Politik

Omikron macht Zusammenarbeit notwendig, Beratungen über schärfere Maßnahmen

  • Dienstag, 21. Dezember 2021
/picture alliance, Robert Michael
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Berlin – Die Opposition im Bundestag sollte sich einer Zusammenarbeit mit der Regierung in der Corona­krise nicht verschließen. Diesen Appell hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) heute in einer Sondersitzung des Gesundheitsausschusses an die Abgeordneten im Parlament gerichtet. Die Coro­nakrise spitze sich zu und sei nur gemeinsam zu lösen, hieß es im Bundestagsdienst hib heute.

Lauterbach sprach demnach mit Blick auf die neue Omikron-Variante von einer „Schlüsselphase der Pan­demie“. Der aktuelle Rückgang der Infektionszahlen ist nach Aussage Lauterbachs aufgrund der Modell­berechnungen zur Delta-Variante zu erwarten gewesen. Ohne die Omikron-Variante wäre eine Überlas­tung der Kliniken und insbesondere der Intensivmedizin nicht zu erwarten gewesen.

Omikron habe die Lage aber „stark verändert“. Aufgrund des durch die neue Variante verringerten Schutz­status auch bei doppelt Geimpften sei eine Auffrischung notwendig. Unklar ist Lauterbach zufolge noch, inwiefern sich der Krankheitsverlauf bei Omikron von der Delta-Variante unterscheidet. Derzeit werde von einem etwas milderen Verlauf ausgegangen, die Daten seien aber noch nicht verlässlich.

Der Minister betonte, neben dem neuen Corona-Expertenrat halte die Bundesregierung auch Kontakt zu anderen renommierten Wissenschaftlern, darunter in Großbritannien, um die Omikron-Variante besser beurteilen zu können. Lauterbach forderte eine möglichst hohe Boosterquote im Kampf gegen Omikron. Um der Impfkampagne Nachdruck zu verleihen, bemühe sich die Regierung um die Beschaffung von ausreichend Impfstoff.

Thema in der Ausschusssitzung waren auch die verfügbaren Anti-Corona-Medikamente, der unlängst zugelassene neue Coronaimpfstoff, die Entwicklung von Omikron-spezifischen Vakzinen sowie mögliche Kontaktbeschränkungen.

Ministerpräsidenten tagen zur Stunde

Kontaktbeschränkungen auch für Geimpfte, voraussichtliche Einschränkungen bei Veranstaltungen und Clubschließungen sind zur Stunde Thema bei einem Treffen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und den Ministerpräsidenten der Länder in der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK). Vorab hatten Vertreter von Bund und Ländern bereits angedeu­tet, wie die neuen Regeln aussehen könn­ten. Auch verschiedene Beratungsvorlagen kursierten, die aber derzeit nur einen Zwischenstand wiedergeben.

Die Regeln für Weihnachten könnten demnach bleiben wie sie sind. Laut Beschluss der letzten Bund-Län­der-Run­de von Anfang Dezember gilt: Treffen, an denen auch nur ein Ungeimpfter oder nicht Genese­ner beteiligt ist, werden beschränkt auf den eigenen Haushalt und maximal zwei Personen eines ande­ren. Kinder sind ausgenommen. Keine Beschränkung soll es für Treffen geben, an denen ausschließlich Geimpfte und Genesene teilnehmen. „Die Zahl der Kontakte bei Familienfeiern sollte eigenverantwortlich begrenzt werden“, heißt es in den Beratungsvorlagen.

Spätestens nach Weihnachten könnte es dann Änderungen geben. Maximal zehn Personen könnten (Stand gestern) noch erlaubt sein. Kinder zählen nicht mit. Ist ein Ungeimpfter oder Nicht-Genesener dabei, soll weiterhin gelten: maximal der eigene Haushalt plus zwei Personen eines anderen. Große Silvesterpartys wären damit tabu. „Silvesterfeiern mit einer großen Anzahl von Personen sind in der gegenwärtigen Lage nicht zu verantworten“, heißt es in den Papieren.

