Demenzkranke Heimbewohner erhalten zu viele Neuroleptika

Berlin – Demenzkranke Heimbewohner erhalten zu viele Neuroleptika. Das geht aus einer Studie hervor, die im Pflegereport 2017 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) enthalten ist. Der Report wurde heute der Öffentlichkeit vorgestellt. „43 Prozent der Demenzkranken, die in einem Pflegeheim leben, erhalten dauerhaft ein Neuroleptikum. Das verstößt gegen die Leitlinien“, sagte die Studienleiterin Petra Thürmann von der Universität Witten/Herdecke bei der Vorstellung des Reports in Berlin.
„Neuroleptika wurden eigentlich gegen Wahnvorstellungen und Schizophrenie getestet. Nur zwei der in Deutschland erhältlichen Neuroleptika sind zur Behandlung von wahnhaften Vorstellungen und aggressivem Verhalten von Demenzkranken zugelassen – und dann auch nur für eine kurze Therapiedauer von sechs Wochen“, erklärte Thürmann. Zu den unerwünschten Nebenwirkungen von Neuroleptika zählten Stürze, Schlaganfälle oder Thrombosen. „Der Nutzen von Neuroleptika ist nicht besonders groß“, sagte das Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. „Dafür kaufen wir uns relativ viele Risiken ein.“ Während 43 Prozent der Demenzkranken in Pflegeheimen Neuroleptika erhielten, erhielten zudem nur etwa ein Viertel von ihnen Medikamente gegen die Demenz.
Litsch: Ärzte stehen in der Pflicht, die Nebenwirkungen zu kennen
Der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, wies auf die Verantwortung der Ärzte hin, die sich um die Arzneimitteltherapie der Heimbewohner kümmern. „Sie stehen in der Pflicht, die Nebenwirkungen zu kennen und sie zu berücksichtigen“, so Litsch. Statt Dauerverordnungen von Neuroleptika würden mehr Ansätze für nicht medikamentöse Therapien gebraucht. „Ärzte und die Leiter von Pflegeheimen müssen Hand in Hand arbeiten, um nicht medikamentösen Therapien mehr Raum zu geben“, sagte Litsch.
Das WIdO hat 2.500 Pflegekräfte schriftlich dazu befragt, wie viele Bewohner der Pflegeheime, in denen sie arbeiten, Psychopharmaka erhalten. Die Ergebnisse der Befragung sind auch im Pflegereport enthalten. Die Befragten gaben an, dass im Durchschnitt bei mehr als der Hälfte der Bewohner ihres Pflegeheims Psychopharmaka eingesetzt werden. Zwei Drittel der Betroffenen erhielten demnach die Verordnungen auch länger als ein Jahr. „Das Problembewusstsein der Pflegekräfte muss hier offensichtlich geschärft werden“, meinte Antje Schwinger vom WIdO.
Zeitdruck verhindert nicht medikamentöse Therapien
Der Umfrage zufolge werden aber auch nicht medikamentöse Ansätze häufig umgesetzt. So gaben 67 Prozent der Pflegekräfte an, dass in ihrem Heim spezielle Pflegekonzepte zum Einsatz kommen, rund die Hälfte der Befragten verwendet Assessmentinstrumente. Auch Fallbesprechungen sowie kognitive und sensorische Verfahren kommen zum Einsatz. Doch gaben gleichzeitig 56 Prozent der Befragten an, dass Zeitdruck die Umsetzung nicht medikamentöser Verfahren teilweise beeinträchtige oder verhindere.
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