Politik

Coronakrise: EU-Gipfel über Finanzpaket einig

  • Dienstag, 21. Juli 2020
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU,links) spricht mit Pedro Sánchez (Mitte,hinten), Ministerpräsident von Spanien, und Emmanuel Macron (3. von rechts), Präsident von Frankreich, vor einem Treffen am runden Tisch im Rahmen des EU-Gipfels. /picture alliance, AP Pool, Francisco Seco
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU,links) spricht mit Pedro Sánchez (Mitte,hinten), Ministerpräsident von Spanien, und Emmanuel Macron (3. von rechts), Präsident von Frankreich, vor einem Treffen am runden Tisch im Rahmen des EU-Gipfels. /picture alliance, AP Pool, Francisco Seco

Brüssel – Im Kampf gegen die Wirtschaftskrise infolge der Coronapandemie haben sich die EU-Staaten auf das größte Haushalts- und Finanzpaket ihrer Geschichte geeinigt: Es hat einen Umfang von 1,8 Billionen Euro. Der Kompromiss wurde nach mehr als viertägi­gen Verhandlungen heute am frühen Morgen bei einem Sondergipfel in Brüssel von den 27 Mitgliedsstaaten angenommen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich erleichtert. „Das war nicht einfach“, sagte die CDU-Politikerin. Für sie zähle aber, „dass wir uns am Schluss zusammengerauft haben“. Der Haushalt sei auf die Zukunft Europas ausgerichtet. Von einem „historischen Tag für Europa“, schrieb der französische Präsident Emmanuel Macron auf Twitter.

Das Paket umfasst 1.074 Milliarden Euro für den nächsten siebenjährigen Haushaltsrah­men bis 2027 und 750 Milliarden Euro für ein Konjunktur- und Investitionsprogramm. Da­mit will sich die Europäische Union gegen den beispiellosen Wirtschaftseinbruch stemmen und den EU-Binnenmarkt zusammenhalten.

Gleichzeitig soll in eine digitalere und klimafreundlichere Wirtschaft investiert werden. Dafür werden erstmals im großen Stil im Namen der EU Schulden aufgenommen, das Geld umverteilt und gemeinsam über Jahrzehnte getilgt.

Auch EU-Ratschef Charles Michel und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen feier­ten den Beschluss als historisch. „Wir haben es geschafft“, sagte Michel. Das sei der richti­ge Deal für Europa jetzt. „Wir sind uns bewusst, dass dies ein historischer Moment in Eu­ropa ist“, ergänzte von der Leyen.

Stundenlange Verhandlungen

Sie erinnerte daran, dass die fast 100 Stunden Verhandlungen während der vier Tage und Nächte des Gipfels mehrfach am Rand des Scheiterns standen. „Das ist schon eine Achter­bahn der Gefühle“, sagte von der Leyen. Der Moment des Erfolgs sei jedoch atemberau­bend. „Das ist etwas, was wir beide nie vergessen werden“, sagte sie zu Michel.

Erst gestern waren zwei der umstrittensten Einzelpunkte gelöst und damit der Weg zum Gesamtdeal freigemacht worden. Zum einen fand man endlich einen Kompromiss zum Kern des Coronaprogramms. Die sogenannten sparsamen Staaten akzeptierten, dass ge­meinsame Schulden aufgenommen werden und das Geld als Zuschuss an EU-Staaten geht.

Im Gegenzug willigten Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien ein, die Summe dieser Zuschüsse aus dem Coronaprogramm von 500 Milliarden Euro auf 390 Milliarden zu verringern. Dazu kommen 360 Milliarden Euro, die als Kredit vergeben werden.

Der zweite Knackpunkt wurde dann gestern Abend geklärt: Man fand eine Formel zur Koppelung von EU-Geldern an die Rechtsstaatlichkeit, die alle 27 Staaten annahmen. Zu­vor hatten sich Polen und Ungarn strikt gegen einen solchen Rechtsstaatsmechanismus gewehrt, zumal gegen beide Staaten Verfahren wegen Verletzung von EU-Grundwerten laufen. Etliche EU-Staaten beharrten jedoch auf dem Mechanismus. Die Kompromissfor­mel wurde von mehreren Staaten erarbeitet und in der Runde der 27 gebilligt.

