Politik

Enquetekommission: Ex-Bundesgesundheitsminister Spahn wollte „maximalem Mangel“ entgegenwirken

  • Montag, 15. Dezember 2025
Der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), heutiger Chef der Unionsfraktion im Bundestag, und Margaretha Sudhof, Sonderbeauftragte zur Aufarbeitung der Maskenbeschaffung, stellten sich heute den Fragen der Corona-Enquetekommission. /Screenshot DÄ
Der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), heutiger Chef der Unionsfraktion im Bundestag, und Margaretha Sudhof, Sonderbeauftragte zur Aufarbeitung der Maskenbeschaffung, stellten sich heute den Fragen der Corona-Enquetekommission. /Screenshot DÄ

Berlin – In der aufgrund der Coronapandemie entstandenen „Ausnahmesituation“ habe man „maximalem Mangel“ entgegenwirken müssen, sagte der frühere Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) heute bei einer Anhörung der Enquetekommission zur Corona-Aufarbeitung im Bundestag. Dabei sollten noch bis zum frühen Abend die Themen Beschaffung von Impfstoffen und medizinischen Materialien sowie die Versorgungssicherheit im Mittelpunkt stehen.

Spahn verwies darauf, dass die herkömmlichen Beschaffungsinstrumente seiner Einschätzung nach in der damaligen Situation nicht gegriffen hätten. Die teils chaotische Marktlage habe unter anderem dazu geführt, dass aus dem Handeln der Beschaffungsämter kaum reale Lieferungen resultiert hätten. Dafür habe es viele Beispiele gegeben. Deshalb sei gemeinsam innerhalb der Bundesregierung und des Bundeskabinetts entschieden worden, „Geschwindigkeit vor Perfektion“ treten zu lassen.

Vom ehemaligen Bundesgesundheitsminister wurde im Rahmen der Anhörung – insbesondere mit Blick auf geäußerte Kritik an möglicher Überbeschaffung – mehrfach darauf hingewiesen, dass man in der ersten Phase der Coronapandemie weitere Wellen bei zugleich mangelnder Versorgung mit Schutzmasken aus dem Hauptherstellerland China befürchten musste.

In einem vorab veröffentlichten schriftlichen Statement an die Kommission moniert das als Sachverständiger geladene Mitglied des Bundesrechnungshofes (BRH), Oliver Sievers, dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) die BRH-Kritik bis heute nicht anerkenne und eine kritische Auseinandersetzung mit seiner Beschaffungstätigkeit vermissen lasse. „Dies hat die Schaffung klarer Regeln und Strukturen für künftige Krisen nicht befördert.“

Im Rahmen der Anhörung sprach Sievers von einer „massiven Überbeschaffung“ seitens des BMG. Zwar sei es als großer Erfolg zu bewerten, dass in Deutschland größere Engpässe an Schutzmasken vermieden werden konnte. Zugleich müsse man aber verzeichnen, dass Milliarden Masken vernichtet werden mussten und Klagen in Milliardenstreitwert anhängig seien. „Ein Mandat, einen Jahresbedarf einzukaufen, ist eine nachträgliche Konstruktion“, kritisierte Sievers. In der vorliegenden Dokumentation sei nichts entsprechendes zu finden.

Der BRH hatte in mehreren Berichten unter anderem eine Überbeschaffung von Masken kritisiert. Der BRH-Fachmann mahnt nun, dass die Versorgungssicherheit mit Schutzausrüstung im Gesundheitswesen nach wie vor nicht gewährleistet sei. Das Ministerium habe die „überbeschafften Bestände“ an Schutzmasken zum Kern einer noch zu schaffenden nationalen Reserve erklärt, wofür aber bis heute eine rechtliche Grundlage und ein konzeptioneller Rahmen fehlten.

Es fehle auch ein Überblick, wo welche Produkte für welche Zwecke gelagert würden. Hier brauche es mehr Vernetzung, um resilienter zu werden. Sievers empfiehlt anstelle einer Bundeszuständigkeit Vorgaben für eine bedarfsträger- und marktnahe Bevorratung, etwa bei Klinikzentren oder beim Fachgroßhandel. „Dort bestehen praktische Erfahrung und fachliche Expertise für eine bedarfsgerechte Planung.“

Warnung vor Überregulierung

Der Sachverständige Martin Burgi von der LMU München schreibt im Fazit seiner Stellungnahme an die Kommission, bei der Weiterentwicklung der Beschaffungsstrukturen und des Vergaberechts mit dem Ziel einer verbesserten Krisentauglichkeit müsse durchgehend im Auge behalten werden, dass insbesondere in Pandemiesituationen die staatliche Schutzpflicht für Leben und körperliche Unversehrtheit die oberste Richtschnur sämtlicher Maßnahmen und Entscheidungen sei.

„Vor einer etwaigen Überregulierung ist zu warnen, weil Flexibilität, Entscheidungsfreude und teilweise auch Risikobereitschaft der Verantwortlichen auf allen staatlichen Ebenen ihrerseits wichtige Faktoren bei der Krisenbewältigung bilden“, betonte der Rechtswissenschaftler, der an der LMU die Forschungsstelle für Vergaberecht und Verwaltungskooperationen leitet.

