Erste bundesweite Coronaauflagen passé, Länder unter Druck

Berlin – Trotz hoher Infektionszahlen sind erste bundesweite Coronaschutzauflagen für Millionen Menschen beendet. Am Lockerungskurs der Ampelkoalition gibt es allerdings weiter breite Kritik. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) rief die Länder zur Umsetzung des neuen Rechtsrahmens auf, der bei kritischer Lage zumindest regional schärfere Auflagen ermöglicht.
Den Bundesländern sind nach Änderungen des Infektionsschutzgesetzes, die der Bundestag am vergangenen Freitag unter Protest der Länder beschlossen hatte, noch wenige allgemeine Schutzvorgaben im Alltag – etwa zu Masken und Tests in Einrichtungen für gefährdete Gruppen wie Pflegeheimen und Krankenhäusern und Arztpraxen – möglich.
Für regionale „Hotspots“ kann es weitergehende Beschränkungen geben, wenn das Landesparlament für diese eine besonders kritische Coronalage feststellt. Alle Länder wollen noch eine Übergangsfrist nutzen und bisherige Regeln bis längstens 2. April aufrechterhalten.
Lauterbach verteidigte die Neuregelungen erneut. „Wir können nicht immer weiter die Freiheitsrechte der gesamten Bevölkerung begrenzen, nur weil zehn Prozent der Über-60-Jährigen nicht impfbereit sind“, sagte er gestern in der ARD.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte: „Zwei Jahre nach Beginn des ersten Lockdowns kehren wir jetzt zur Normalität zurück.“ Die Zahl der Neuinfektionen sei zwar hoch. Glücklicherweise drohe aber keine Überlastung des Gesundheitssystems. Damit entfalle die Grundlage für staatliche Freiheitsbeschränkungen.
Die Virologin Melanie Brinkmann verwies vorgestern im Deutschlandfunk auf ein aktuell sehr hohes Infektionsgeschehen in der Bevölkerung. Es sei genau „der falsche Zeitpunkt, Werkzeuge aus dem Werkzeugkasten zu nehmen.“ Man habe auf einen Schlag „einen zahnlosen Tiger“ vor sich.
Lauterbach räumte ein, dass der Bund das Gesetz zum ersten Mal ohne Einbeziehung der Länder gemacht habe – er appellierte aber an sie, nicht verschnupft zu reagieren. „Jetzt darf niemand, ich sag mal, die beleidigte Leberwurst spielen und macht sich nicht zum Hotspot, wo es notwendig ist.“ Beim weiteren Krisenmanagement müssen die Länder nun unter Zeitdruck die nächsten Schritte klären – und Unmut ist groß.
Während der Übergangsfrist von zwei Wochen können Regelungen wie weitergehende Maskenpflichten in anderen Bereichen wie Geschäften oder Schulen sowie Zugangsregeln wie 2G und 3G bis längstens zum 2. April bestehen bleiben – ausgenommen sind aber etwa Kontaktbeschränkungen oder Teilnehmerobergrenzen für Veranstaltungen.
Umsetzung der Hotspot-Regelung
In der Übergangsfrist müssen aber auch Regelungen für die Zeit danach her. Und eine heikle Frage dabei lautet, wie es die Länder konkret mit Hotspotregelungen halten. Dafür müssen Koalitionen dann auch zügige Landtagsbeschlüsse herbeiführen. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) monierte in der Augsburger Allgemeinen, das Gesetz sei nicht praktikabel. Es sei nicht klar, wie es angewendet werden könne und welche Maßstäbe und Parameter für „Hotspots“ gelten.
Tatsächlich macht das Bundesgesetz nur vage Vorgaben. Schwellenwerte, ab wann eine Region ein Hotspot ist, sind darin nicht beziffert. Generelle Voraussetzung ist entweder, dass dort eine gefährliche Virusvariante kursiert – oder wegen besonders hoher Fallzahlen eine Überlastung der Klinikkapazitäten droht.
Unterschiedliche Signale sendete die Ampelkoalition auch dazu, wie groß Hotspotgebiete überhaupt sein können. FDP-Fraktionschef Dürr sprach von der rechtssicheren Möglichkeit, „in betroffenen Kommunen und Landkreisen“ mehr Maßnahmen zu beschließen. Lauterbach betonte in der ARD, dass auch ein ganzes Bundesland Hotspot sein könne. Das sei mit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) auch nicht strittig.
Der SPD-Politiker rief insbesondere ungeimpfte Ältere auf, sich angesichts hoher Infektionszahlen unbedingt impfen zu lassen. „Sie stehen im höchsten Risiko.“ Er warb erneut für eine allgemeine Impfpflicht und dafür, dass die beiden im Bundestag vorliegenden Entwürfe für eine Impfpflicht ab 18 und ab 50 Jahre zusammengeführt werden könnten. Es sei auch mit der Union zu sprechen und gelte, „aus Staatsräson“ zusammenzuhalten.
Nach Inkrafttreten des neuen Infektionsschuttgesetzes gibt es weiter massive Kritik an der Neuregelung. Der Deutsche Städtetag erwartet eine rasche Korrektur der gerade beschlossenen Neuregelung, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert die Rückkehr zur Homeofficepflicht.
Das neue Infektionsschutzgesetz „beschneidet den Instrumentenkasten für Länder und Kommunen“, sagte Städtetagspräsident Markus Lewe den Funke-Zeitungen vorgestern. Es sei „ziemlich wahrscheinlich, dass das Gesetz bald wieder korrigiert werden muss“.
Es sei zwar richtig, strikte Kontaktbeschränkungen und 2G-Regeln etwas zu lockern, da die Omikron-Variante nur selten schwere Verläufe verursache. „Aber die nächste Virusvariante Deltakron ist bereits in Deutschland und wir wissen nicht, ob sie gefährlicher ist“, warnte der Oberbürgermeister von Münster.
Lewe legte den Ländern nahe, rechtzeitig vor Ende der Übergangsfrist am 2. April über Schutzmaßnahmen wie Maskenpflicht im Einzelhandel zu entscheiden. Solche Maßnahmen sind nach dem neuen Gesetz nur noch in Hotspots möglich.
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