Blinde Mäuse reagieren wieder auf Licht mittels Retina-Transplantat

Kobe – Blinde Mäuse sollen dank eines Retina-Transplantats wieder Licht wahrnehmen können. Den Gewebeersatz haben die Forscher vom RIKEN Center for Developmental Biology in Japan aus induzierten pluripotenten Mausstammzellen (iPS-Zellen) hergestellt. Ihre Ergebnisse erschienen heute in Stem Cell Reports (2017; doi: 10.1016/j.stemcr.2016.12.008). Experten aus Deutschland und der Schweiz ordnen die Studie als wichtigen Fortschritt in der Entwicklung einer Netzhautersatztherapie ein. Sie zeigen aber auch Beweislücken der Studie auf.
Masayo Takahashi und ihre Kollegen untersuchten das Netzhaut-Transplantat in 21 Mäusen mit einer Retina-Degeneration im Endstadium. Den Tieren fehlte die äußere Zellschicht der Netzhaut vollständig. Nach einem Sehtraining reagierte fast jede zweite Maus (n = 9), die ein Stammzell-Transplantat erhalten hatte, wieder auf Licht. Auch wenn diese Reaktion noch nicht mit „Sehen“ gleichgesetzt werden könne, „für Patienten wäre es schon ein Gewinn“, sagt Gerd Kempermann, Sprecher des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen am Standort Dresden.
In bisherigen Studien transplantierten die Forscher vor allem Photorezeptoren, um die Sehfähigkeit wieder herzustellen. „Retinagewebe anstelle von Photorezeptoren zu implantieren, ermöglichte die Entwicklung einer reiferen und organisierten Morphologie, die eher auf Lichtreize reagiert“, erklärt Erstautor Michiko Mandai.
Die neuen Daten deuten darauf hin, dass die transplantierten Spenderzellen synaptische Verbindungen zu den vorhandenen Zellen der Maus aufgebaut haben (siehe Abbildung). „Das ist ein großer Schritt“, ordnet Kempermann die Ergebnisse ein. Ob eine wirkliche Integration stattgefunden habe, bliebe aber unklar. „Vielleicht sind die beobachteten funktionellen Effekte unspezifisch und nicht auf eine vollständige Integration angewiesen“, vermutet der Leiter der Arbeitsgruppe Genomische Grundlagen der Regeneration am DFG-Forschungszentrum für Regenerative Therapien (CRTD) in Dresden. Erste Hinweise auf synaptische Verbindungen nach einer Photorezeptor-Transplantation im gleichen Mausmodell wurden bereits 2013 von Singh et al. in PNAS gezeigt (2013; doi: 10.1073/pnas.1119416110).
Eines von zwei Verhaltensexperimenten positiv
Den Beweis, dass die Mäuse mit dem Retina-Transplantat Lichtreize wahrnahmen, brachte ein Verhaltensexperiment. Gesunde, sehende Mäuse lernen, Lichtreize mit verschiedenen Ereignissen zu assoziieren, blinde Mäuse können dies nicht. Die Forscher versuchten, die transplantierten Mäuse daher so zu konditionieren, dass sie eine plötzlich beleuchtete Raumhälfte verlassen müssen, um nicht mit einen elektrischen Strompuls bestraft zu werden.
Fast die Hälfte lernte anhand des Lichtreizes, dem Strompuls zu entgehen. Ob es allerdings eindeutig und ausschließlich auf die transplantierten Zellen zurückführbar ist, bezweifelt Günther Zeck, Leiter der Gruppe Neurophysik, Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut (NMI) an der Universität Tübingen: „Das Resultat könnte auch durch die intrinsisch lichtsensitiven Ganglienzellen begründet werden, welche bei Maus und Mensch für eine stabile Wahrnehmung der Umgebungshelligkeit sorgen.“ Eine zweiter Verhaltenstest, die optokinetische Stimulation, lieferte keine positiven Ergebnisse.
Neben den Verhaltensexperimenten führten die japanischen Forscher auch elektrophysiologische Messungen durch. Nach einer Transplantation kann in einigen Ganglienzellen blinder Retinas wieder lichtmodulierte Aktivität gemessen werden. Erstaunlich sei jedoch, dass – bis auf ein Beispiel – transplantierte Retina-Ganglienzellen nur auf heller werdendes Licht reagierten und nicht auf dunkel werdendes, sagt Zeck und führt fort: „Es gibt keinen Grund, warum nur eine Hälfte der Ganglienzellen aktiviert werden sollte. Darauf wird in dieser Studie nicht näher eingegangen.“
Dennoch wollen die Experten den Erfolg der Ergebnisse schmälern. „Bis heute gibt es keine belastbaren Ergebnisse, die beweisen, dass es zu einer Integration von transplantierten differenzierten Stammzellen in der degenerierten Netzhaut kommt. Deshalb sind Studien wie die jetzt vorliegende, welche den direkten Kontakt zwischen Transplantat und Empfängerstruktur zeigt, wichtig für die weitere Entwicklung von Zell-basierenden Therapieansätzen“, sagt Volker Enzmann, Leiter der Forschungsgruppe Experimentelle Ophthalmologie, Universitätsklinik für Augenheilkunde in Bern.
In einem nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler aus Japan in das gleiche Mausmodell Retinagewebe transplantieren, das aus humanen pluripotenten Stammzellen gewonnen wurde. Erst danach stehen Versuche mit Affen oder Schweinen an.
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