Während EU-Vertreter sie als wirksame Koppelung bezeichneten, zitierte die polnische Nachrichtenagentur PAP polnische Regierungsquellen mit der Einschätzung, die Koppe­lung sei gestrichen worden. Ungarische Medien feierten die Einigung als Sieg für Minis­terpräsident Viktor Orban.

Von der Leyen und Michel bestritten, eine starke Lösung sei zugunsten des Kompromisses geopfert worden. Mit qualifizierter Mehrheit der EU-Staaten könnten bei Verstößen Maß­nahmen ergriffen werden, sagte von der Leyen. Zufrieden äußerte sich auch der nieder­län­dische Ministerpräsident Mark Rutte, der die Rechtsstaatsklausel zur Bedingung für eine Zustimmung gemacht hatte. „Damit können die Auszahlungen gestoppt werden.“ Er ergänzte aber: „Mein Ziel ist nicht, die Notbremse zu ziehen.“

Von der Leyen selbst äußerte auch Kritik an einigen Kompromissen. So seien der Haus­halts­rahmen und das Corona-Hilfsprogramm – der offizielle Name ist Next Generation EU – stark verändert worden. Einschnitte habe es bei Finanzen für Gesundheit, Migration und Investitionen in Drittstaaten gegeben. „Das ist bedauerlich“, sagte von der Leyen.

Die „Sparsamen Vier“ – die Niederlande, Österreich, Dänemark, Schweden – erreichten etliche teure Zugeständnisse. Sie sollen deutlich höhere Nachlässe auf ihre Einzahlungen in den EU-Haushalt bekommen als ursprünglich vorgesehen. So wurde etwa die jährliche Rabattsumme für Österreich von 237 Millionen Euro auf 565 Millionen Euro angehoben, was einer Steigerung um 138 Prozent entspricht.

Nun muss noch das EU-Parlament zustimmen. Von der Leyen kündigte Verhandlungen ab nächster Woche an. Kanzlerin Merkel sagte „sehr schwierige Diskussionen“ mit dem Euro­paparlament voraus. Dass sie Recht haben soll, deutet sich bereits an.

Kritische Töne aus dem Parlament

Der CDU-Abgeordnete Peter Liese erklärte heute, das Ergebnis sei ein „sehr wichtiger Schritt für Europa“. Der Arzt und Europaabgeordnete, der auch Sprecher der größten Frak­tion im Europäischen Parlament (EVP-Christdemokraten) für Umwelt und Gesundheit ist, betonte aber zugleich, dass das Parlament neben Verbesserungen beim sehr schwachen Rechtsstaatsmechanismus vor allem in drei Bereichen Änderungen durchsetzen wolle.

Das Parlament habe schon vor der Coronakrise verlangt den Forschungsetat der EU auf 120 Milliarden Euro zu erhöhen. Nach dem Beschluss der letzten Nacht, liege man „dra­matisch darunter“. Auch habe die Europäische Kommission vorgeschlagen, ein eige­nes Gesundheitsprogramm zu beschließen, das mit etwa 9,4 Milliarden Euro ausgestattet sein sollte. Dieses sei auf 1,7 Milliarden Euro drastisch zusammen gestrichen worden.

Darüber hinaus müsse das Europäische Parlament beim Wiederaufbauplan eine sehr viel stärkere Rolle spielen. „Die Mitwirkung des Parlamentes ist nicht ausreichend. Wir müss­en stärker in die Verwendung der Mittel eingebunden werden und die Verbindung der In­vestitionen mit dem Klimaschutz muss verstärkt werden“, so Liese.

Er zeigte ebenso kein Verständnis dafür, dass die Forderung, sowohl der Europäischen Kommission als auch der deutsch-französischen Initiative, nämlich dass alle Länder die von dem Programm profitieren, bis 2050 klimaneutral sein müssen, am Widerstands Polens gescheitert sei. „Auch hier wird das Parlament nachbessern“, verspricht Liese.

Es sei unvermeidlich, dass die Europäische Union jetzt sehr viele Schulden aufnehme. Man sei es aber der jungen Generation schuldig, dass man dann zumindest die richtigen Weichen stelle, damit der nächsten Generation nicht neben einem Schuldberg, auch noch eine zerstörte Umwelt hinterlassen werde.

dpa

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