Dokumentation zur Rolle der bayerischen Ärzteschaft in der NS-Zeit veröffentlicht
München/Berlin – Eine 230 Seiten starke Dokumentation „Die Ärzteschaft in Bayern und die Praxis der Medizin im Nationalsozialismus“ hat die Bayerische Landesärztekammer (BLÄK) in München vorgestellt. Autorin ist Annette Eberle, Dekanin der Katholischen Stiftungsfachhochschule München, Abteilung Benediktbeuern, in Kooperation mit Michael von Cranach, Leiter der Arbeitsgruppe „Psychiatrie und Fürsorge im Nationalsozialismus“, und Gerrit Hohendorf, Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Technische Universität München (TUM), Klinikum rechts der Isar.
„Die Ärzteschaft hatte zweifelsohne einen wesentlichen Anteil am Programm zur Zwangssterilisation und Euthanasie im Nationalsozialismus. Daher ist wichtig, dass sich die BLÄK als Vertretung aller bayerischen Ärzte dieser Thematik annimmt“, sagte Kammerpräsident Max Kaplan bei der Buchpräsentation gestern im Münchner NS-Dokumentationszentrum.
Späte, intensive Auseinandersetzung
Die Dokumentation sei eine „späte, intensive Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und ihrem verbrecherischen Umgang mit Medizin und Pflege“, betonte er. „Nur wenn wir nachfragen, weiter forschen und analysieren, lernen wir als Einzelne und als Gesellschaft aus unserer Geschichte“, sagte der Präsident abschließend.
Auch andere Institutionen widmen sich der Aufarbeitung der NS-Verbrechen: So schreiben das Bundesministerium für Gesundheit, die Bundesärztekammer, die Bundeszahnärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung alle zwei Jahre einen Forschungspreis zur Rolle der Ärzteschaft in der Zeit des Nationalsozialismus aus.
Im vergangenen Herbst mahnte der Historiker Dominik Groß gleichwohl eine vertiefte Aufarbeitung an. Mit mehr als 45 Prozent hätte die Ärzteschaft die höchste NSDAP-Mitgliedsrate unter allen akademischen Berufsgruppen gehabt, betonte der Experte, der seit 2005 Direktor des Aachener Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin ist.
Viele NS-belastete Medizinprofessoren hätten in der Bundesrepublik ihre Unikarrieren nach dem Zweiten Weltkrieg fortgesetzt, kritisierte er. Deren Schüler wiederum hätten sich seiner Darstellung zufolge ihren akademischen Lehrern verpflichtet gefühlt und wenig Interesse an einer Aufarbeitung gezeigt. „Erst jetzt, in der dritten, vierten Generation, ist eine weitreichende Distanzierung festzustellen“, sagte Groß.
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