Spahn verteidigte die Beschaffungspolitik bereits zuvor im ARD-Morgenmagazin – teilweise mit Argumenten, die er in den vergangenen Monaten immer wieder anführte. Der heutige Unionsfraktionschef räumte nun zwar ein, dass man zu viel an Desinfektionsmittel, Beatmungsgeräten, Impfstoffen und Schutzmasken beschafft habe. „Aber wir wollten in der damaligen Lage eben vorsorgen für alles, was kommen konnte. Wir hatten am Anfang von allem zu wenig und am Ende von allem zu viel – besser als andersherum“, sagte er.

Mit dem Wissen von heute hätte man manche Entscheidungen eventuell anders getroffen, betonte der CDU-Politiker. Er verwies aber darauf, dass damals mit großer Schnelligkeit und unter großem Druck habe entschieden werden müssen. Spahn verwies auf die Engpässe bei Masken in der Anfangsphase der Pandemie.

In der Bundesregierung sei damals gemeinsam entschieden worden: „Es soll lieber Geld kosten als Menschenleben.“ Deutschland habe 5,7 Milliarden Schutzmasken für 5,9 Milliarden Euro bezahlt, also gut einen Euro pro Maske. Nach seinen Worten gab Großbritannien 18 Milliarden Euro für Masken aus. Der Ex-Minister gab zudem zu bedenken, dass Vorsorge nicht zum Nulltarif zu haben sei.

Grüne und Linke wollten in der bis zum Abend angesetzten Anhörung der Enquetekommission mehr Aufklärung verlangen. Auch die ehemalige Sonderermittlerin Margaretha Sudhof, die von Ex-Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eingesetzt worden war, ist geladen. Infolge ihres Berichts über die Krisenbewältigung der Regierung war Spahn im Sommer unter Druck geraten.

Dort heißt es, die damalige Entscheidung des CDU-Politikers, die Schutzmaskenbeschaffung allein meistern zu wollen, ziehe bis heute „erhebliche Kosten und Risiken“ nach sich. Die Sonderermittlerin hatte festgestellt, dass Spahn „gegen den Rat seiner Fachabteilungen“ groß in die Maskenbeschaffung eingestiegen sei. In Beschaffungsthemen erfahrene Behörden hätten bereitgestanden und mehrfach gewarnt. Sudhof ist bereits mehrfach im Haushaltsausschuss des Bundestages angehört worden, allerdings hinter verschlossenen Türen.

Grünen-Obfrau fordert Transparenz von Spahn

Die Grünen-Obfrau Paula Piechotta sagte vorab, es sei entscheidend, ob sich aus Akten und Verträgen Pflichtverletzungen, Vetternwirtschaft oder massives Missmanagement nachweisen lassen – und wer politisch die Verantwortung trage. „Wenn Herr Spahn überzeugt ist, dass alles korrekt war, sollte er vollständige Transparenz unterstützen, statt auszuweichen.“

Mit einem riesigen Fragenkatalog wollen die Grünen die Regierung derzeit zu Antworten verpflichten. Unabhängig davon, ob sich der damalige Gesundheitsminister persönlich bereichert habe, hätte „ein Ego-Shooter wie Spahn krisenwichtige Beschaffungen“ nie an sich ziehen dürfen, kritisierte Piechotta. Zu klären sei auch, ob „Spahns Netzwerke“ durch ihn profitiert hätten.

Auch aus Sicht der Linken sind noch viele Fragen rund um die Maskendeals offen. Offenkundig bleibe, dass Spahn einen enormen Anteil an dem Milliardendesaster habe, sagte der Obmann der Linken, Ates Gürpinar. Die begrenzt mögliche Akteneinsicht im Rahmen der Enquetekommission reiche aber nicht aus.

„Wir brauchen einen Untersuchungsausschuss zur Maskenaffäre und wir brauchen ihn schnell“, forderte Gürpinar. Grüne und Linke rufen Union und SPD seit längerem dazu auf, die Einsetzung mitzutragen. Sie haben dafür zu wenige Stimmen, wollen aber kein gemeinsames Vorgehen mit der AfD.

Bund drohen Zahlungen in Milliardenhöhe

Um in der Krise ausreichend Schutzmasken zu beschaffen, hatte das BMG ein besonderes Verfahren angewendet, bei dem Lieferverträge ohne weitere Verhandlungen zu festen Preisen zustande kamen: das sogenannte Open-House-Verfahren. Mehr Firmen als gedacht machten bei der Ausschreibung mit. Später klagten Lieferanten wegen verweigerter Bezahlung nach Mängelbeschwerden.

Im Juli 2024 verurteilte das Oberlandesgericht Köln den Bund zur Zahlung von 86 Millionen Euro plus Zinsen an eine Handelsfirma. Der Fall liegt nun beim Bundesgerichtshof. Piechotta sagt, im Fall eines juristischen Erfolgs der Unternehmer „zahlen wir als Steuerzahler nochmal 2,5 Milliarden plus Zinsen“.

Der BRH kritisiert daneben aber auch Einzelverträge, die das BMG bis in den Mai 2020 geschlossen habe. Daraus resultierten demnach die teuersten Masken und die größten Mengen. „Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass das Open-House-Verfahren unerwartet viele Angebote ausgelöst hatte“, heißt es in der Stellungnahme von Sievers.

aha/ggr/dpa

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