COVID-19: Klinik- und Praxisärzte bereiten sich auf deutlichen Anstieg der Fälle vor
Weilheim/München/Marburg – Die deutschen Krankenhäuser bereiten sich derzeit darauf vor, eine weiter stark steigende Zahl an Patienten zu versorgen, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben.
„Wir rechnen mit einer deutlichen Zunahme an COVID-19-Patienten“, sagt Christoph D. Spinner, Oberarzt an der Infektiologie des Klinikums rechts der Isar, dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ). „Dafür müssen wir die Versorgungssituation anpassen und dabei sicherstellen, dass auch die Versorgung von Menschen mit anderen Erkrankungen gewährleistet bleibt.“
Am Freitag hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Krankenhäuser aufgefordert, elektive Eingriffe zu verschieben, um mehr Kapazitäten für die Behandlung von COVID-19-Patienten zu haben – soweit medizinisch vertretbar. Spinner hält dies für „eine konsequente Maßnahme“. Allerdings gebe es in der Praxis noch viele offene Fragen – auch ökonomischer Natur.
Klinikum rechts der Isar schließt Stationen
Spahn hatte den Krankenhäusern zugesichert, dass kein Krankenhaus infolge der Behandlung von Corona-Infizierten ins Defizit rutschen werde. Für jedes Intensivbett, das zusätzlich vorgehalten wird, sollen die Krankenhäuser hingegen einen Bonus erhalten. Die dafür notwendigen gesetzlichen Änderungen will Spahn „sehr zeitnah“ vorlegen.
Auch als Reaktion auf die Mitteilung von Spahn hat das Klinikum rechts der Isar am Freitag damit begonnen, Stationen zu schließen und Teile des Elektivprogramms zu reduzieren. „Hierdurch soll Personal zur Aufrechterhaltung des Betriebs bereitgestellt werden“, betont Spinner. Denn „typischerweise ist eine Pandemie auch mit skalierendem Personalausfall verbunden“.
„Manche Mitarbeiter sind besorgt und beängstigt“
Spinner erklärt, dass sich das Klinikum rechts der Isar bereits seit Januar auf die Situation vorbereite: „Hierzu haben wir ein Expertenteam eingerichtet, das zusammen mit einem Reaktionsteam für außergewöhnliche Ereignisse den Vorstand kontinuierlich berät.
Wir haben weitreichende Pläne zur Mitwirkung in der Versorgung entwickelt und setzen diese bereits seit der vergangenen Woche in Stufen um.“ Zurzeit werden mehrere Patienten mit COVID-19 im Klinikum versorgt, auch auf Intensivstationen. „Die Fallzahlen nehmen täglich zu“, betont Spinner.
Die Stimmung in seinem Haus beschreibt der Infektiologe als heterogen: „Während wir mit den medizinischen Teams die Vorbereitung nach und nach vorantreiben und umsetzen, beginnt ein großer Teil unseres Personals, entsprechende Trainings zu absolvieren und sich vorzubereiten.
Wir informieren hierzu nahezu täglich und bereiten zentrale und dezentrale Angebote vor. Dennoch gibt es auch einzelne Stimmen im Haus, die den Eindruck haben, dass die Vorbereitungen vielleicht gar nicht nötig seien, während andere Mitarbeiter besorgt sind und/oder beängstigt.“ Das sei eine menschliche und nachvollziehbare Reaktion.
„Es ist erkennbar, dass unser Gesundheitssystem auf eine Pandemie nicht mehr optimal vorbereitet war, weil die letzte lange zurückliegt“, betont Spinner. „So sind viele Fragen, wie beispielsweise die Beschaffung von Schutzkleidung, offen und wir sind derzeit noch auf uns alleine gestellt. Die lokale und landesweite Abstimmung macht jeden Tag spürbare Fortschritte, aber sie braucht eben Zeit.“
„Der Beschluss kommt zur rechten Zeit“
Auch der Geschäftsführer der in Oberbayern gelegenen Krankenhaus GmbH Weilheim Schongau, Thomas Lippmann, befürwortet den Beschluss, alle planbaren Operationen, wenn möglich, zu verschieben. „Diese Entscheidung schafft die benötigten Kapazitäten sowohl für intensivmedizinische als auch für Isolierungsmaßnahmen“, sagt der dem DÄ. „Der Beschluss kommt zur rechten Zeit.“
Wie viele planbare Operationen verschoben werden können, müsse im Einzelfall geprüft und entschieden werden. „Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt, denn es gibt eine große Zahl an medizinisch dringenden Fällen, die einer Operation bedürfen“, betont Lippmann.