In einigen Bundesländern darf schon seit einiger Zeit nicht mehr getanzt werden. Schließungen sind nach dem letzten Bund-Länder-Beschluss von Anfang Dezember aber an den Inzidenzwert von 350 ge­koppelt. Nun könnte bundesweit die Musik ausgehen. „Clubs und Diskotheken („Tanzlustbarkeiten“) in Innenräumen“ werden voraussichtlich geschlossen. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) hatte sich gestern sicher gezeigt, dass es dazu kommen wird.

Für Fußballspiele, Konzerte oder andere Veranstaltungen könnte es neue Zuschauerobergrenzen geben oder sogar Zuschauerverbote. SPD-Chefin Saskia Esken hatte von einer „wesentlichen Beschrän­­kung der Großveranstaltungen“ gesprochen. Nach bisheriger Beschlusslage vom letzten Bund-Länder-Gipfel An­fang Dezember gilt, dass Stadien und Konzerthallen zu maximal zu 50 Prozent ausgelastet werden dürfen, draußen mit höchstens 15.000 Zuschauern, drinnen mit maximal 5.000.

Echte Lockdownmaßnahmen wie zum Beispiel in den Niederlanden mit geschlossenen Geschäften, Schulen und Lokalen sind in Deutschland zunächst wohl nicht geplant. Die Ampel-Parteien hatten das Infektionsschutzgesetz im Herbst so geändert, dass das ohne weiteres auch nicht möglich wäre. „Wenn es die pandemische Lage erzwingen würde, dann müsste der Bundestag das wieder ändern“, hatte Nord­rhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) gesagt. Sollte sich die Lage im Januar extrem verschärfen, dürften entsprechende Forderungen lauter werden.

Der Corona-Expertenrat der Bundesregierung hatte vor einer extremen Belastung des Gesundheitssys­tems und der gesamten kritischen Infrastruktur, wie Kliniken, Feuerwehr oder Stromversorgung gewarnt, sollten viele Menschen zeitgleich krank werden oder in Quarantäne müssen. Der Grund: Die Omikron-Variante wird als deutlich ansteckender eingeschätzt.

Bei den Beratungen von Bund und Ländern geht es nun auch darum, Vorbereitungen zu treffen. „Bund und Länder fordern die Betreiber kritischer Infrastrukturen auf, ihre jeweiligen betrieblichen Pandemie­pläne umgehend zu überprüfen, anzupassen und zu gewährleisten, dass diese kurzfristig aktiviert werden können“, heißt es in den vorab bekanntgewordenen Beratungsvorlagen.

Bund und Länder wollen das Impftempo weiter hochhalten. Wie aus den Beschlussvorlagen hervorgeht, soll das Ziel ausgegeben werden, bis Ende Januar weitere 30 Millionen Impfungen (Booster-, Erst- und Zweitimpfungen) zu erreichen. Impfangebote speziell für Kinder sollen „soweit noch nicht geschehen“ auf- und ausgebaut werden, „um diesen einen niederschwelligen Zugang zu Impfungen zu ermöglichen“.

Mit Ergebnissen der MPK, die seit 16 Uhr tagen, ist heute Abend zu rechnen. Wann genau Bund und Länder vor die Presse treten werden, ist aber noch unklar. Vor 18 Uhr ist nicht damit zu rechnen.

Kontaktbeschränkung in Hamburg

Hamburg beschloss bereits vor der MPK heute, die Coronaregeln noch vor Weih­­­­nachten zu verschärfen. Nach einem Beschluss des rot-grünen Senats sollen ab Heiligabend Kon­taktbeschränkungen auch für Geimpfte und Genesene, eine Sperrstunde für die Gastronomie, ein Tanz­verbot sowie scharfe Regeln für Silvester gelten.

Nur noch maximal zehn Geimpfte oder Genesene dürfen ab dem 24.12. privat zusammentreffen, sagte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) heute. Ausgenommen von der Kontaktbeschränkung sind Kinder unter 14 Jahren.

Das Tanzverbot kommt faktisch einer Schließung von Clubs und Diskotheken gleich, für die dem Senat aber die rechtliche Grundlage fehlt. Für die Gastronomie wird es zudem eine Sperrstunde von 23 Uhr an geben. Eine Ausnahme ist für den Neujahrsmorgen geplant. Dann dürfen Kneipen, Gaststätten und Bars bis 1 Uhr geöffnet bleiben. Außerdem dürfen in gastronomischen Betrieben keine Stehplätze mehr ange­boten werden.

