Politik

Bund-Länder-Gipfel zu Corona

  • Montag, 20. Dezember 2021
/picture alliance, Michael Kappeler
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Berlin – Die rasante Ausbreitung der Omikron-Variante des Coronavirus SARS-CoV-2 könnte schon bald schärfere Maßnahmen zum Infektionsschutz nach sich ziehen. Morgen wollen Bund und Länder über das weitere Vorgehen beraten. Darauf verständigten sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz.

Zur Eindämmung der vorhergesagten massiven fünften Coronawelle erwägen Bund und Länder dabei deutliche Kontaktbeschränkungen bei privaten Treffen und im Freizeitbereich. „Zum Thema, welche wei­teren Beschränkungen denkbar sind, werden sich Bund und Länder jetzt austauschen“, sagte der stell­vertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner heute in Berlin.

„Es ist naheliegend, dass es da insbesondere um private Zusammenkünfte geht, für die heute vielerorts noch eine Obergrenze von 50 Personen indoor und 200 Personen outdoor gilt und um Großveranstal­tungen und Bars und Clubs.“

Wie aus einer Beschlussvorlage zur Vorbereitung der Bund-Länder-Konferenz hervorgeht, könnten nach Weihnachten Kontaktbeschränkungen auch für geimpfte und genesene Personen greifen. Ab dem 28. Dezember sollten private Zusammenkünfte von Geimpften und Genesenen nur noch mit maximal zehn Personen erlaubt sein, ist der Vorlage zu entnehmen. Insbesondere Silvesterfeiern mit einer großen Anzahl von Personen seien in der gegenwärtigen Lage nicht zu verantworten.

Die Vorlage mit Stand Montagvormittag wurde vom Kanzleramt verschickt. Es handelt sich demnach aber nur um einen Zwischenstand. Über die Vorschläge stimmen sich die Regierungschefs der Länder erst morgen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ab.

Die Obergrenze von zehn Personen soll laut vorläufigem Beschlussvorschlag für private Treffen innen wie im Außenbereich gelten. Kinder bis 14 Jahre seien davon ausgenommen. Sobald eine ungeimpfte Person an einer Zusammenkunft teilnimmt, sollen wieder die Kontaktbeschränkungen für ungeimpfte Personen gelten: Das Treffen müsste dann auf den eigenen Haushalt und höchstens zwei Personen eines weiteren Haushaltes beschränkt werden.

Außerdem sollen alle Clubs und Diskotheken bundesweit schließen. Veranstaltungen in Innenräumen, aber auch im Freien sollen mit neuen Kapazitätsgrenzen belegt werden, die in dem Beschlussvorschlag aber noch nicht genannt werden.

NRW-Ministerpräsident Wüst (CDU) hatte im „Morgenmagazin“ der ARD betont, es solle zudem ein „Not­fallplan“ verabschiedet werden, um das Land weiter am Laufen zu halten, wenn sehr viel Menschen am Coronavirus erkranken sollten. Als Beispiele nannte er Strom- und Wasserver­sor­gung, die Müllabfuhr und den Gesundheitssektor. Unterstützung im Notfall könnten hier die Bundes­wehr und das Technische Hilfswerk leisten. Auch die Fortsetzung und Beschleunigung der Boosterimpfkampagne stehe auf dem Programm.

„Die Omikron-Variante mahnt zur absoluten Wachsamkeit“, sagte Wüst. Er wollte nicht ausschließen, dass die Kontaktbeschränkungen auch für Geimpfte und Genesene gelten werden. „Wir sollten vorsichtig sein, irgend etwas auszuschließen“, sagte er. Klar sei schon jetzt: „Die große Silvesterparty kann in diesem Jahr wieder nicht stattfinden.“

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte den Sendern RTL und ntv, es zeichne sich ab, „dass die Kontaktmöglichkeiten auch bei Veranstaltungen nochmal reduziert werden“. Weihnachts­fei­ern im kleinen Kreise mit der Familie sollten möglich sein, aber „es gehen eben keine Silvesterpartys, es gehen keine Feiern im großen Kreis“. Dies müsse „jetzt auch kommuniziert werden, und das wird sicher­lich in den nächsten Tagen massiv erfolgen“.

Einen generellen Lockdown halte er derzeit noch für unwahrscheinlich, sagte der scheidende Regie­rungschef. Trotzdem müsse bei den Maßnahmen nun nachgeschärft werden: „Die Kontaktbeschränkun­gen sind ja kein Lockdown. Aber ich glaube, wir müssen da tatsächlich nochmal ran.“

Einen Lockdown vor Weihnachten hatte auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ausgeschlos­sen. Auf die Frage, was mit der Zeit nach den Festtagen sei, sagte der SPD-Politiker in der Bild-Sendung „Die richtigen Fragen“: „Ich glaube, auch da werden wir keinen harten Lockdown haben.“ Er schrieb aber auf Twitter, man müsse eine offensive Boosterimpfkampagne fahren und „die Maßnahmen der Kontakt­reduktion verschärfen“.

