Politik

Geplante Coronamaßnahmen sorgen für Diskussionen im Bundestag

  • Mittwoch, 16. März 2022
/picture alliance, Kay Nietfeld
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Berlin – Das geplante Auslaufen vieler Eindämmungsmaßnahmen in der Coronakrise am 19. März ist auch innerhalb der Ampel-Koalition umstritten. Nach langem Ringen sei ein Kompromiss gefunden wor­den, „der uns Grü­ne nicht zufriedenstellt“, sagte die Grünen-Gesundheitsexpertin Maria Klein-Schmeink heute im Bundestag bei der ersten Debatte über die geplante Neuregelung. Es sei aber das, was „unter demokratischen Bedingungen“ in der Koalition miteinander habe verabredet werden können.

Die bisherigen Maßnahmen gelten nur noch bis einschließlich Samstag. Für die Zeit ab Sonntag sieht der Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, dass ein reduzierter Maßnahmenkatalog gilt. Weiterreichende Schutzmaßnahmen sollen unter bestimmten Umständen in Pandemiehotspots erneut eingeführt werden können. Das neue Gesetz soll übermorgen von Bundestag und Bundesrat gebilligt werden, damit es um­gehend in Kraft treten kann.

Es sei „sehr schwierig, dazu zu stehen“, sagte Klein-Schmeink zu dem Entwurf. Allerdings würden auch nach Samstag noch Basisschutzmaßnahmen gelten, betonte sie. Dies sei besser, als gar keine Vorgaben mehr zu haben. Die Grünen-Politikerin deutete an, dass die Eindämmungsmaßnahmen schon bald wieder Thema in der Koalition und im Bundestag werden könnten. Es sei absehbar, dass die Inzidenzen noch weiter steigen würden. Dann werde man „vielleicht nachsteuern müssen.“

Auch die SPD-Politikerin Sonja Eichwede unterstrich, es gebe „die Zusage der FDP, dass gegebenenfalls nachgesteuert werden kann“. Den Gesetzentwurf bezeichnete sie als hart errungenen Kompromiss. Sie sei für weitergehende Maskenpflichten gewesen.

Harsche Kritik an der geplanten Neuregelung äußerten Politiker von Union und Linken. Der CDU-Abge­ordnete Hendrik Hoppenstedt erklärte, der Entwurf lasse ihn angesichts der angespannten Pandemielage mit Rekordinzidenzen „einigermaßen fassungslos zurück“. Die FDP habe ihre Koalitionspartner „in Geisel­haft genommen“. Ein „echter Basisschutz“ sei ab Sonntag nur noch in Hotspots möglich – für deren Aus­weisung gebe es aber zu hohe Hürden.

Der Linken-Abgeordnete Ates Gürpinar kritisierte, die Regierung wolle „nahezu alle“ Regelungen ab­schaff­en, die die Inzidenzen „beherrschbar“ machten. Die FDP habe sich durchgesetzt und beharre darauf, dass das Land zur Normalität zurück müsse. „Hunderte Coronatote täglich, das ist Normalität für die FDP“, sagte Gürpinar.

Die FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus wies die Kritik zurück. Der Gesetzentwurf schütze „besonders die vulnerablen Gruppen“, etwa in Pflegeheimen. In allen anderen Bereichen aber werde auf die Eigenverantwortung der Bürger gesetzt. Das Land müsse lernen, „im Alltag mit diesem Virus zu leben“. Die derzeit kursierenden Virusvarianten verursachten häufig milde Verläufe.

Ziel sei immer gewesen, „die Überlastung unseres Gesundheitssystems zu verhindern und die vulnerab­len Gruppen zu schützen.“ Genau darauf ziele der Gesetzentwurf, so Aschenberg-Dugnus.

