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Debatte um Primärversorgung: Heilmittelerbringer dringen auf Direktzugang

  • Donnerstag, 13. November 2025
/Andrey Popov, stock.adobe.com
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Berlin – Ohne ärztliche Verordnung zum Logopäden oder Physiotherapeuten? Im Zuge der Pläne für eine Primärversorgung drängen Heilmittelerbringer auf einen Direktzugang für Patienten und mehr Kompetenzen. Damit könne auch die Ärzteschaft entlastet werden, hieß es gestern auf dem „Therapiegipfel“ des Spitzenverbandes der Heilmittelverbände (SHV) in Berlin.

„Wir Heilmittelerbringer können mehr als das, was wir bisher leisten dürfen“, sagte der SHV-Vorsitzende Andreas Pfeiffer auch in Richtung der anwesenden Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU). Er verwies mit der Formulierung auch auf frühere Äußerungen Warkens über Beschäftigte in der Pflege, deren Befugnisse erweitert werden sollen.

Man habe mündige Patientinnen und Patienten und einen stetig wachsenden Behandlungsbedarf, während Ärzte vielerorts am Limit seien, sagte Pfeiffer, der auch dem Deutschen Verband Ergotherapie (DVE) vorsteht. „Der Direktzugang ist als regulärer Zugang zur Versorgung zu verankern.“

Der SHV, dem mehrere Verbände aus den Bereichen Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie angehören, dringt auf Reformen noch in dieser Legislaturperiode und sieht mit den Plänen von Schwarz-Rot für eine Primärversorgung ein günstiges Zeitfenster, in dem langjährige Forderungen eingelöst werden könnten.

Primärarztsystem oder Primärversorgung?

Werde die Primärversorgung ausschließlich ärztlich gedacht, werde das vorhandene Potenzial im Gesundheitswesen nicht ausgeschöpft, sagte die stellvertretende SHV-Vorsitzende, Manuela Pintarelli-Rauschenbach. Die Heilmittelerbringer wollten als eigenständige Partner im Primärsystem definiert werden.

Auch vor dem Hintergrund von demografischer Entwicklung, steigender Krankheitslast und Fachkräftemangel sei ein reines Primärarztsystem „überholt“, so Pintarelli-Rauschenbach, die auch Bundesvorsitzende des Verbandes für Physiotherapie ist.

Der Begriff Primärarztsystem war noch im Koalitionsvertrag von Union und SPD verwendet worden. Im SHV stellt man aber mit Freude fest, dass in Warkens Wortwahl inzwischen die „Arztzentriertheit“ herausgenommen sei. Die Ministerin sprach zuletzt häufiger von einer geplanten Primärversorgung und hatte in dem Zusammenhang beispielsweise auch die Rolle von Apotheken genannt.

In einem Grußwort sprach Warken davon, dass das künftige System ein „echter Paradigmenwechsel“ sein werde. Dabei gebe es derzeit aber noch mehr Fragen als Antworten, auch in Bezug auf Ausnahmen und Direktzugänge. Für Vorschläge sei man offen.

Klar sei, dass neue Wege beschritten werden müssten, sagte Warken. Wegen der Ressourcenknappheit müssten auch „liebgewonnene Traditionen und althergebrachte Kompetenzaufteilung“ auf den Prüfstand. Gespräche mit allen Beteiligten stünden nun an. Bis zum „Frühjahr beziehungsweise bis zum Sommer“ solle es in einen Gesetzentwurf gegossen werden.

Plädoyers für zielgerichtete Organisation der Versorgung

Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt, sprach sich für ein System aus, bei dem eine primärärztliche Versorgung im Zentrum steht. Man wolle nicht den Zugang verweigern oder erschweren, sondern ihn zielgerichtet organisieren. Das bisherige System sei durch hohen Personalaufwand und eine große Zahl an Behandlungsanlässen gekennzeichnet.

Die große Autonomie von Patienten über die Inanspruchnahme von Leistungen könne in einem so hoch komplexen und spezialisierten Versorgungssystem schwierig sein, da sie selbst oft nicht adäquat bewerten könnten, welcher Weg für sie richtig sei.

Der Geschäftsführer des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes (HÄV), Sebastian John, betonte: Es brauche in der Versorgung Kontinuität, „eine Instanz, die die Versorgung zusammenhält“.

Mit Blick auf den geforderten Direktzugang zu Heilmittelerbringern sagte Reinhardt, es gebe dazu innerhalb der Ärzteschaft noch keinen zu Ende geführten Dialog. Es gebe zwei Lager: eines wolle die Hoheit über Verordnungen behalten, das andere vertrete die Ansicht, dass Therapeuten entscheiden könnten. Festzustellen sei, dass in manchen Situationen die ärztliche Differentialdiagnose sinnvoll bis unverzichtbar sei.

