Politik

„Es braucht mehr Reflektion, wer über und für die Wissenschaft sprechen darf und soll“

  • Montag, 21. November 2022

Berlin – In der Coronaviruspandemie hat sich auch in der breiten Bevölkerung gezeigt, wie wichtig wissen­schaft­liche Erkenntnisse für den Alltag sein können. Allerdings ist es nicht immer einfach, Ergebnisse aus Wissenschaft und Forschung gut zu kommunizieren.

Deshalb wird Wissenschaftskommunikation immer wichtiger. Was es damit auf sich hat, wie ein guter Umgang mit der Öffentlichkeit aussehen kann und ob alle Forschenden auch den Kontakt zur Außenwelt suchen sollten, verrät Ricarda Ziegler im Interview mit dem Deutschen Ärzteblatt ().

Die Politikwissenschaftlerin leitet den Bereich Qualität und Transfer bei Wissenschaft im Dialog, einer Organisa­tion für Wissenschaftskommunikation in Deutschland. Ziegler verantwortet zudem als Projektleiterin unter ande­rem das regelmäßig erhobene Wissenschaftsbarometer.

Ricarda Ziegler /Wissenschaft im Dialog
Ricarda Ziegler /Wissenschaft im Dialog

5 Fragen an Ricarda Ziegler, Wissenschaft im Dialog

Deutsches Ärzteblatt: Wie sieht der aktuelle Stand der Wissenschafts­kommunikation aus?
Ricarda Ziegler: Wenn man sich Wissenschaftskommunikation in Deutschland auf der strukturellen Ebene anschaut, gibt es inzwischen in fast allen wissenschaftlichen Einrichtungen, Universitäten oder For­schungsinstituten, Personen oder auch Teams, die für dieses Thema zuständig sind.

Entsprechend gibt es in Deutschland inzwischen auch eine große Akteurs- und Rollenvielfalt in der Wissenschaftskommunikation, in der Wissenschaft oder aufseiten des Journalismus.

Außerdem gibt es „freie Wissenschaftskommunikatorinnen und -kommunikatoren“ oder Science Influencer, die analoge, aber auch digitale Formate gestalten.

In deren Umsetzung sehen wir auch eine gewisse Professionalisierung an vielen Stellen in der Wissenschaftskommunikation. Aufgrund dieser Ausdifferenzierung ist es auch wichtig, für den Unterschied zwischen in­haltlicher Wissenschaftskommunikation und der PR oder dem Marke­ting für wissenschaftliche Einrichtungen sensibel zu sein.

Auf der inhaltlichen Ebene geht es neben der reinen Ergebniskommunikation zu wissenschaftlichen Erkennt­nis­sen und Forschungsergebnissen inzwischen zunehmend auch um die Vermittlung von Methoden, Prozessen oder Werten der Wissenschaft.

Um unterschiedliche Ziele zu erreichen, gibt es bereits einen Mix an vielfältigen analogen Formaten, die etwa vor Ort an Universitäten und Instituten stattfinden, wie Tage der offenen Türen, Lange Nächte der Wissenschaf­ten zum Beispiel als Aktionen für Familien mit Kindern.

Außerdem gibt es Wissenschaftskommunikation in den sozialen Medien. Über TikTok oder Instagram erreicht man eher Jugendliche und junge Erwachsene, die sich dort aufhalten und Informationen konsumieren. Und es braucht genauso den Raum für Wissenschaftsjournalismus und kritische Berichterstattung als Außenbeobach­tung von Wissenschaft und Forschung.

Ein großes Thema ist auch, welche Teile der Gesellschaft mit diesen verschiedenen Formaten der Kommunika­tion zu Wissenschaft und Forschung bisher erreicht und welche eben nicht erreicht werden können und wie dies in Zukunft gestaltet werden kann und soll.

DÄ: Welches Vertrauen genießen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Gesellschaft und welchen Einfluss hatte hier die Pandemie?
Ziegler: Wir erheben mit unserer repräsentativen Bevölkerungsumfrage „Wissenschaftsbarometer“ regelmäßig das Vertrauen in Wissenschaft und Forschung. Ungefähr 50 Prozent der Befragten sagten in den Jahren 2017 bis 2019, sie vertrauen der wissenschaftlichen Forschung.

Besonders hoch war das seitens der Bevölkerung entgegengebrachte Vertrauen in Wissenschaft und Forschung zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020, hier haben bis zu 73 Prozent ihr Vertrauen ausgesprochen. Der Anteil, der Wissenschaft und Forschung vertraut, hat sich zudem seit Herbst 2020 auf einem Niveau von ungefähr 60 Prozent eingependelt.

Wir fragen im Wissenschaftsbarometer auch nach dem Vertrauen in die Aussagen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu Corona und da sehen wir, dass ihnen sowie den Ärztinnen und Ärzten und dem medizini­schen Personal am meisten Vertrauen entgegengebracht wird im Vergleich mit anderen Akteursgruppen wie Medienschaffenden oder Politikerinnen und Politiker.

Bei der Frage, warum man Forschenden vertraut, wurde zudem deutlich, dass die Expertise und die Integrität von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wichtige Faktoren sind. Misstrauen entsteht eher bei Fragen, bei de­nen es etwa um (wirtschaftliche) Eigeninteressen in der Forschung oder Einflussnahmen von Wirtschaft oder Po­litik auf Forschung geht. Schwierig ist es, wenn nicht klar ist, welche Motive und Interessen Wissenschaft und Forschung steuern.