Strategie sei es, „die Ausbreitung der Omikron-Variante zu verlangsamen (...), um mehr Zeit zu haben für die dann schützenden Booster-Impfungen“, sagte Tschentscher. Deshalb seien auch Kontaktbeschränkun­gen für Geimpfte und Genesene nötig. Für Ungeimpfte gelten bereits schärfere Beschränkungen. Sie dür­fen nur noch mit den Mitgliedern des eigenen Haushalts und maximal zwei Mitgliedern eines weiteren Haushalts zusammentreffen.

Zudem beschloss der Senat die bereits angekündigten Einschränkungen zu Silvester. So darf auf öffentli­chem Grund kein Feuerwerk gezündet werden; auch darf man Böller, Raketen und andere Pyrotechnik nicht dabei haben. Außerdem gilt ein Ansammlungsverbot. Demnach dürfen sich in der Zeit zwischen 31. Dezember, 15 Uhr, und 1. Januar, 9 Uhr, nicht mehr als zehn Menschen im öffentlichen Raum treffen oder zusammenstehen.

Tschentscher verglich die Situation mit Weihnachten vor einem Jahr, als die Sieben-Tage-Inzidenz nur etwa halb so hoch war wie heute. „Die Geschäfte hatten geschlossen, es gab keine Kultur- oder Sportver­anstaltung (...) Diese Situation haben wir jetzt nicht, weil wir geimpft sind.“

Auch Hamburgs Gesundheitssenatorin Melanie Leonhard (SPD) betonte, dass damals bei nur etwa halb so hoher Inzidenz doppelt so viele Coronapatienten auf den Intensivstationen der Hamburger Kliniken lagen. Dies sei das beste Argument für das Impfen. Sie forderte noch Ungeimpfte auf von den Angeboten der Stadt, die auch über die Feiertage arbeiten würden, Gebrauch zu machen.

Schon im Vorfeld der MPK hatten gestern und heute morgen eine Reihe von Politikern ihre Vorstellungen für den weiteren Weg in der Krise aufgezeigt. Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen hält es für erforderlich, einen weitgehenden Lockdown vorzubereiten. Dies sei wichtig, um solche Maßnahmen dann je nach Lageentwicklung und der Ausbreitung der Omikron-Variante des Coronavirus schnell und „ohne neue lange Beratungen“ umsetzen zu können, sagte er im ARD-„Morgenmagazin“.

Nach Ansicht des Bundesjustizministers und FDP-Politikers Marco Buschmann sollte ein Lockdown zur Eindämmung der Coronapandemie verhindert, aber nicht ausgeschlossen werden. „Ein Instrument ein für alle Mal auszuschließen, das empfiehlt sich nicht in einer dynamischen Lage“, sagte er im Deutschland­funk. „Aber im Moment wollen wir auf die Booster-Kampagne setzen und mit dem Instrument der Kon­taktbeschränkungen arbeiten.“

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek hat davor gewarnt, auf bestimmte Maßnahmenverschär­fungen von vornherein zu verzichten. „Im Moment ausschließen kann man, wenn man ehrlich ist, auf Dauer noch gar nichts“, sagte der CSU-Politiker heute im Deutschlandfunk.

„Man muss für die Zukunft alles offenhalten.“ Niemand wisse, was mit der befürchteten Omikron-Welle noch alles auf Deutschland zukomme. „Dieses Virus hat eine große Wucht“, sagte der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz. „Ich glaube, wir müssen uns bewusst machen, es ist nach wie vor eine epidemische Notlage.“

Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Tino Sorge hat sich für Beschränkungen des öffentlichen Lebens über Weihnachten ausgesprochen. „Liest man die Einschätzung des Expertenrates, ist es fragwürdig, warum der Minister einen Lockdown vor Weihnachten kategorisch ausschließt“, sagte er.

Lauterbach widerspreche seinen eigenen Beratern, die einstimmig auf schnelle Kontaktbeschränkungen drängen, sagte er den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). Die traditionell ruhigen Feiertage seien „eine ideale Phase, um das öffentliche Leben für einige Zeit herunterzufahren“.

dpa/afp/may

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