Die Arbeitsteilung in der Netzhaut ist komplexer als gedacht
Tübingen – Neue Ergebnisse zur Rolle der sogenannten Bipolarzellen in der Netzhaut hat ein Forscherteam um Thomas Euler vom Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN) der Universität Tübingen vorgestellt. Ihre Arbeit ist in der Zeitschrift Nature erschienen (2017; doi: 10.1038/nature21394).
Das menschliche Sehsystem verarbeitet visuelle Eindrücke auf vielen Kanälen gleichzeitig und erzeugt aus ihnen ein vielschichtiges größeres Ganzes. Bereits die Retina liefert Informationen über Farben, Kontrast, Bewegung und Helligkeit. Die sogenannten Bipolarzellen in der Netzhaut sind das Bindeglied zwischen den lichtempfindlichen Rezeptorzellen des Auges und den retinalen Ganglienzellen, über die visuelle Information das Gehirn erreicht. 14 verschiedene Typen von Bipolarzellen wurden bisher genetisch und anatomisch unterschieden.
Die Tübinger Forscher testeten die Hypothese, dass jeder dieser Zelltypen einen Informationskanal mit eigener Funktion darstellt. Dafür zeigten die Forscher den Netzhäuten von Mäusen verschiedenste Lichtmuster. Gleichzeitig maßen sie die Aktivität einzelner Bipolarzellen an deren Ausgangssynapsen mithilfe eines fluoreszierenden Farbstoffes. Sie konnten so Daten von mehr als 13.000 Synapsen und allen Bipolarzell-Typen gewinnen.
Für die Wissenschaftler überraschend war, dass sich die 14 Bipolarzell-Typen bei punktförmigen Lichtreizen nur sehr wenig in ihrer Funktion unterschieden. Erst ausgedehnte Lichtreize, die weit größer als das zentrale Wahrnehmungsgebiet der Zelle waren, lösten unterschiedliche Signale in den verschiedenen Informationskanälen aus. Weitere Experimente zeigten, dass Interaktionen mit Nachbarzellen – den sogenannten Amakrinzellen – für diese Aufweitung des Informationsspektrums verantwortlich sind.
„Anstatt nur an das Gehirn zu melden ‚in meinem rezeptiven Feld ist es gerade hell/dunkel/grün/blau‘, können einige Bipolarzell-Typen mit dem Input ihrer Amakrinzellen-Nachbarn Informationen senden wie ‚bei mir ist es hell, aber nebenan ist es dunkel’“, erläutert Katrin Franke, die die Studie konzipierte und durchführte. Aus diesen Informationen könne das Gehirn dann einen vielschichtigen Eindruck von Übergängen und Kontrasten, Kanten und Bewegungen erzeugen.
Nach Angaben der Arbeitsgruppe dienen die Ergebnisse ihrer Forschung nicht nur der Grundlagenforschung, sondern sind auch für die Konzeption von Netzhautimplantaten entscheidend.
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