DÄ: Was bedeutet das konkret für die Wissenschaftskommunikation?
Ziegler: Wissenschaftskommunikation hat an vielen Stellen im Kontext der Pandemie gut funktioniert, aber ich würde die höheren Vertrauenswerte nicht direkt darauf zurückführen wollen. In der anfangs unsicheren Situation konnte Wissenschaft und Forschung eben Wissen und Orientierung bieten. Ganz zu Anfang hatte zudem auch die Politik hohe Vertrauenswerte, die aber auch schnell wieder gesunken sind.

In vielen Formaten der öffentlichen Kommunikation aus Wissenschaft und Forschung wurde seit Beginn der Pandemie auch versucht, über Prozesse, Werte, Unsicherheiten und vorläufiges Wissen zu kommunizieren. Dies wurde oftmals gut umgesetzt.

Ich bin aber etwas skeptischer als manch andere Kollegin oder Kollege bei der Frage, ob wir auch das Verständ­nis der Bevölkerung generell von Wissenschaft und Forschung beeinflussen und etwa eine allgemeine Metho­den- und Prozesskompetenz schaffen konnten. Hier bleibt die entsprechende Forschung abzuwarten.

Insgesamt bräuchte es aber ein stärkeres Verständnis in der Bevölkerung, was wissenschaftliches Wissen eigent­lich ist, wie es zustande kommt und wie sich Wissenschaft zu Erfahrungswissen und Wertvorstellungen in der Bevölkerung oder auch zu politischen Entscheidungen abgrenzt.

DÄ: Was macht eine gute Wissenschaftskommunikation aus und sollten alle Wissenschaftlerinnen und Wissen­schaftler den Umgang mit der Öffentlichkeit suchen?
Ziegler: Für eine gute Wissenschaftskommunikation ist es wichtig, sich zunächst die Frage zu stellen, welches Ziel man verfolgt. Ziele können beispielsweise sein, Interesse und Faszination an einem Forschungsfeld zu wecken, Inhalte und Wissen zu vermitteln, Vertrauen in die Wissenschaft zu befördern oder Verhaltensweisen verändern zu wollen.

In einem zweiten Schritt sollte man sich überlegen, ob man das Ziel mit einem bestimmten Format bei ent­sprechenden Zielgruppen realistisch erreichen kann. Hier kann man Erfahrungswissen, Evaluationsergebnisse oder auch Forschung zu Wissenschaftskommunikation einbeziehen, um zu prüfen, ob es sich um das richtige Format für das richtige Ziel bei der anvisierten Zielgruppe handelt. Die Frage nach dem richtigen oder besonders wichtigen Ziel ist allerdings auch eine normative oder politische Frage.

Ich würde zudem nicht sagen, dass jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler nach außen kommunizieren muss. Auf übergeordneten Ebenen, also in Instituten, Arbeitsgruppen oder innerhalb von Förderprogramme sollte dies aber verankert sein.

Es kann nicht das Ziel sein, dass wir mehr Kommunikation auf allen Kanälen haben und dann nichts mehr an­kommt. Ich glaube aber, dass sich jeder Wissenschaftler und jede Wissenschaftlerin im Laufe einer wissenschaft­lichen Karriere überlegen sollte, ob, wann und wie er oder sie eigentlich kommunizieren sollte. Das kann dann auch zu dem Schluss führen, im Augenblick selbst nicht öffentlich zu kommunizieren.

Ich glaube, dass es in der Wissenschaft zudem mehr Reflektion darüber braucht, wer darf, kann und soll über und für die Wissenschaft sprechen. Allerdings nicht in dem Sinne, dass manche sich nicht mehr äußern dürfen, son­dern bewusst zu entscheiden, wer, wann, in welchen Kontexten zu welchen Themen definitiv sprechen sollte. Wichtig wäre auch von Seiten des Journalismus, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Themen zu Wort kommen zu lassen, zu denen diese zentrale Expertise haben.

DÄ: Muss Wissenschaft immer neutral bleiben oder darf sie auch Stellung etwa in gesellschaftspolitischen Debatten beziehen?
Ziegler: Laut Wissenschaftsbarometer 2021 wünscht sich die Hälfte der Befragten, dass von der Wissenschaft auch Empfehlungen für inhaltliche politische Entscheidungen abgegeben werden. Dieser Erwartung sollte sich die Wissenschaft bewusst sein, auch wenn sie ihr nicht nachkommen kann. Viele Forschende haben sich in der Coronapandemie ja auch so positioniert, dass dies nicht ihre Aufgabe ist, sondern man sich damit bereits in den politischen Entscheidungsprozess begibt.

Möglich ist in vielen Fällen zwar keine Entscheidung zu empfehlen, aber neben Forschungsergebnissen und wissenschaftlichen Erkenntnissen aus einer wissenschaftlichen Perspektive mögliche Konsequenzen oder Szenarien zu erläutern, etwa wie die Auswirkungen von gewissen Entscheidungen aussehen würden.

Viele Akteure in der Wissenschaftskommunikation betonen, bis wohin wissenschaftliche Expertise reicht und was Aufgabe wissenschaftlicher Politikberatung ist und ab wann es in einem demokratischen System Aufgabe der Politik ist, auf Basis wissenschaftlichen Wissens aber auch nach Abwägung von gesellschaftlichen Erwartungen und Werten, Entscheidungen zu treffen.

cmk

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