Der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen brachte hingegen einen Lockdown nach den Feierta­gen ins Spiel. „Wir müssen mit unseren Maßnahmen vor die Omikron-Welle kommen. Unser heutiges Handeln bestimmt die morgige Pandemielage“, sagte er. „Angesichts der äußerst hohen Übertragbarkeit von Omikron werden wir um einen Lockdown nach Weihnachten vermutlich nicht herumkommen. Ein mög­liches Szenario wäre ein gut geplanter Lockdown Anfang Januar.“

Der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, sagte der Augsburger Allgemeinen, er sehe „leider einen Lockdown auf uns zukommen, der uns alle betreffen wird“. „Die ersten Berichte weisen darauf hin, dass selbst nach dem Boostern der Schutz vor einer Omikroninfektion nur bei rund 75 Prozent liegen könnte, während er bei Delta nach der dritten Impfung bei weit über 90 Prozent liegt.“

Das würde bedeuten, dass sich viel mehr geimpfte Menschen mit Omikron anstecken könnten, betonte er. „Wir werden die bei Omikron hochschießenden Inzidenzen sehr stark runterbringen müssen, und das wird uns nicht jetzt wie in dieser vierten Welle mit Boosterimpfungen gelingen, sondern dann nur wieder mit Abstand und Kontaktbeschränkungen“, sagte Watzl.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, sagte dem Tagesspiegel: „Die Gefahr besteht, dass wir in einen neuen Lockdown müssen.“ Wenn sich die Omikron-Variante in Deutschland trotz der Boosterkampagne so schnell ausbreite wie gerade in England oder den Niederlanden, „werden weitere Kontaktbeschränkungen wahrscheinlich kaum zu vermeiden sein“.

Angesichts der rasanten Ausbreitung der Omikron-Variante hat die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) vor einer Eskalation der Lage in deutschen Krankenhäusern gewarnt. „Wenn sich die Prognosen bestätigen, wonach die Omikron-Variante sehr viel ansteckender ist als Delta und auch der Impfschutz gegen schwere Verläufe bei nicht geboosterten Menschen schwächer ist, werden wir es im schlimmsten Fall mit einer großen Zahl gleichzeitig schwer erkrankter Patienten zu tun haben“ sagte der DKG-Vor­standsvorsitzende Gerald Gaß der Rheinischen Post.

Für die Krankenhäuser wäre dies eine weiter verschärfte Lage, „die über all das hinausgeht, was wir bis­her erlebt haben“, warnte Gaß. „Diese fünfte Welle würde uns nach den Berechnungen der Wissen­schaft­ler treffen, noch bevor die aktuell hohe Belegung auf den Intensivstationen deutlich gesunken ist“, sagte er der Zeitung.

Auch weitere personelle Engpässe seien denkbar: In Ländern wie Großbritannien und Dänemark sehe man, dass durch die hohen Infektionszahlen auch deutlich mehr Beschäftigte im Gesundheitswesen coronabedingt ausfallen. „Noch mehr schwerkranke Patienten und zeitgleich massive Personalausfälle wäre eine weitere Eskalation der Situation, die über das bisherige hinausgeht“, betonte der DKG-Chef.

Gaß appellierte an die Regierung, weitere Kontaktbeschränkungen nicht auszuschließen. „Wir dürfen dann keine Zeit verlieren, dann muss sofort gehandelt werden, noch bevor die Zahlen auch in Deutsch­land nach oben gehen und eine Überlastung der Krankenhäuser nicht mehr zu verhindern ist“, betonte er.

Der neue Coronaexpertenrat der Bundesregierung hatte gestern gewarnt, Omikron bringe eine „neue Dimension“ in das Pandemiegeschehen. Die Experten sehen „Handlungsbedarf“ bereits für die kommen­den Tage.

„Wirksame bundesweit abgestimmte Gegenmaßnahmen zur Kontrolle des Infektionsgesche­hens sind vorzubereiten, insbesondere gut geplante und gut kommunizierte Kontaktbeschränkungen“, heißt es in der Stellungnahme. Die aktuell geltenden Maßnahmen müssten darüber hinaus „noch strin­gen­ter“ fort­geführt werden.

Omikron zeichne sich durch eine wesentlich stärkere Übertragbarkeit und Unterlaufen eines bestehen­den Immunschutzes aus, so die Experten. Die Variante infiziere in kürzester Zeit deutlich mehr Menschen und beziehe auch Genesene und Geimpfte stärker in das Infektionsgeschehen ein: „Dies kann zu einer explosionsartigen Verbreitung führen.“

Der Expertenrat warnte zudem: „Sollte sich die Ausbreitung der Omikron-Variante in Deutschland so fort­setzen, wäre ein relevanter Teil der Bevölkerung zeitgleich erkrankt und/oder in Quarantäne. Dadurch wäre das Gesundheitssystem und die gesamte kritische Infrastruktur unseres Landes extrem belastet.“ Hierzu gehörten unter anderem Krankenhäuser, Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst, Telekommu­nikation, Strom- und Wasserversorgung und die entsprechende Logistik.

Neben den Spitzen von Bund und Ländern will sich morgen auch der Gesundheitsausschuss des Bun­destages mit der Coronalage befassen. Auf der Sondersitzung wird es um Schlussfolgerungen gehen, die sich aus den Empfehlungen des Expertenrates zur Coronapandemie ergeben, wie Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann sagte. Von den Beratungen solle das Signal ausgehen, dass Bund und Länder „geschlossen handeln".

Der Gesundheitsausschuss wird am Dienstag um 13 Uhr tagen, daran wird auch Bundesgesundheits­minister Karl Lauterbach (SPD) teilnehmen. Für 16 Uhr wurde die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) mit dem Bund anberaumt.

dpa/afp

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