Drama um Sea-Watch polarisiert

Rom – Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat Italien wegen der Festnahme der deutschen Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete kritisiert. Im Sommerinterview des ZDF stellte er das Vorgehen der Regierung in Rom gegen die Seenotretter in Frage. Mit einem beispiellosen Manöver hatte die deutsche Hilfsorganisation Sea-Watch zuvor die offene Konfrontation mit Italien gewagt.
Trotz eines Verbots steuerte die 31 Jahre alte Kapitänin ihr Rettungsschiff mit 40 im Mittelmeer geretteten Migranten in der Nacht zum vergangenen Samstag in den Hafen der sizilianischen Insel Lampedusa. Sie wurde festgenommen. Auf Rackete kommt eine Geldstrafe zu, im schlimmsten Fall Haft.
Es könne ja sein, dass es italienische Rechtsvorschriften gebe, wann ein Schiff einen Hafen anlaufen dürfe, sagte Steinmeier laut einem Bericht von zdf.de. „Nur: Italien ist nicht irgendein Staat. Italien ist inmitten der Europäischen Union, ist Gründungstaat der Europäischen Union. Und deshalb dürfen wir von einem Land wie Italien erwarten, dass man mit einem solchen Fall anders umgeht.“
Insgesamt reichten die Reaktionen von Solidarität bis zu schierer Empörung. Der italienische Innenminister Matteo Salvini erhob schwerste Vorwürfe gegen Rackete. Auf Steinmeiers Äußerungen hin erklärte Salvini, der deutsche Präsident möge sich um das kümmern, was in Deutschland geschehe, und seine Bürger auffordern, nicht gegen italienische Gesetze zu verstoßen.
In Vergessenheit geriet in der Aufregung fast, dass die Migranten nach mehr als zwei Wochen auf dem Mittelmeer an Land gehen konnten. Denn die Odyssee der „Sea-Watch 3“ hatte am 12. Juni mit der Rettung von 53 Bootsflüchtlingen vor Libyen begonnen – mehrere Migranten konnten unter anderem wegen ihres Gesundheitszustands von Bord gehen. Zuvor hatte die Regierung in Rom sich auf eine drastische Verschärfung der Regeln für die Helfer verständigt. Sea-Watch ließ sich nicht davon abhalten und fuhr mit den Geretteten in Richtung Italien.
Nach tagelangem Warten an der Seegrenze sah sich die Kapitänin gezwungen, die „Sea-Watch 3“ auf Lampedusa zuzusteuern und schließlich in den Hafen zu fahren. Dort touchierte sie auch noch ein Boot der Finanzpolizei. Nach italienischen Medienberichten soll sich Rackete dafür bereits entschuldigt haben. Für Innenminister Salvini ist die Aktion der Beweis, dass die Seenotretter „Kriminelle“ seien. Er verteidigte die „Linie der Strenge“ seiner Regierung und sagte mit Blick auf die Helfer: „Sie haben die Maske abgelegt: Das sind Verbrecher.“
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) schaltete sich am Samstag via Twitter ein: „Seenotrettung darf nicht kriminalisiert werden. Es ist an der italienischen Justiz, die Vorwürfe schnell zu klären.“ Menschenleben zu retten, sei eine humanitäre Verpflichtung. Die Bundesregierung dringt nach den Worten von Innenminister Horst Seehofer (CSU) auf eine „gemeinsame europäische Lösung“ zur Aufnahme der 40 Bootsflüchtlinge.
Aus Deutschland gab es für die Hilfsorganisation eine Welle der Solidarität. Nach der Festnahme ihrer Kapitänin gingen die Spenden in die Höhe. Mehr als eine Million Euro gingen bereits ein. Über den Aufruf der Fernsehmoderatoren Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf kamen bis heute Mittag mehr als 735.000 Euro zusammen, auf einer italienischen Facebook-Seite wurden mehr als 410.000 Euro gesammelt. Das Spendengeld sei einerseits für die Gerichtskosten von Rackete, erklärte Sea-Watch-Sprecher Ruben Neugebauer. Er fügte hinzu: „Wenn das Schiff beschlagnahmt bleibt, brauchen wir ein neues.“
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