COVID-19: Antikörper-Cocktails vor der klinischen Erprobung

La Jolla/Kalifornien, Amsterdam/Niederlande, Lebanon/New Hampshire und Tarrytown/New York – Monoklonale Antikörper, die sich in beliebiger Menge herstellen lassen, könnten für Patienten mit COVID-19 effektiver sein als eine Serumtherapie, die auf die Antikörper aus dem Blut von rekonvaleszenten Patienten angewiesen ist.
In Science stellen mehrere Forschergruppen verschiedene Antikörper vor. Ein „Cocktail“ aus zwei Antikörpern soll jetzt in klinischen Studien erprobt werden.
Antikörper sind die wichtigste Waffe des Immunsystems gegen Virusinfektionen. Auch eine Infektion mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 wird in der Regel durch Antikörper beendet – wenn der Patient nicht vorher an den Folgen von COVID-19 stirbt. Die Immunabwehr benötigt in der Regel 1 bis 2 Wochen, bis die Antikörper-Produktion angelaufen ist.
In der Zwischenzeit könnten die Patienten von der therapeutischen Gabe von Antikörpern profitieren. Dies ist zum einen durch die Serumtherapie möglich, die derzeit in verschiedenen Zentren erprobt wird.
Eine Alternative könnte die Verwendung von monoklonalen Antikörpern sein. Die Behandlung wäre gezielter als die Serumtherapie, da die Patienten genau die Antikörper erhalten, die sie zur Abwehr der Viren benötigen, während bei der Serumtherapie auch alle übrigen Antikörper übertragen werden, die die Spender im Verlauf ihres Lebens durch zahllose Infektionen oder andere Immunreaktionen angesammelt haben. Außerdem werden eine Vielzahl von anderen Serumbestandteilen übertragen, die Komplikationen auslösen können (Serumkrankheit).
Bei Ebola-Infektionen haben sich monoklonale Antikörper bereits in klinischen Studien bewährt. In der PALM-Studie haben sie sogar eine bessere Wirkung erzielt als das Virustatikum Remdesivir, das derzeit als Mittel gegen COVID-19 in klinischen Studien geprüft wird.
Verschiedene Forschergruppen haben sich in den letzten Monaten auf die Suche nach geeigneten Antikörpern gegen SARS-CoV-2 gemacht. Die Forscher suchten dazu im Blut von einzelnen Patienten, die eine COVID-19 überstanden haben, nach den Antikörpern, die für die Rekonvaleszenz verantwortlich waren.
Dazu mussten sie nicht nur unter einer Vielzahl von Antikörpern diejenigen herausfinden, die SARS-CoV-2 neutralisieren können. Sie mussten auch die B-Zellen isolieren, die diese Antikörper produzieren. Im Erbgut der B-Zellen mussten sie dann die Gene identifizieren, die den Bauplan für die Produktion der Antikörper enthalten. Der Bauplan wird dann in Bakterien oder menschliche Zellen eingebracht, die in Zellkulturen die Antikörper in beliebiger Menge produzieren.
Die Herstellung würde auf die gleiche Weise erfolgen wie dies bei anderen monoklonalen Antikörpern der Fall ist, die heute in vielen Bereichnen als Biologika eingesetzt werden.
Im Mai stellten Forscher der Universität Utrecht einen monoklonalen Antikörper vor, der in in-vitro-Experimenten Zellen vor einer Zerstörung durch SARS-CoV-2 geschützt hat. Ihren Kollegen aus der Universität Amsterdam ist es jetzt gelungen, 403 monoklonale Antikörper aus 3 rekonvaleszenten COVID-19-Patienten zu isolieren.
Wie Philip Brouwer und Mitarbeiter in Science (2020; DOI: 10.1126/science.abc5902) berichten, waren darunter 2 Antikörper, die in-vitro in einer ungewöhnlich niedrigen Konzentration eine Infektion von Zellen verhinderten. Dies deutet darauf hin, dass die Antikörper exakt die Stelle des S-Proteins erkennen, mit denen das Virus an den Zellen andockt. Es spricht auch für eine gute Wirksamkeit, die die Forscher aus den Niederlanden allerdings noch nicht untersucht haben.
Ein Team am Scripps Forschungsinstitut in La Jolla in Kalifornien ist bereits einen Schritt weiter. Thomas Rogers und Mitarbeiter haben ebenfalls im Blut von rekonvaleszenten Spendern nach monoklonalen Antikörpern und deren Produzenten, den B-Zellen, gesucht. Sie fanden mehr als 1.000 verschiedene Antikörper, die an der Abwehr von SARS-CoV-2 beteiligt waren. Einer der Antikörper hat in einem Tierversuch Hamster erfolgreich vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 geschützt (Science 2020; DOI: 10.1126/science.abc7520).
Anna Wec von der Firma Adimab in Lebanon/New Hampshire und Mitarbeiter haben ebenfalls monoklonale Antikörper gefunden, die SARS-CoV-2 neutralisieren. Ihre in Science (2020; DOI: 10.1126/science.abc7424) publizierten Ergebnisse könnten den Weg zu klinischen Studien öffnen, mit denen der Konkurrent Regeneron dieser Tage beginnen wird. Die Firma aus Tarrytown/New York hat möglicherweise die Nase vorn, weil sie auch die beiden Antikörper-Präparate hergestellt hat, die an Ebola-Patienten getestet wurden.
Der Hersteller verfügte damit über eine bewährte Methode, mit der Johanna Hansen und Mitarbeiter innerhalb kurzer Zeit Tausende von Antikörpern gegen SARS-CoV-2 mit unterschiedlichen Bindungseigenschaften und antiviraler Aktivität isolieren konnten.
Aus dieser Sammlung wählten die Forscher laut ihrem Bericht in Science (2020; DOI: 10.1126/science.abd0827) Paare hochwirksamer Einzelantikörper aus, die gleichzeitig an der kritischen Rezeptorbindungsstelle des Spike-Proteins binden. Auf diese Weise sollen „Fluchtmutationen“ vermieden werden, mit denen sich die Viren dem Zugriff der Antikörper entziehen können.
Die „Doppel-Antikörper-Cocktails“ werden jetzt in 2 randomisierten kontrollierten Studien eingesetzt, an denen in den nächsten Monaten fast 3.000 Patienten teilnehmen sollen.
In einer Studie werden ambulante Patienten mit den Antikörper oder Placebo, deren Symptombeginn nicht länger als 7 Tage zurückliegt. In der anderen Studie werden hospitalisierte Patienten behandelt. Auch hier wird ein möglichst früher Behandlungsbeginn (innerhalb von 72 Stunden) angestrebt, da dann am ehesten mit einer Wirkung der Antikörper gerechnet wird. Mit Ergebnissen ist laut der Registrierung frühestens im November zu rechnen.
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