Elektronische Patientenakte soll zunächst mit eingeschränkten Patientenrechten kommen

Berlin – Die elektronische Patientenakte (ePA), die von 2021 an für jeden Patienten in Deutschland zur Verfügung stehen soll, wird zunächst eine entscheidende technische Einschränkung haben. Anders als geplant werde es für Patienten am Anfang nicht möglich sein auszuwählen, welche persönlichen Informationen ein Arzt, Apotheker oder Therapeut einsehen darf und welche nicht, berichtete die Süddeutsche Zeitung (SZ) heute. So werde beispielsweise ein Physiotherapeut, der Einblick in die elektronischen Daten des Orthopäden benötige, auf diese Weise auch über den letzten Schwangerschaftsabbruch einer Patientin informiert.
Wenn Patienten in Zukunft ihre elektronische Akte nutzen und zum Beispiel vermeiden wollen, dass ihr Zahnarzt die Informationen vom Urologen lesen kann, haben sie demnach zwei Möglichkeiten: Entweder, sie verbieten dem Urologen, ihre Untersuchungsergebnisse in die Akte zu schicken – dann kann später aber niemand diese Unterlagen nutzen, auch nicht das Krankenhaus oder der Hausarzt. Oder sie verbieten dem Zahnarzt den Zugriff auf die Akte. In dem Fall erfährt er auch nichts über frühere Behandlungen.
Übrig bliebe laut SZ dann nur noch ein Bereich in der elektronischen Akte, in dem Patienten Artikel oder Daten aus einer Gesundheitsapp abspeichern können. Doch mit solchen Informationen können Ärzte im Zweifel nicht viel anfangen.
Die Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte (gematik), die für die Entwicklung der Akte verantwortlich ist, erklärte auf Nachfrage, eine „differenzierte Rechtevergabe soll in Folgestufen umgesetzt werden“. Wann genau Patienten die elektronische Akte wirklich individuell einstellen und bestimmte Informationen für sich behalten können, sollen nun die Gesellschafter der gematik entscheiden, hieß es. Zu den Gesellschaftern gehört seit vergangener Woche auch das Bundesgesundheitsministerium, das mit 51 Prozent.
Nach Informationen der SZ sagten Vertreter der gematik mehreren Abgeordneten, der Grund für die technischen Abstriche sei die kurze Frist gewesen, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ihnen gesetzt hatte. Aufgrund dieses Zeitdrucks habe man sich entschieden, die Patientenakte Anfang 2021 erst einmal einzuführen und dann die Rechte für Patienten nachzuliefern.
BMG und GKV-Spitzenverband weisen auf Freiwilligkeit hin
Das Gesundheitsministerium bestätigte, dass es am Anfang keine Möglichkeit für Patienten geben wird, ihre elektronische Akte individuell so einzustellen, dass je nach Arzt nur ein Teil der Informationen einsehbar ist. Daran arbeite man aber, sagte ein Sprecher. Ziel sei es, „die Möglichkeiten des Datenzugriffs bei der Weiterentwicklung der elektronischen Patientenakte zu modifizieren“, so der Sprecher.
Es gebe aber keine Abstriche beim Datenschutz. Denn der Patient entscheide immer selbst, ob ein Arzt überhaupt Einblick in die Akte bekomme und welche Daten darin gespeichert würden. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wies heute darauf hin, dass der Patient selbst entscheidet, welcher Arzt Einblick in seine Patientenakte habe, wie er beim Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit betonte.
Der GKV-Spitzenverband erklärte, dass zuerst die Sicherheit der Daten in der elektronischen Patientenakte geregelt werde. „In der zweiten Stufe werden die Versicherten dann individuell entscheiden können, welche Gesundheitsdaten in der Akte von wem gesehen werden dürfen“, erläuterte GKV-SV-Sprecher Florian Lanz. Auch er betonte, dass allein der Versicherte entscheide, „welche Gesundheitsdaten von ihm überhaupt in die elektronische Patientenakte kommen“.
Grüne sehen Gefahr für Akzeptanz der ePA
Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink, sieht darin ein Problem für die Akzeptanz der ePA in der Bevölkerung und unter den Ärzten. „Es ist ein Grundversprechen der elektronischen Patientenakte, dass die Versicherten selbst entscheiden können, wem sie welche Daten zur Verfügung stellen wollen“, sagte sie heute. Mit den fehlenden Datenschutzeinstellungen in der geplanten ersten Ausbaustufe der Akte setze die Bundesregierung die wichtige Akzeptanz bei Versicherten und Leistungserbringern aufs Spiel.
„Dafür trägt Jens Spahn persönlich durch seine ausschließlich politisch motivierte Fristsetzung die Verantwortung“, erklärte Klein-Schmeink. Sie verweist auf eine Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage der Grünen. Diese zeige, dass hinter dieser Frist keine detaillierte Zeitplanung stehe und den Kassen für Ausschreibung und Entwicklung der Akte nur ein Jahr bleibe.
„Offensichtlich müssen daher Abstriche bei wichtigen Funktionalitäten gemacht werden. Das ist nicht hinnehmbar. Das Ministerium muss dafür sorgen, dass jetzt schleunigst nachgebessert wird“, erklärte die Grünen-Politikerin. Die Versicherten müssten in der ersten Ausbaustufe zumindest einstellen können, dass nur sie selbst oder auf Wunsch zusätzlich ihr Hausarzt sensible Daten zu sehen bekomme.
Unterdessen will die Bundesregierung Ärzten und Psychotherapeuten den Nutzen der ePA mit einer verbesserten Kommunikation näher bringen. Ein umfassendes Kommunikationskonzept für Versicherte und Leistungserbringer sei „eine notwendige Bedingung für die erfolgreiche Einführung“, schreibt das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in der Antwort weiter.
Man werde nach Eintritt als Mehrheitsgesellschafter der gematik unmittelbar Gespräche mit allen Beteiligten aufnehmen, um ein Kommunikationskonzept in Ergänzung zu den bereits jetzt erfolgenden Informationsmaßnahmen zur Digitalisierung im Gesundheitswesen für Leistungserbringer und Versicherte erarbeiten zu lassen, heißt es weiter.
Das BMG weist aber zugleich darauf hin, dass Leistungserbringer bereits heute umfangreiche Informationen über die Telematikinfrastruktur (TI) insbesondere auch von den Verbänden der Leistungserbringer zur Verfügung gestellt bekämen. Die ePA selbst bezeichnet die Bundesregierung in ihrer Antwort als eine „Schlüsselanwendung im digitalisierten Gesundheitswesen“.
Nachdem die gematik fristgerecht die Spezifikationen und Zulassungsverfahren veröffentlicht habe, obliege es nun den Krankenkassen, ihren Versicherten bis zum 1. Januar 2021 eine ePA zur Verfügung zu stellen. Derzeit würden die flankierenden Regelungen geprüft. Eine Abstimmung innerhalb der Bundesregierung stehe noch aus, heißt es. Den geplanten Starttermin für die ePA hält die Bundesregierung aber für realistisch und glaubt, dass dieser eingehalten wird.
Die Bundesregierung weist in ihrer Antwort auch darauf hin, dass es sich bei der ePA um eine „Sekundärdokumentation“ handelt. Es sei „nicht vorgesehen“, dass die ePA die Primärdokumentation von Ärzten und Psychotherapeuten ersetze.
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