Ärzteschaft

Diabetesverbände sprechen sich für Gesundheitsfach­kräfte an Schulen aus

  • Dienstag, 6. September 2022
/Africa Studio, stock.adobe.com
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Berlin – Um insbesondere Kinder mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes Typ 1 in Schulen zu unter­stüt­zen, brauche es flächendeckend Schulgesundheitsfachkräfte. Dafür setzen sich die Deutsche Dia­betes Gesell­schaft (DDG), die Deutsche Diabetes Hilfe (Diabetes DE) sowie der Verband Bildung und Erziehung (VBE) ein.

Etwa eines von 500 Kindern in Deutschland sei von Diabetes Typ 1 betroffen, hieß es heute von den Verbän­den. Die Erkrankung präge und verändere den Alltag der Kinder und Jugendlichen, erläuterte Andreas Neu, DDG-Präsident und kommissarischer ärztlicher Direktor an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Uni­versitätsklinikum Tübingen.

„Wenn Kinder an Diabetes erkranken, müssen sie Blutzuckerkontrollen durchführen, Insulin spritzen und etwa Bewegung und Mahlzeiten aufeinander abstimmen. Damit sind Kinder im Grundschulalter aber oft überfor­dert“, sagte Neu heute auf einer digitalen Pressekonferenz.

„Allein die Interpretation ihrer Blutzuckerwerte stellt Kinder vor große Herausforderungen: Kann ich problem­los zu Mittag essen, wenn mein Blutzucker zuvor bei 167 liegt? Welche Insulindosierung passt zu diesem Blut­zuckerwert?“

Fragen wie diese könnten meist auch Lehrerinnen und Lehrer nicht beantworten, denn die Gesundheitsver­sor­gung gehöre weder zu ihren Aufgaben, noch seien sie dafür ausgebildet, betonte Neu. Oftmals würden die Kinder deshalb vom Regelschulbesuch ausgeschlossen oder die Eltern, meist die Mütter, schränkten ihre Be­rufstätigkeit ein, um den Kindern in der Schule zu helfen.

Neu verwies auf eine Studie aus dem vergangenen Jahr wonach fast die Hälfte der betroffenen Familien in Deutschland über relevante finanzielle Einbußen nach der Diagnose berichten würden. Die zusätzlichen Auf­gaben könnten auch zu emotionalen und körperlichen Belastungen der Eltern führen.

Um unter anderem diese Herausforderungen zu bewältigen, gab es in Hessen und Brandenburg Modellpro­jekte zur Etablierung von Schulgesundheitsfachkräften. Das Projekt in Hessen zeigte Neu zufolge etwa, dass die Implementierung der Fachkräfte sinnvoll, machbar und finanzierbar sei.

Schulgesundheitsfachkräfte würden zudem die Inklusion von Kindern mit chronischen Krankheiten fördern und das Schulsystem entlasten. Sie trügen zudem zur finanziellen Sicherheit der Familien bei und seien volks­wirtschaftlich gesehen eine lohnende Investition, so Neu.

„Um die Diskriminierung von chronisch Erkrankten zu beenden und Kindern mit Diabetes Typ 1 eine reguläre Beschulung zu ermöglichen, setzen wir uns für diese medizinisch ausgebildeten Fachkräfte an allen Grund­schulen ein. Denn sie können Kinder und Jugendliche mit chronischen Erkrankungen adäquat versorgen und Eltern sinnvoll unterstützen“, sagte Jens Kröger, Vorstandsvorsitzender von DiabetesDE.

Konkret sollten die Schulgesundheitsfachkräfte flächendeckend in einem ersten Schritt für Kinder im Grund­schulalter eingeführt werden. Internationale Standards sähen eine Betreuung von einer Schulgesundheits­fachkraft für 700 Kinder vor.

Gesundheitsfachkraft als erste Ansprechpartnerin

Die Kinderkrankenpflegerin und Schulgesundheitsfachkraft Karen Kreutz-Dombrofski betreut im Rahmen des hessischen Modellprojektes seit fünf Jahren 1.200 Kinder in einer Grundschule in Frankfurt. Sie sei erste An­sprechpartnerin für Gesundheitsfragen, biete Gesundheitsprävention in den Klassen oder auch für einzelne Schülerinnen und Schüler an und könne viele Ängste nehmen, erklärte sie auf der Pressekonferenz.

Mit Eltern von Kindern die an Diabetes leiden, spreche sie anfangs genau ab, wie sich etwa die Unterzucke­rung bemerkbar mache, ob das Kind dies selbst bemerke und wie die Insulingabe erfolge. Damit lerne sie die Betroffenen kennen, wisse Bescheid und könne auch Lehrerinnen und Lehrer mit ins Boot nehmen, um ihnen zu zeigen, welche Anzeichen für eine Unterzuckerung sprechen. An ihrer Schule gebe es im Moment vier Kinder, die an Diabetes erkrankt sind.

Aber auch für andere Kinder mit chronischen Erkrankungen, wie Epilepsie, Asthma oder Allergien sei sie die erste Ansprechpartnerin bei gesundheitlichen Fragen. Und: Auch gesunde Kinder wenden sich an sie, etwa wenn sie Bauchschmerzen haben.

Udo Beckmann, Bundesvorsitzender von VBE, ist überzeugt, dass neben den Kindern auch Lehrkräfte vom Einsatz der Schulgesundheitsfachkräfte profitieren würden. „Aktuell benötigt fast ein Viertel der Kinder eine weitergehende medizinische oder therapeutische Unterstützung“, sagte Beckmann.

Das habe eine begleitende Studie zum Modellprojekt „Schulgesundheitsfachkräfte“ der AWO Potsdam erge­ben. „Wir sprechen also nicht von Einzelfällen, die Förderbedarf in einem oder mehreren Förderschwerpunk­ten haben oder Assistenz bei der Medikamentengabe benötigen.“

Präventionsmöglichkeiten auch für gesunde Kinder

Neben der besseren Betreuung von Kindern mit chronischen Erkrankungen könnten die Gesundheitsfach­kräfte wie Kreutz-Dobrofski leicht ansprechbar sein und Präventionsprojekte etwa zur Ernährung, Bewegung oder Mundhygiene, aber auch zum Suchtmittel- und Medienkonsum fördern.

„Angebote wie diese haben in dem Brandenburger Modellprojekt große Wirkungen auf Schülerinnen und Schüler entfaltet – bis hin in die Elternhäuser. So gaben beispielsweise gut 70 Prozent der befragten Schü­lerinnen und Schüler an, sich häufiger die Zähne zu putzen, seit die Schulgesundheitsfachkraft an der Schule tätig ist. Über die Hälfte stellte fest, sie würden sich seither mehr bewegen“, sagte Beckmann.

Die Politik sei nun in der Pflicht, die dafür notwendigen Bedingungen zu schaffen und ein professionelles Schulgesundheitsmanagement mit dafür ausgebildeten Schulgesundheitsfachkräften zu etablieren und zu finanzieren, fordert Beckmann. Dies trage nicht nur der stetig steigenden Anzahl an chronisch erkrankten Kindern Rechnung, sondern fördere das Gesundheitsbewusstsein von Kindern allgemein.

„Der Zeitpunkt des Handelns ist gekommen“, betonte auch Neu. Am Digitalpakt Schule habe man gesehen, dass wenn etwas im Bildungsbereich politisch gewünscht sei, es auch schnell umgesetzt und die Finanzie­rung gesichert werde. „Das wünschen wir uns auch für die Gesundheitsfachkräfte“, betonte Neu.

cmk

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