Einen Tag vor den Bundestagsberatungen zum neuen Infektionsschutzgesetz hatte sich die Ampel-Koali­tion bereits auf eine Ausweitung der Regelungen zur künftigen Maskenpflicht geeinigt. Sie soll demnach auch in Arztpraxen, Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen und Rettungsdiensten angeordnet wer­den können. Im bisherigen Entwurf war sie bereits für Krankenhäuser, Pflegeheimen und dem öffentli­chen Personenverkehr vorgesehen.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte den Entwurf für das neue Infektionsschutzge­setz sowie die geplante Hotspotregelung wiederholt verteidigt. „Politik ist das Finden eines Kompromis­ses, der funktionieren muss“, sagte er im ARD-Morgenmagazin. Einen solchen Kompromiss habe er mit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) ausgehandelt. Bundesweite Maßnahmen seien derzeit nicht mehr gut zu begründen. Die Lage unterscheide sich regional.

BÄK-Präsident warnt vor drohendem Flickenteppich

Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), sagte der Rheinischen Post, es sei grundsätz­lich richtig, die Schutzmaßnahmen wieder etwas zurückzufahren. Die Coronainfektionen unter Omikron verliefen deutlich milder als unter der Vorgängervariante Delta.

„Anders als bei den vorherigen Infektionswellen droht den Krankenhäusern trotz hoher Infektionszahlen derzeit keine Überlastung. Das liegt vor allem daran, dass die meisten Menschen aus den besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen, insbesondere Ältere und Vorerkrankte, dreifach geimpft sind, manche sogar vierfach.“

Er kritisierte allerdings die geplante Hotspotregelung, die den Ländern Möglichkeiten für schärfere Schutzmaßnahmen in besonders von Infektionen betroffenen Regionen verschafft. Dafür „brauchen wir klare Kriterien und Grenzwerte“, sagte Reinhardt.

„Dass im Gesetzentwurf nur beispielhaft aufgeführt wird, ab wann die Länder schärfere Maßnahmen er­lassen können, wird zwangsläufig zu einem bundesweiten Flickenteppich unterschiedlicher regionaler Regelungen führen. Das verunsichert die Bevölkerung unnötig.“

Der Intensivmediziner Christian Karagiannidis rief den Bund auf, bei den künftigen Schutzregeln auf eine breiter angelegte Maskenpflicht zu setzen. Aus dem Bundesinfektionsschutzgesetz würden extrem viele Maßnahmen herausgestrichen, kritisierte der wissenschaftliche Leiter des DIVI-Intensivregisters in einer Online-Pressekonferenz mit der nordrhein-westfälischen Grünen-Chefin Mona Neubaur. Das Zurückfah­ren von Coronaschutzmaßnahmen könne nicht schon Monate vorher auf ein bestimmtes Datum gelegt werden, sondern müsse sich an Zahlen orientieren.

Die besser übertragbare Omikron-Subvariante BA.2 habe noch einmal zu einem deutlichen Anstieg der Coronazahlen geführt, sagte Karagiannidis, der auch Mitglied des Expertenrats der Bundesregierung ist. „Deswegen ist nicht nur mein Wunsch, dass wir ein bisschen besonnener umgehen mit der aktuellen Situation.“

„Es braucht zumindest ein Maskenpflicht für das gesamte Gesundheitswesen“, sagte Karagiannidis. Auch an öffentlichen Orten, wo viele Menschen auf engem Raum zusammenkämen, werde bei stark steigen­den Inzidenzen die Möglichkeit einer Maskenpflicht gebraucht. „Das ist mit Abstand die Methode, die den größten Effekt hat bei der geringsten individuellen Belastung.“

Im weiteren Pandemiemanagement hält Karagiannidis es nicht für zielführend, wenn weiterhin alle vier bis acht Wochen die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) tage und dann kurzfristig die weitere Strategie festlege. Es werde künftig Phasen des Aufflammens und der Beruhigung der Pandemie geben. Er plädiere dafür, von dem situationsbedingten Pandemie-Management zu eher automatisierten Abläufen zu kommen.

Vor der morgigen MPK haben auch mehrere Bundesländer teils scharfe Kritik an den geplanten Änderun­gen des Infektionsschutzgesetz geäußert. „So können wir doch nicht eine ver­nünftige Pandemiebekäm­pfung machen“, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Auch die niedersächsische und die baden-württembergische Regierung sowie der Hamburger Senat kritisierten den vorliegenden Entwurf und forderten Änderungen.

afp/dpa

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