Datenschätze sollten für Versorgung und Forschung nutzbar sein

Berlin – Die digitale Gesundheit ist kein Produkt „made in Germany“. Das hat Roland Eils, Experte für biomedizinische Informatik, Genomik und personalisierte Medizin, bei der Eröffnung des Hauptstadtkongresses (HSK) in Berlin betont. Ein Schwerpunkt des Kongresses ist in diesem Jahr der digitale Wandel des Gesundheitswesens.
Sein kritischer Befund: Daten in der Versorgung würden häufig noch nicht digital erfasst und aus regulatorischen Gründen oft nicht geteilt, zudem seien sie nicht interoperabel, kritisierte Eils, der Gründungsdirektor des Berliner Instituts für Gesundheitsforschung/Berlin Institute of Health und Charité – Universitätsmedizin Berlin ist. Der überzogene Datenschutz gefährde sogar Leben.
Was fehle, sei eine forschungskompatible elektronische Patientenakte, die nach der Hightech-Strategie der Bundesregierung bis 2025 umgesetzt werden soll. Es gelte, kräftig nachzubessern, um international bei der elektronischen Patientenakte (ePA) anschlussfähig zu werden.
Ihm zufolge ist durch die Kombination von Forschungs- und Versorgungsdaten in Kombination mit künstlicher Intelligenz (KI) schon heute ein Mehrwert für alle Akteure im Gesundheitswesen darstellbar. Zwar ist KI nicht neu, wohl aber die Verfügbarkeit riesiger Datenmengen und hoher Rechenleistung mit bestimmten Architekturen und der technische Fortschritt bei der Sequenzierung und molekularen Charakterisierung von Patienten-Material sowie bei der Bildgebung.
Durch Maschinenlernen und der Unterart des Deep Learning sei die Lernkurve sehr viel besser als bei herkömmlichen statistischen maschinellen Verfahren, erläuterte der Experte. Vor allem die Onkologie nimmt danach derzeit eine Vorreiterrolle beim KI-Einsatz in der Medizin ein, aber in einer zweiten Welle werde dies auch bei Herz-Kreislauf- und bei neuronalen Erkrankungen zunehmend der Fall sein, prognostizierte er.
Erfolgsbeispiel Krebsforschung
Eils verwies auf das Masterprogramm zur Krebsgenomanalyse in Heidelberg, an dem das Deutsche Krebsforschungszentrum und das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT)und das Universitätsklinikum beteiligt sind. Dort wurden inzwischen 50.000 Proben von Tumorpatienten sequenziert und detailliert systematisch analysiert.
In einer prospektiven Studie haben die Forscher zudem Daten von 250 Krebspatienten im fortgeschrittenen Krankheitsstadium untersucht, bei denen eine Krebsgenomanalyse durchgeführt worden war. Datengetrieben wurden bei 50 Prozent dieser Patienten genetische Veränderungen gefunden, für die ein zugelassenes Medikament verfügbar war, berichtete Eils.
Diese Studie soll auf einige Tausend Patienten erweitert werden. Innerhalb von sieben Jahren sei man mit dem NCT-Masterprogramm „zum absoluten Spitzenreiter“ in diesem Bereich avanciert. Inzwischen könnten bei acht von zehn Patienten genetische Abweichungen festgestellt werden, die eine gezieltere Behandlung erlaubten.
Der Rahmen muss stimmen
Axel Ekkernkamp, der wissenschaftliche Leiter des Deutschen Ärzteforums, mahnte an, die digitale Entwicklung in den Krankenhäusern voranzutreiben.
Er empfahl er, jeweils drei Universitätsklinika, Häuser der Maximal- und der Grundversorgung bestmöglich infrastrukturell auszustatten und als Modellversuch wissenschaftlich auszuwerten. Im Hinblick auf den KI-Einsatz in der Medizin werden Ärzte zu den Gewinnern zählen, was die Arbeitsplätze angehe, keinesfalls schafften sie sich dadurch ab, meinte er.
Aus Sicht von Hedwig Francois-Kettner, der Vorsitzenden des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, muss insbesondere die Sicht der Nutzer in die Entwicklung einbezogen werden, weil dadurch die Akzeptanz wachse.
Digitalisierung werde erheblich dazu beitragen, die Patientensicherheit zu verbessern und beispielsweise stationäre Einweisungen von Pflegeheimpatienten aufgrund der Medikation zu verringern. Zudem müsse der Zugang aller Partner im Gesundheitswesen, also auch der Pflegekräfte oder der Physiotherapeuten, zu den Patientendaten möglich sein, denn „sonst ist das alles Schwachsinn“.
Im Systemwettbewerb
Für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zählt neben der Pflege und der medizinischen Versorgung auch die Digitalisierung zu den Themen, die derzeit im Fokus der Gesundheitspolitik stehen.
„Wir machen da Tempo, weil 15 Jahre aufzuholen sind“, sage er. Zudem befinde sich Deutschland im Wettbewerb unter anderem mit China, nicht nur im ökonomischen, sondern im Systemwettbewerb etwa im Hinblick auf das andere Datenschutzverständnis oder den Vorrang des kollektiven Interesses vor der Würde des Einzelnen.
Spahn wandte sich auch gegen die Kritik, der Datenschutz der ePA sei löchrig. „Der Datenschutz ist nicht löchrig“, betonte er. Jeder Patient entscheide selbst, wer Einblick in die ePA haben solle und welche Dokumente in die Akte gelangten.
Im ersten Schritt werde es für die Patienten allerdings nur möglich sein, die Akteneinsicht vollständig zu gewähren und nicht dokumentenbezogen. Diese Entscheidung beruhe auf einem im Dezember 2018 einstimmig gefassten Beschluss der Gesellschafter der verantwortlichen Betreibergesellschaft gematik – ohne Widerstände der Krankenkassen. „Man soll zu dem stehen, was man entschieden hat“, forderte der Minister.
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