Politik

Demenzkranke Heimbewohner erhalten zu viele Neuroleptika

  • Mittwoch, 5. April 2017
/Peter Atkins, stock.adobe.com
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Berlin – Demenzkranke Heimbewohner erhalten zu viele Neuroleptika. Das geht aus ei­ner Studie hervor, die im Pflegereport 2017 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) enthalten ist. Der Report wurde heute der Öffentlichkeit vorgestellt. „43 Prozent der Demenzkranken, die in einem Pflegeheim leben, erhalten dauerhaft ein Neurolep­ti­kum. Das verstößt gegen die Leitlinien“, sagte die Studienleiterin Petra Thürmann von der Universität Witten/Herdecke bei der Vorstellung des Reports in Berlin.

„Neuroleptika wurden eigentlich gegen Wahnvorstellungen und Schizophrenie getestet. Nur zwei der in Deutschland erhältlichen Neuroleptika sind zur Behandlung von wahn­haf­ten Vorstellungen und aggressivem Verhalten von Demenzkranken zugelassen – und dann auch nur für eine kurze Therapiedauer von sechs Wochen“, erklärte Thürmann. Zu den unerwünschten Nebenwirkungen von Neuroleptika zählten Stürze, Schlaganfälle oder Thrombosen. „Der Nutzen von Neuroleptika ist nicht besonders groß“, sagte das Mit­glied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesund­heits­we­sen. „Dafür kaufen wir uns relativ viele Risiken ein.“ Während 43 Prozent der Demenz­kran­ken in Pflegeheimen Neuroleptika erhielten, er­hiel­ten zudem nur etwa ein Viertel von ihnen Medikamente gegen die Demenz.

Litsch: Ärzte stehen in der Pflicht, die Nebenwirkungen zu kennen

Der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, wies auf die Ver­ant­­wortung der Ärzte hin, die sich um die Arzneimitteltherapie der Heimbewohner kümm­ern. „Sie stehen in der Pflicht, die Nebenwirkungen zu kennen und sie zu berücksich­ti­gen“, so Litsch. Statt Dauerverordnungen von Neuroleptika würden mehr Ansätze für nicht medikamentöse Therapien gebraucht. „Ärzte und die Leiter von Pflegeheimen müssen Hand in Hand arbeiten, um nicht medikamentösen Therapien mehr Raum zu geben“, sagte Litsch.

Das WIdO hat 2.500 Pflegekräfte schriftlich dazu befragt, wie viele Bewohner der Pflege­heime, in denen sie arbeiten, Psychopharmaka erhalten. Die Ergebnisse der Befragung sind auch im Pflegereport enthalten. Die Befragten gaben an, dass im Durchschnitt bei mehr als der Hälfte der Bewohner ihres Pflegeheims Psychopharmaka eingesetzt wer­den. Zwei Drittel der Betroffenen erhielten demnach die Verordnungen auch länger als ein Jahr. „Das Problembewusstsein der Pflegekräfte muss hier offensichtlich geschärft werden“, meinte Antje Schwinger vom WIdO.

Zeitdruck verhindert nicht medikamentöse Therapien

Der Umfrage zufolge werden aber auch nicht medikamentöse Ansätze häufig umgesetzt. So gaben 67 Prozent der Pflegekräfte an, dass in ihrem Heim spezielle Pflegekonzepte zum Einsatz kommen, rund die Hälfte der Befragten verwendet Assessmentinstrumente. Auch Fallbesprechungen sowie kognitive und sensorische Verfahren kommen zum Einsatz. Doch gaben gleichzeitig 56 Prozent der Befragten an, dass Zeitdruck die Um­setzung nicht medikamentöser Verfahren teilweise beeinträchtige oder verhindere.

fos

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