Wenige personelle Ausfälle im Team
Mit der Krisenbewältigung ist Lippmann bislang zufrieden: „Die Zusammenarbeit auf kommunalpolitischer Ebene ist exzellent. Wir erleben eine uneingeschränkte Unterstützung und sehr schnelle Reaktionszeiten seitens des Landratsamtes und des Gesundheitsamtes. Dies hilft uns in der jetzigen Situation ungemein.“
Auch in seinem eigenen Haus spürt er „den Willen unseres gesamten Teams, die Krise zu bewältigen“. Es gebe auch nur wenige personelle Ausfälle. „Wir führen tagesaktuelle Lagebesprechungen durch, in denen wir alle Personalkapazitäten auf die medizinische Behandlung priorisieren“, erklärt Lippmann. „So werden zum Beispiel durch die Einstellung des Schulbetriebs per Ministeriumsordnung in Bayern weitere Schüler und Lehrkräfte in der Krankenhaus GmbH eingesetzt.“
Beschaffung der Schutzausrüstung wird schwerer
In der Krankenhaus GmbH wurde ein „COVID-19-Zimmer“ eingerichtet. Verdachtsfälle werden über eine eigens eingerichtete Isolierstation aufgenommen. „COVID-19-Patienten werden also strikt von anderen Patienten getrennt versorgt“, sagt Lippmann.
Für die nächsten Wochen erwartet er einen deutlichen Anstieg von Verdachtspatienten und Infizierten, die in seinem Krankenhaus behandelt werden. Ein Problem sieht er dabei vor allem im Bereich der Schutzausrüstung.
„Die Beschaffung medizinischer Verbrauchsmaterialien wird immer schwerer“, erklärt Lippmann. Zudem hofft er, dass die Coronakrise keine negativen ökonomischen Auswirkungen auf sein Haus haben wird. „Von der Bundespolitik wünschen wir uns, dass der zugesagte Schutzschirm für die Krankenhäuser seine Umsetzung findet“, sagt Lippmann.
Viele Verdachtsfälle kommen in die Hausarztpraxen
Auch im ambulanten Bereich wird die Situation zunehmend angespannter. Die Allgemeinärztin Ulrike Kretschmann hat einen Drive-In auf dem Hinterhof ihrer Marburger Gemeinschaftspraxis eingerichtet.
Nachdem die Regionalnachrichten darüber berichtet hatten, erreichten sie zahlreiche Anrufe von Patienten, die sich bei ihr auf eine Coronainfektion testen lassen wollten, manche riefen aus dem zwei Autostunden entfernten Göttingen an. Kretschmann testet jedoch nur ihre eigenen Patienten. „Alles andere würde unsere Kapazitäten übersteigen“, sagt sie.
Wenn ihre Patienten in der Praxis anrufen und um einen Test bitten, stellen die Medizinischen Fachangestellten (MFA) am Telefon fest, ob eine Indikation für einen Test vorliegt.
Diejenigen, für die eine Indikation besteht, werden gebeten, mit ihrem Auto auf den Hinterhof der Praxis zu fahren – immer mehrere zur gleichen Zeit. „Mit Atemschutzmaske, Handschuhen und im Schutzanzug gehe ich dann in den Hinterhof und nehme den Abstrich, während die Patienten im Auto sitzen“, sagt Kretschmann.
„Im Fernsehen habe ich gesehen, dass die Ärzte in Südkorea noch über ihrer Atemschutzmaske eine Schweißerbrille tragen, die über das komplette Gesicht reicht und die sie zusätzlich schützt. Eine solche Brille habe ich für alle Ärzte und MFA in unserer Praxis besorgt.“
Nachdem sie den Abstrich gemacht hat, schickt sie die Patienten in die häusliche Quarantäne, bis das Laborergebnis vorliegt. Ihr Labor kommt zu ihr in die Praxis und holt die Proben ab. „Wenn das Ergebnis vorliegt, rufe ich meine Patienten an und informiere sie“, sagt Kretschmann. Zudem wurde an der Anmeldung eine Plexiglasscheibe mit Durchreiche eingebaut, um die MFA zu schützen.
„Die Patienten sind stark verunsichert“
„In den vergangenen Tagen hat sich die Situation weiter zugespitzt“, sagt die Hausärztin. „Die Patienten sind stark verunsichert. Die Telefonleitungen sind im Dauerbetrieb. Zum Glück gibt es schon Diagnosezentren, an die sich die Verdachtsfälle wenden können. Aber es sind bei Weitem noch nicht genug.“
Kretschmann befürwortet die Einrichtung zusätzlicher Diagnosezentren in Containern, die zum Beispiel an Parkplätzen aufgestellt werden – so wie es in Südkorea geschehen sei. Denn „es kommen noch viel zu viele Verdachtsfälle in die Praxen“, betont sie. „Und mein kleiner Hinterhof-Drive-In ist schon jetzt überlastet.“
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