNO-Krisenstab nach einheitlichen Kriterien, die insbesondere die Betroffenheit der Regionen hinsichtlich der örtlichen Zahl der mit dem Coronavirus Infizierten und daran Erkrankten berücksichtigen“, so die KV.
„Die Materialien werden an berechtigte Ärztinnen und Ärzte ausgegeben. Über die konkrete Ausgabezeit und den Ausgabeort informiert die KVNO die jeweiligen Empfänger rechtzeitig vorab via Fax oder E-Mail.“
KV Nordrhein beschafft selbst Schutzmaterial
Die KVNO weist darauf, dass sie „bereits Anfang März unter erheblichem Aufwand und aus eigenen Mitteln über eigene Kontakte und Zulieferer begrenzte Bestände an Schutzmaterial aufbauen“ konnte, um damit die 77 ambulante Notdienstpraxen im Rheinland sowie die Praxen in besonders betroffenen Regionen wie dem Kreis Heinsberg und der Städteregion Aachen ausstatten zu können.
„Ungeachtet der weiteren angekündigten Lieferungen des BMG stehen wir diesbezüglich nach wie vor ständig mit Großhändlern und Unternehmen in Kontakt, um weiteres Schutzmaterial für die Praxen im Rheinland zu organisieren“, erklärt die KV.
Grundsätzlich gehöre die Bereitstellung von Schutzausrüstungen zwar nicht zu den originären Aufgaben einer KV: „Wir gehen hier aber bewusst in Vorleistung, um die ambulante Versorgung der Patienten zu sichern und das Personal in den Praxen vor Infektionen zu schützen.“
Derzeit seien 35 Praxen in Nordrhein temporär „nicht am Netz“, wie die KV erklärte – hauptsächlich allerdings aufgrund amtsseitig angeordneter Quarantänemaßnahmen. Dabei ändere sich die Zahl quarantänebedingt geschlossener Praxen in Nordrhein täglich, weil Praxen entweder mancherorts schließen müssten, andere Praxen dagegen wieder grünes Licht für eine Öffnung erhielten.
Versorgungslücken vor allem in der Pflege, Mangel in Apotheken
Ein Mangel an Schutzausrüstung existiert insbesondere in Pflegeeinrichtungen, wie heute auch das Sozialministerium in Mecklenburg-Vorpommern erklärte. „Das ist eine Schwachstelle“, sagte Ministeriumssprecher Alexander Kujat. Bei der Verteilung der vom Bund beschafften Schutzausrüstungen hätten die Kliniken Vorrang. „Bis jetzt ging noch alles, doch jetzt bekommen wir die Meldung, dass die Vorräte zur Neige gehen“, so Kujat.
Auch in den Apotheken in Deutschland sei die Ausrüstung mit Schutzkleidung und Atemmasken unbefriedigend. Darauf hat der Präsident der ABDA, Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Friedemann Schmidt, hingewiesen. Zwar akzeptierten es die Apotheker, dass bei der ersten Verteilungswelle der zentral durch den Bund beschafften Schutzausrüstung Ärzte und Pflegekräfte Vorrang hätten. „In weiteren Beschaffungswellen müssen wir aber unbedingt berücksichtigt werden“, forderte Schmidt.
Seit Beginn der Corona-Pandemie verzeichneten die Apotheken eine deutliche Zunahme an Kundenkontakten. Bis vor kurzem hätten Apothekenkunden regelrechte Hamsterkäufe getätigt. Hier habe sich die Situation inzwischen entspannt, meinte Schmidt.
Doch Deutschland stehe erst am Anfang der Pandemie. Die Zahl der Coronainfizierten werde steigen und damit werde es auch für die Apotheken immer wichtiger, das eigene Personal angemessen schützen zu können. In diesem Zusammenhang begrüßte es der ABDA-Präsident, dass das Robert-Koch-Institut die Quarantänevorschriften für mit Corona infiziertes medizinisches Personal in den Fällen gelockert habe, in denen ansonsten die Versorgung von Patienten gefährdet werde.
Um die Zahl der Apothekenbesuche und damit Ansteckungsrisiken zu verringern, forderte Schmidt, die Vorschriften bei der Abgabe von Rabattarzneimitteln und die Einhaltung von Importquoten zu lockern. Einzelne Krankenkassen hätten bereits zugestimmt, dass Apotheker anstelle eines Rabattarzneimittels ein wirkstoffgleiches Präparat abgeben könnten. Solche Erleichterungen beim Austausch von Arzneimitteln müssten aber flächendeckend eingeführt werden, forderte Schmidt.
Verbesserungen erwartet der ABDA-Präsident auch bei der Vergütung des Botendienstes der Apotheken. Um multimorbide, ältere Patienten – die klassische Klientel der Apotheken – vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus zu schützen, werde man den Botendienst ausbauen müssen. Dazu müssten diese Dienste aber künftig auch angemessen bezahlt werden. Zurzeit bedeute jeder Botendienst für den Apothekeninhaber ein Defizit, sagte Schmidt.
Eine Lösung zeichnet sich dem ABDA-Präsidenten zufolge beim Mangel an Desinfektionsmittel ab. Um die Lücken bei industriell hergestelltem Desinfektionsmittel zu füllen, ist es den Apotheken seit Anfang März erlaubt, diese selbst herzustellen. Inzwischen sei der Bezug der Ausgangsstoffe, insbesondere von Ethanol, gesichert, erklärte Schmidt. Bestehende Probleme lägen an der Logistik. „Wir brauchen Gebindegrößen, die die Apotheken auch verarbeiten können“, sagte Schmidt. „Hier sind wir aber bald lieferfähig.“
Spendenaufrufe
Wirtschaftsverbände und Berliner Senat haben Unternehmen dazu aufgerufen, Schutzausrüstung für Krankenhäuser, Arztpraxen, Polizei und Feuerwehr zu spenden. Dazu gehören Einmalhandschuhe, Desinfektionsmittel und Atemschutzmasken.
Mit Unterstützung der Polizei wurde für Spendenangebote die Hotline 030/4664 616161 eingerichtet, wie die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg mitteilten. Sie ist werktags von 8 bis 16 Uhr zu erreichen. Für die Abgabe der Spende stehen nach telefonischer Absprache ab Montag zwei Lager zur Verfügung. Größere Bestände werden auch abgeholt.
Die Aktion läuft vorerst bis 3. April. Für die Verteilung der Spenden ist die Senatsverwaltung für Gesundheit zuständig. Schutzbekleidung ist derzeit selbst im medizinischen Bereich Mangelware, weil es Probleme bei der Beschaffung neuer Materialen gibt.
Auch der Hausärzteverband Westfalen-Lippe bittet Unternehmen, die derzeit wegen der Coronakrise geschlossen sind, vorhandene Schutzmasken zu spenden. „Wenn Sie Schutzmasken vorrätig haben, die Sie erübrigen können, stellen Sie uns diese bitte zur Verfügung.“
Der Hausärzteverband verteile sie dann an die Hausarztpraxen und regionalen Behandlungszentren vor Ort weiter, erklärt der Verband in Unna. Der Aufruf gehe etwa an Nagelstudios, Tattoo-Studios, Lackierer oder Schreiner. Ein Team des Verbandes holt demnach die Spenden ab und organisiert die Weitergabe.
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