Digitalisierung: Interessengruppen verhindern Innovation

Berlin – Die COVID-19-Pandemie habe deutlich gemacht, in welchem geringen Maße das deutsche Gesundheitssystem digitalisiert ist. Das sagte Lothar Wieler, Leiter des Fachgebiets Digital Global Public Health und Sprecher des Digital Health Clusters am Hasso-Plattner-Institut (HPI) in dem Podcast „Neuland“ des HPI.
Informationen seien zwar digital vorhanden, die Daten lägen aber in Silos und seien oftmals nicht les- und auswertbar, kritisierte der ehemalige Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI). Wieler hatte das Institut für öffentliche Gesundheit seit 2015 auch durch die Pandemie geführt und ist zum 1. April diesen Jahres an das HPI gewechselt.
Wieler sieht unter anderem die vielen Interessengruppen im deutschen Gesundheitswesen als Grund, warum die Digitalisierung im Gesundheitsbereich hinterherhänge. Es gebe nicht nur die 16 Bundesländer mit ihren föderalen Interessen, sondern auch mehr als 100 gesetzliche und private Krankenversicherungen, dazu Krankenhausgesellschaften, Kassenärztliche Vereinigungen oder den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), so Wieler. „Je mehr Gruppen dort sind, desto schwieriger wird es natürlich, Innovation durchzusetzen, weil all diese Gruppen eigene Interessen haben“, sagte Wieler in dem Podcast.
Auch fehlende Schnittstellen machten es schwierig, vorhandene Daten nutzbar zu machen, sagte Wieler. Abzüge beim Datenschutz dürfe es aber nicht geben. Die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sei eine sehr wichtige Vereinbarung, doch mit Blick auf die europäischen Nachbarländer sei klar, dass beispielsweise Länder wie Lettland mit der gleichen Grundlage deutlich weiter in Bezug auf Digitalisierung seien.
Er sei auch deshalb an das HPI gewechselt, um sich mit den Risiken und Chancen der Digitalisierung im wissenschaftlichen Kontext stärker auseinandersetzen zu können, erklärte Wieler. Am HPI arbeite er im Bereich der globalen öffentlichen Gesundheit und wolle enger mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zusammenarbeiten.
Wichtig sei ihm auch das Thema Prävention, durch die man beispielsweise 80 bis 90 Prozent aller Diabetesfälle verhindern könne. Prävention ist für Wieler demnach „einer der sinnvollsten Ansätze der Medizin“. So könne etwa der Gebrauch von Wearables – kleine computergesteuerte Armbänder oder Ringe, die Körperwerte wie etwas Blutdruck oder den Puls messen – die Gesundheit der Menschen beeinflussen. „Wir wissen, dass man zum Beispiel mit Wearables das Verhalten bezüglich Gesundheit von Menschen beeinflussen kann“, sagte Wieler. Menschen lassen sich demzufolge von Daten beeinflussen und könnten dadurch gesünder leben.
Zudem müssten Ärztinnen und Ärzte möglichst digital auf Informationen zu Vorerkrankungen oder Medikationspläne zugreifen können, um besser und schneller diagnostizieren und behandeln zu können.
In dieser Hinsicht warnte er außerdem vor der Ungleichheit bei der Digitalisierung, die auch sichtbar zwischen Stadtteilen oder verschiedenen Landkreisen werde. „Wir dürfen es nicht zulassen, dass die digitale Ungleichheit größer wird“, betonte Wieler. Ziel müsse deshalb sein, dass etwa möglichst viele Gesundheitsapps auf ihren Handys nutzen könnten.
Wichtig ist Wieler auch, dass sogenannte Bias (auf deutsch Verzerrungen) bei der Datenauswertung möglichst vermieden werden. Ziel sei, dass alle Länder Gelegenheiten bekommen müssten, eigene Datensätze zu generieren. Verhindert werden solle etwa, dass Studien nur mit Probanden heller Hautfarbe durchgeführt werden und die Ergebnisse oder errechneten Algorithmen Künstlicher Intelligenz nicht mit dunklerer Hautfarbe funktionieren würden. Hier brauche es wichtige Regeln und Grundsätze, die von staatlicher Seite aus vorgegeben werden, so Wieler.
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