COVID-19 in der Schwangerschaft: Vorläufige Hinweise auf neurologische Einschränkungen beim Kind

Boston – Eine US-Studie liefert vorläufige Hinweise darauf, dass eine SARS-CoV-2-Infektion in der Schwangerschaft mit neurologischen Einschränkungen beim Kind assoziiert sein könnte.
Insgesamt erhielten 6,3 % der gegenüber einer mütterlichen SARS-CoV-2-Infektion exponierten Kinder und 3,0 % der nicht exponierten Kinder im 1. Lebensjahr die Diagnose einer neurologischen Entwicklungsstörung (JAMA Network Open, 2022; DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2022.15787).
Experten raten allerdings zu einer extrem vorsichtigen Interpretation dieser Ergebnisse. In einem begleitenden Editorial betont etwa die US-Geburtshelferin Dr. Torri Metz vom Department of Obstetrics and Gynecology der University of Utah Health in Salt Lake City, dass die retrospektive Kohortenstudie nur Assoziationen aufzeigen, aber keine Beweise für Kausalität liefern kann.
„Diese Art von Arbeiten sind dazu da, Hypothesen zu generieren, und dieses Ziel wurde erreicht. Sie wirft eine ganze Reihe von Fragen auf, die weiter erforscht werden müssen.“
Für die Studie verglichen Dr. Andrea Edlow vom Department of Obstetrics and Gynecology am Massachusetts General Hospital in Boston und ihre Kollegen retrospektiv 2 Kohorten: 222 Babys, deren Mütter während der Schwangerschaft positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden waren, und 7.550 Babys, deren Mütter während der Schwangerschaft nicht positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden waren.
SARS-CoV-2-Exposition in utero mit höherer Diagnoserate assoziiert
In der Kohorte mit in der Schwangerschaft positiv auf SARS-CoV-2- getesteten Müttern wurde bei 14 Kindern (6,3 %) in den ersten 12 Lebensmonaten eine neurologische Entwicklungsstörung diagnostiziert. Vorwiegend handelte es sich dabei um Einschränkungen bei der Sprech- und Sprachentwicklung sowie bei den motorischen Fähigkeiten. In der in utero nicht gegenüber SARS-CoV-2 exponierten Kohorte wurde eine solche Diagnose bei 227 Kindern (3,0 %) gestellt.
SARS-CoV-2-Positivität bei der Mutter in der Schwangerschaft war mit einer höheren Rate an Diagnosen neurologischer Entwicklungsstörungen bei den Kindern assoziiert. Dies war sowohl ohne Adjustierung (OR 2,17) als auch mit Adjustierung um Ethnizität, Versicherungsstatus, Geschlecht des Kindes, mütterliches Alter und Frühgeburtlichkeit der Fall (aOR 1,86).
Stärkerer Effekt im letzten Trimenon
Als am stärksten erwies sich der Effekt, wenn die Infektion ins 3. Trimenon fiel (aOR 2,34). Die Studie zeigte außerdem, dass es bei den gegenüber SARS-CoV-2 exponierten Frauen häufiger zu Frühgeburten kam: 14,4 % (32) vs. 8,7 % (654).
Die Autoren um Edlow betonen, dass es sich um vorläufige Hinweise handele und prospektive Studien mit längerem Follow-up erforderlich seien, um andere Ursachen für die beobachteten Ergebnisse auszuschließen und diese Assoziationen zu bestätigen.
Expertin: Für diese Assoziation gibt es viele andere Erklärungen
Für Marian Knight, Professorin für Maternal and Child Population Health an der University of Oxford, reicht dieses Zugeständnis allerdings nicht wirklich aus. Auf Nachfrage kritisiert sie: „Für die Studie wurden kodierte Krankenhausdaten von 4 Kliniken in den USA verwendet. Die Autoren berichten basierend auf nur 14 Kleinkindern mit einem Diagnosecode, dass Kinder, deren Mütter in der Schwangerschaft positiv auf SARS-CoV-2 getestete wurden, mit höherer Wahrscheinlichkeit einen Code für eine neurologische Entwicklungsstörung haben.“
Für diese Beobachtung gibt es Knight zufolge aber eine ganze Reihe möglicher Erklärungen. So sei zum Beispiel nicht bekannt, weshalb die Frauen auf SARS-CoV-2 getestet wurden.
„Viele Krankenhäuser testen Patienten routinemäßig bei der Aufnahme – vielleicht wurden Frauen, die bereits Schwangerschaftskomplikationen hatten, mit höherer Wahrscheinlichkeit getestet“, so die Expertin. „Bei solchen Frauen ist demzufolge die Wahrscheinlichkeit, dass eine SARS-CoV-2-Infektion entdeckt wird, höher – selbst wenn diese gar keine Auswirkungen auf die Schwangerschaft haben sollte.“
Kritik an mangelnden Angaben
Des Weiteren machen die Autoren kaum Angaben zu Schwangerschaftskomplikationen. „Nur zu Diabetes, Prädiabetes und Blutungen gibt es Zahlen. Aber auch Unterschiede bei anderen Schwangerschaftskomplikationen könnten diese Ergebnisse erklären“, betont Knight.
Zweifel hegt die Expertin auch an den in die Studie einbezogenen Diagnosen: „Was bedeutet der Code ‚Umschriebene Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache, , nicht näher bezeichnet‘ bei Kleinkindern unter 12 Monaten“, fragt sie. Denn das sei die neurologische Entwicklungsstörung, die für die Hälfte der Kinder SARS-CoV-2-positiver Mütter angegeben worden sei.
Warnung vor voreiligen Schlussfolgerungen
Sie stellt klar: „Auf Basis dieses Papers kann man nicht schlussfolgern, dass COVID-19 in der Schwangerschaft Entwicklungsprobleme bei den Kindern verursacht. Um herauszufinden, ob das eine berechtigte Sorge ist, sind andere Studien nötig, die validierte Parameter für die Entwicklung von Kindern anwenden und dies, wenn die Kinder schon etwas älter sind.“
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