Politik

Weiter Streit um Ärztestreik

  • Donnerstag, 28. Dezember 2023
/picture alliance, Marijan Murat
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Berlin – In diesen Tagen bleiben in Deutschland bundesweit zahlreiche Arztpraxen aus Protest gegen die Gesundheitspolitik von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geschlossen. Während die Ärzte den Streik erneut verteidigen, zeigten Minister und Krankenkassen weiterhin kein Verständnis.

„Die Forderung nach mehr Geld halte ich nicht für begründet“, sagte Lauterbach gestern Abend in der ZDF-Sendung „heute journal update“. Außer in der Schweiz werde in Europa in den Praxen nirgendwo so gut verdient wie in Deutschland.

Kein Spielraum für Honorarzuwächse

Der Minister betonte, er sehe keine Spielräume für Honorarzuwächse. Er verstehe nicht, weshalb gestreikt werde. Es gebe eine „riesige Krankheitswelle“ in der Bevölkerung. „Die Forderungen der Ärzte nach mehr Geld sind auch bekannt. Der Streik bringt überhaupt nichts nach vorne.“

Ärzteverbände hatten dazu aufgerufen, Hausarzt- und Facharztpraxen bundesweit zwischen den Jahren geschlossen zu halten. Die noch bis zum morgigen Freitag geplante Aktion ist Teil der Kampagne „Praxis in Not“, die von mehr als 20 Verbänden unterstützt wird.

Der Virchowbund konnte gestern keine Angaben zur Zahl der beteiligten Praxen machen, weil der Streik dezentral organisiert werde. Man rechne aber mit bundesweit mehreren Zehntausend geschlossenen Praxen, erklärte eine Sprecherin. Die Praxen waren dazu aufgerufen worden, ihre Patienten über die Schließung zu informieren, auf den ärztlichen Bereitschaftsdienst zu verweisen und für eine Vertretung für Notfälle zu sorgen.

Krisengipfel im Januar

Lauterbach will sich mit den Hausärzten im Januar zu einem Krisengipfel treffen, um über die beklagte Überlastung und die Bürokratie in den Praxen zu beraten. „Die Praxen brauchen bessere Arbeitsbedingungen, brauchen weniger Bürokratie. Das Geld muss auch gerechter verteilt werden“, sagte er im ZDF. „Aber einfach mehr Geld in ein System zu schütten wie in der Vergangenheit – was nicht wirklich gut funktioniert – diese Lösung haben wir einfach zu oft praktiziert. Die wird nicht im Vordergrund stehen.“

Auch die Krankenkassen lehnten erneut die Forderung der niedergelassenen Ärzte nach mehr Geld ab. Die Vorstandschefin des GKV-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) mit Blick auf die laufenden Protestaktionen verschiedener Ärzteverbände, die Brutto-Reinerträge der niedergelassenen Ärzte seien in den vergangenen Jahren im bundesweiten Durchschnitt gestiegen.

„Außerdem muss deutlich gesagt werden: Was Ärzte oder Apotheker mehr bekommen wollen, müssen die Supermarktkassiererin und der Lkw-Fahrer mit ihren Krankenkassenbeiträgen finanzieren“, sagte Pfeiffer. Auch sie litten unter den gestiegenen Preisen.

Es geht nicht um Arzteinkommen, sondern eine ausreichende Finanzierung der Strukturen

„Die Reaktion von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach auf den Ärzteprotest zeigt, dass die Proteste richtig und wichtig sind und wir offenbar einen längeren Atem brauchen als befürchtet. Wir haben diesen langen Atem“, erklärte heute der Bundesvorsitzende des Virchowbundes, Dirk Heinrich.

Entgegen der Annahme von Lauterbach geht es nach Angaben des Virchowbundes aber nicht um die Steige­rung von Arzteinkommen, sondern um eine ausreichende und nachhaltige Finanzierung der bestehenden ambulanten Strukturen. Diese Strukturen sieht der Verband in akuter Gefahr, weil der ambulante Bereich durch die seit inzwischen 30 Jahren andauernde Budgetierung der am meisten unterfinanzierte Sektor im Gesundheitswesen ist.

„Es ist niemandem zu erklären, warum ein Facharzt in Bayern 96 Prozent seiner Leistung bezahlt bekommt, in Thüringen oder Hamburg aber nur 70 Prozent, und warum ein Hausarzt in Hamburg nur 70 Prozent und in Thüringen 106 Prozent seiner Leistungen erhält. Das ist weder wirtschaftlich noch logisch zu begründen, das ist einfach nur ungerecht“, stellte Heinrich fest.

„Internationale Vergleiche, wie Lauterbach sie anstellt, sind da nicht zielführend, weil Deutschland traditionell ein solides und flächendeckendes ambulantes Gesundheitswesen hat. Während der Coronapandemie war dies im Übrigen auch der Garant dafür, dass die Krankenhäuser nicht wie in anderen Ländern überfüllt und überfor­dert waren“, so Heinrich weiter. „Ungerechterweise haben aber unsere Medizinischen Fachangestellten im Gegensatz zur Pflege und zu Teilen der Krankenhausverwaltung keinen Coronabonus erhalten.“

Auch der Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, kritisierte Lauterbach für dessen Äußerungen. „Es ist populistisch und sachlich unangemessen, wenn der Minister den Protest der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen auf die Forderung nach mehr Geld reduziert und den Eindruck vermittelt, es handele sich um eine ungerechtfertigte Aktion von Besserverdienenden“, sagte er.

Aktionen sind mehr als berechtigt

Die Aktionen der Niedergelassenen seien mehr als berechtigt. „Es sind die Rahmen­bedingungen in der ambu­lanten Versorgung, die die Niedergelassenen zunehmend verzweifeln lassen: Sie er­sticken an einem zuneh­menden Wust an Bürokratie und baden die Folgen einer insgesamt schlecht gemach­ten Digitalisierung aus, für die sie auch noch abgestraft werden, obwohl sie die technischen Umsetzungen nicht zu verantworten haben“, betonte der KBV-Chef.

Auch, wenn es weder Politik noch Krankenkassen gerne hören wollten: Die Niedergelassenen erbrächten statistisch betrachtet ihre Leistungen und Behandlungen seit fast sechs Wochen mittlerweile umsonst, da die Budgets ausgeschöpft seien. „Dieser unheilvolle Zustand besteht bereits seit über 30 Jahren. Es geht also nicht um die Portemonnaies der Ärzte, sondern um die ambulante Versorgung der über 70 Millionen gesetz­lich versicherten Menschen in Deutschland“, so Gassen.

Er wies darauf hin, dass die Niedergelassenen die Versorgung der Menschen trotz Praxisschließungen trotz aller Probleme immer im Blick hätten. „Doch das ist kein Selbstläufer, sondern das System der ambulanten Versorgung steht vor dem Kollaps – und damit die gesamte Gesundheitsversorgung in Deutschland. Wird den berechtigten Forderungen der Praxen nicht entsprochen, wird 2024 das Jahr der langen Wartezeiten werden“, warnte Gassen.

dpa/afp/may

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