Vermischtes

CRISPR/Cas9: Große Chancen, kaum kalkulierbare Risiken

  • Mittwoch, 4. Januar 2017

Bonn – CRISPR/Cas9 ist eine neue Methode, die sich „anschickt, unsere Lebenswelt ra­di­kal zu verändern“. Das hat der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, in der Januar-Ausgabe des Magazins „Forschung und Lehre“ betont. Damit verbunden sei­en „unerwartete Chancen“ und „kaum kalkulierbare Risiken“, schreibt er. Ähnlich hatte sich bereits die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier vom Max-Plan­ck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt geäu­ßert.

Bislang galten gezielte Eingriffe ins menschliche Erbgut als technisch schwer machbar. Doch künftig könnte eine präzise schneidende Gen-Schere das Erbgut von Pflanzen, Tie­­ren und Menschen verändern – einfach, billig und hocheffizient. CRISPR wird immer wieder mit einer „Hochpräzisions-Schere“ verglichen. Gene oder klein­s­te DNA-Bausteine können mithilfe zelleigener Enzyme eingefügt, verändert oder aus­ge­schaltet werden.

CRISPR wurde schon 2012 entwickelt, feierte seinen Durchbruch aber erst im vergange­nen Jahr. Hunderte wissenschaftliche Artikel sind bisher erschienen. Es zeichne sich „ein expo­nen­tieller Anstieg neuer Forschungsstrategien und -ergebnisse ab“, sagte Dabrock.

Die Erfin­derinnen, die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier und die US-Biochemikerin Jennifer Doudna aus Berkeley, gelten als Kandidatinnen für den No­belpreis, auch wenn sie derzeit vor einem US-Gericht mit dem in Harvard lehrenden chi­nesischen Wissen­schafter Feng Zhang strei­ten, wem der Ruhm der Erfindung zukommt.

CRISPR elektrisiert die Wissenschaft. Erwartet wird ein Bericht hochrangiger Forscher in den USA, die einen Leitfaden für die Anwendung der Methode bei Menschen vorlegen wollen. Auch die EU muss sich damit befassen. Denn umstritten ist die Frage, ob mit der Methode manipulierte Pflanzen und daraus produzierte Lebensmittel als gentech­nisch ver­ändert bezeichnet werden müssen. Anders als bei bisheriger Gentechnik bleibt kein artfremdes Erbgut in den Pflanzen zurück. Die neue Sorte ist von durch natürliche Züch­tung entstandenen Pflanzen nicht zu unterscheiden.

Weltweit arbeiten Forscher daran, Nutzpflanzen robuster oder ertragreicher zu ma­chen. Viel brisanter sind aber die geplanten Veränderungen menschlicher Gene. Die Wissen­schaftler träumen aber auch von neuen Heilungsmöglichkeiten. Im Labor konnten sie be­reits Chorea Huntington und Mukoviszidose heilen. Doch noch ist unklar, wie häufig bei CRISPR fehlerhafte Schnitte auftreten und wie weit die Funktion von Genabschnitten rich­tig ver­standen ist.

Am heikelsten sind gentechnische Veränderungen der menschlichen Keimbahn. Solche Eingriffe seien nicht rückgängig zu machen und prägten alle künftigen Generationen, warnt Dabrock. Auch die Molekularbiologin Doudna ist sich der Brisanz bewusst. Sie or­ganisierte 2015 einen Ethikgipfel in den USA. Ergebnis: Eine freiwillige Selbstbeschrän­kung der Wissenschaft. Grundlagenforschung soll vorangetrieben, die Keimbahn-Thera­pie aber – zumindest für mehrere Jahre – geächtet werden. „Wir wollen garantieren könn­­en, dass die Technologie sicher ist“, betonte sie.

Ihre Kollegin Charpentier sieht das ähnlich. „Es wird durchaus noch einige Jahre dauern, bis wir wirklich so weit sind, gewisse Krankheiten direkt zu bekämpfen“, sagte sie Ende Dezember im DeutschlandRadio Kultur. Mit Blick auf Utopien der Menschenzüchtung er­klärte sie: „Derzeit ist das wirklich nur eine Technologie, die monogenetische Krankheiten heilen kann.“ Weitreichende gezielte Manipulationen seien noch lange nicht denkbar.

Für Charpentier ist der Eingriff in die Keimbahn zudem ein Tabubruch, wie sie im Ge­spräch mit dem Deutschen Ärzteblatt sagte. „Persönlich habe ich Bedenken in Bezug auf Eingriffe in die menschliche Keimbahn mittels CRISPR/Cas9“, erläuterte sie am Rande eines Leopol­dina-Symposiums. „Die Technologie hat ein hohes Potenzial für die Human­medizin. Aber ich kenne momentan keine überzeugenden Gründe, warum man humane Keimzellen ma­nipulieren sollte. Dafür ist CRISPR-Cas9 auch nicht entwickelt worden.“

Die Wissenschaftlerin findet, man sollte menschliche embryonale Zellen restriktiv behan­deln und genetische Manipulationen nur nach gründlicher Prüfung von Fall zu Fall vor­neh­men. „In Großbritannien sind solche Experimente inzwischen genehmigt worden. Ich würde mir wünschen, dass immer die Gründe in jedem einzelnen Fall sehr genau geprüft werden. Ethische Aspekte zur Anwendung von CRISPR-Cas9 benötigen eine Diskussion zwischen Forschern, Klinikern und Ethikern.“

Fest steht allerdings auch, dass es schon konkrete Eingriffe am Menschen gibt. Wie das Fachmagazin Nature im November berichtete, haben chinesische Wissenschaftler einem Lungen­krebs-Patienten mit CRISPR veränderte Immunzellen gespritzt. Auch US-Wissen­schaftler haben die Erlaubnis der Behörden, in diesen Frühjahr CRISPR zu Therapie­zwecken einzusetzen. Europa ist da noch vorsichtig: Im Februar 2016 erlaubte die bri­ti­sche Behörde HFEA erstmals einer Forschergruppe, gezielt Gene menschlicher Embry­o­nen im Frühstadium zu verändern. Die Embryonen dürfen allerdings keiner Frau einge­pflanzt werden.

kna

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