Es mache aber auch keinen Sinn, wenn Berufsgruppen nebeneinander her arbeiteten. „Es bedarf vernünftiger Kommunikationsebenen“, sagte Reinhardt.

Heilmittelerbringer wollen enger mit Ärzten zusammenarbeiten

Mit dem Status Quo der Kooperation zeigt sich der SHV unzufrieden. Bisher erstelle man auf Anforderung und gegen geringes Entgelt einen Bericht für den verordnenden Arzt, sagte Katrin Schubert, ebenfalls stellvertretende SHV-Vorsitzende und Bundesvorsitzende im Deutschen Bundesverband für akademische Sprachtherapie und Logopädie (dbs). Zum Gestalten der Behandlung werde jedoch vielmehr ein Austausch benötigt, etwa in Fallkonferenzen. In der Regel böten Verträge und Vergütungsstrukturen dafür bislang keinen Raum.

Der SHV plädiert angesichts der Probleme hierzulande zudem für einen deutlichen Ausbau der Prävention, das um das System zu entlasten. Heilmittelerbringer spielten dabei eine bedeutende Rolle. „Jeder verhinderte Sturz, jedes rechtzeitig behandelte sprachauffällige Kind, jede verhinderte Aspirationspneumonie schont menschliche Ressourcen, insbesondere auch bei Ärzten, reduziert Kosten und vermindert menschliches Leid“, sagte Stephan Olbrich vom Deutschen Bundesverband für Logopädie (DBL).

Von Seiten der Heilmittelerbringer wurde die Forderung nach dem Direktzugang neben Patientenwünschen unter anderem damit begründet, dass von ärztlicher Seite teils etwa zu viel Bildgebung veranlasst werde oder Kinder beispielsweise verspätet zum Logopäden überwiesen würden. Von einer Rolle auf Augenhöhe versprechen sie sich auch mehr Berufszufriedenheit und letztlich eine höhere Attraktivität der Berufe.

Veraltete Berufsgesetze sollen reformiert werden

Bisher ist ein Direktzugang zu Physiotherapeuten bereits für Selbstzahler und über den „Umweg über den sektoralen Heilpraktiker“ möglich, wie Ute Repschläger, stellvertretende SHV-Vorsitzende sowie Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes selbstständiger Physiotherapeuten (IFK) erläuterte. Man fordere, dass mit der Reform des Berufsgesetzes der Direktzugang unabhängig von dieser Zusatzqualifikation möglich wird. In einem nächsten Schritt halte man eine Verankerung im GKV-System für geboten.

Im Bereich der Logopädie sei eine so schnell wie mögliche Verankerung des Direktzugangs im GKV-Bereich das erklärte Ziel, für alle Störungsbilder und Verordnungen, ergänzte Schubert.

Ministerin Warken sicherte mit Blick auf die Berufsgesetze baldige Reformen zu. Die bundesrechtlichen Grundlagen für die Ausbildung in den Berufen der Physiotherapie und für die Ausbildungen für Logo- und Ergotherapie seien nicht mehr zeitgemäß. Man nehme bei dem Thema nun den Faden wieder auf, nachdem Reformbemühungen in der vergangenen Legislatur ins Stocken geraten seien.

Schnell vorangehen soll es der Ministerin zunächst bei den Physiotherapieberufen – dabei und auch im Rahmen der anstehenden Gespräche zum Primärversorgungssystem gelte es, über den geforderten Direktzugang zu sprechen. Die Reformen setzten allerdings die Klärung von Rahmenbedingungen mit den Ländern voraus.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Serdar Yüksel stärkte den Heilmittelerbringern den Rücken und plädierte dafür, dass vorhandene Kenntnisse auch anwendbar sein sollten, ähnlich wie nun in der Pflege. Wenn alles so weiterlaufe wie bisher, fahre das System vor die Wand. Er kritisierte zudem, dass Arztbesuche zum Teil auch durch das Angebot induziert würden – ein Stichwort waren dabei IGeL-Leistungen.

Wie Direktzugänge in Schweden und Norwegen je nach Setting umgesetzt und welche Kompetenzen dabei auch von Physiotherapeuten übernommen werden, berichtete der Physiotherapeut Uwe Hallmann aus Norwegen. Er sprach davon, dass in Schweden Kosten und Wartezeiten gesunken seien und Ärzte mehr Patienten versorgen könnten.

ggr

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