CRISPR/Cas9: Große Chancen, kaum kalkulierbare Risiken
Bonn – CRISPR/Cas9 ist eine neue Methode, die sich „anschickt, unsere Lebenswelt radikal zu verändern“. Das hat der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, in der Januar-Ausgabe des Magazins „Forschung und Lehre“ betont. Damit verbunden seien „unerwartete Chancen“ und „kaum kalkulierbare Risiken“, schreibt er. Ähnlich hatte sich bereits die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt geäußert.
Bislang galten gezielte Eingriffe ins menschliche Erbgut als technisch schwer machbar. Doch künftig könnte eine präzise schneidende Gen-Schere das Erbgut von Pflanzen, Tieren und Menschen verändern – einfach, billig und hocheffizient. CRISPR wird immer wieder mit einer „Hochpräzisions-Schere“ verglichen. Gene oder kleinste DNA-Bausteine können mithilfe zelleigener Enzyme eingefügt, verändert oder ausgeschaltet werden.
CRISPR wurde schon 2012 entwickelt, feierte seinen Durchbruch aber erst im vergangenen Jahr. Hunderte wissenschaftliche Artikel sind bisher erschienen. Es zeichne sich „ein exponentieller Anstieg neuer Forschungsstrategien und -ergebnisse ab“, sagte Dabrock.
Die Erfinderinnen, die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier und die US-Biochemikerin Jennifer Doudna aus Berkeley, gelten als Kandidatinnen für den Nobelpreis, auch wenn sie derzeit vor einem US-Gericht mit dem in Harvard lehrenden chinesischen Wissenschafter Feng Zhang streiten, wem der Ruhm der Erfindung zukommt.
CRISPR elektrisiert die Wissenschaft. Erwartet wird ein Bericht hochrangiger Forscher in den USA, die einen Leitfaden für die Anwendung der Methode bei Menschen vorlegen wollen. Auch die EU muss sich damit befassen. Denn umstritten ist die Frage, ob mit der Methode manipulierte Pflanzen und daraus produzierte Lebensmittel als gentechnisch verändert bezeichnet werden müssen. Anders als bei bisheriger Gentechnik bleibt kein artfremdes Erbgut in den Pflanzen zurück. Die neue Sorte ist von durch natürliche Züchtung entstandenen Pflanzen nicht zu unterscheiden.
Weltweit arbeiten Forscher daran, Nutzpflanzen robuster oder ertragreicher zu machen. Viel brisanter sind aber die geplanten Veränderungen menschlicher Gene. Die Wissenschaftler träumen aber auch von neuen Heilungsmöglichkeiten. Im Labor konnten sie bereits Chorea Huntington und Mukoviszidose heilen. Doch noch ist unklar, wie häufig bei CRISPR fehlerhafte Schnitte auftreten und wie weit die Funktion von Genabschnitten richtig verstanden ist.
Am heikelsten sind gentechnische Veränderungen der menschlichen Keimbahn. Solche Eingriffe seien nicht rückgängig zu machen und prägten alle künftigen Generationen, warnt Dabrock. Auch die Molekularbiologin Doudna ist sich der Brisanz bewusst. Sie organisierte 2015 einen Ethikgipfel in den USA. Ergebnis: Eine freiwillige Selbstbeschränkung der Wissenschaft. Grundlagenforschung soll vorangetrieben, die Keimbahn-Therapie aber – zumindest für mehrere Jahre – geächtet werden. „Wir wollen garantieren können, dass die Technologie sicher ist“, betonte sie.
Ihre Kollegin Charpentier sieht das ähnlich. „Es wird durchaus noch einige Jahre dauern, bis wir wirklich so weit sind, gewisse Krankheiten direkt zu bekämpfen“, sagte sie Ende Dezember im DeutschlandRadio Kultur. Mit Blick auf Utopien der Menschenzüchtung erklärte sie: „Derzeit ist das wirklich nur eine Technologie, die monogenetische Krankheiten heilen kann.“ Weitreichende gezielte Manipulationen seien noch lange nicht denkbar.
Für Charpentier ist der Eingriff in die Keimbahn zudem ein Tabubruch, wie sie im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt sagte. „Persönlich habe ich Bedenken in Bezug auf Eingriffe in die menschliche Keimbahn mittels CRISPR/Cas9“, erläuterte sie am Rande eines Leopoldina-Symposiums. „Die Technologie hat ein hohes Potenzial für die Humanmedizin. Aber ich kenne momentan keine überzeugenden Gründe, warum man humane Keimzellen manipulieren sollte. Dafür ist CRISPR-Cas9 auch nicht entwickelt worden.“
Die Wissenschaftlerin findet, man sollte menschliche embryonale Zellen restriktiv behandeln und genetische Manipulationen nur nach gründlicher Prüfung von Fall zu Fall vornehmen. „In Großbritannien sind solche Experimente inzwischen genehmigt worden. Ich würde mir wünschen, dass immer die Gründe in jedem einzelnen Fall sehr genau geprüft werden. Ethische Aspekte zur Anwendung von CRISPR-Cas9 benötigen eine Diskussion zwischen Forschern, Klinikern und Ethikern.“
Fest steht allerdings auch, dass es schon konkrete Eingriffe am Menschen gibt. Wie das Fachmagazin Nature im November berichtete, haben chinesische Wissenschaftler einem Lungenkrebs-Patienten mit CRISPR veränderte Immunzellen gespritzt. Auch US-Wissenschaftler haben die Erlaubnis der Behörden, in diesen Frühjahr CRISPR zu Therapiezwecken einzusetzen. Europa ist da noch vorsichtig: Im Februar 2016 erlaubte die britische Behörde HFEA erstmals einer Forschergruppe, gezielt Gene menschlicher Embryonen im Frühstadium zu verändern. Die Embryonen dürfen allerdings keiner Frau eingepflanzt werden.
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