Ethikrat sieht großes Nutzenpotenzial für Robotik in der Pflege

Berlin – Robotik kann einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität pflegebedürftiger Menschen und der Arbeitsqualität in der Pflege leisten, sofern sie verantwortungsvoll eingesetzt wird. Zu dieser Einschätzung kommt der Deutsche Ethikrat in seiner heute veröffentlichten Stellungnahme „Robotik für gute Pflege“, die sich mit Chancen und Risiken der Robotertechnologie in der Pflege befasst.
Voraussetzung dafür sei, dass der Einsatz von Robotertechnik zwischenmenschliche Beziehungen nicht ersetze und die Technologie nicht gegen den Willen der Betroffenen oder zur bloßen Effizienzsteigerung genutzt werde. Zudem müssten die Betroffenen in die Entwicklung der Techniken einbezogen werden, so der Ethikrat.
Kritik am Defizitansatz
Aus Sicht der Experten taugt Robotik im Pflegebereich jedoch nicht dazu, Personalengpässe oder den Pflegenotstand zu beseitigen. So warnt der Ethikrat vor einem in erster Linie defizitorientierten Fokus, der etwa die Förderung der Erforschung und Entwicklung robotischer Systeme vor allem mit den Problemen vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels in der Pflege und der wachsenden Zahl pflegebedürftiger Menschen begründet.
Der Einsatz von Robotik in der Pflege müsse nicht einem Defizitansatz, sondern könne vielmehr einem Ressourcenmodell folgen, betonte hingegen der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Peter Dabrock. „Menschlichkeit und Technik müssen kein Gegensatz sein“, sagte er. Vielmehr hat Robotik aus Sicht des Ethikrates das Potenzial zur Förderung „guter Pflege“.
„Im Zentrum guter Pflege steht das Wohl der zu pflegenden oder hilfebedürftigen Person in ihrer Individualität“, erläuterte die Gerontologin Adelheid Kuhlmey, eine der Autorinnen der Studie.
Für die Gepflegten liege dieses Potenzial nicht nur in der Erhaltung von Selbstständigkeit sowie von körperlichen und kognitiven Fähigkeiten, sondern auch in deren möglicher Rückgewinnung durch rehabilitative Maßnahmen. „So können robotische Systeme auch zu Mitteln werden, Veränderungs- und Anpassungspotenzial auszuschöpfen und verloren gegangene Fähigkeiten wieder neu aufzubauen“, sagte Kuhlmey.
Potenzial für die rehabilitative Pflege
Die Expertin wies zugleich auf erheblichen Forschungsbedarf hin: „Über die tatsächlichen Auswirkungen des Einsatzes von Robotern auf Menschen mit einem Assistenz- oder Pflegebedarf ist noch viel zu wenig bekannt“, meinte sie. Ob die heute verfügbaren Robotertechniken in diesem anspruchsvollen Sinn zur Realisierung „guter“ Pflege beitragen können, sei „wissenschaftlich noch viel zu wenig erforscht“.
Auch der Geriater Andreas Kruse, Ethikratsmitglied und Sprecher der Arbeitsgruppe „Robotik und Pflege“, verwies darauf, dass Pflege als „soziales Interaktionsgeschehen“ zu definieren sei. „Roboter sollen diese unmittelbare Interaktion zwischen Personen eben nicht ersetzen“, betonte Kruse, sondern vielmehr durch Entlastung und Unterstützung diese Interaktion fördern beziehungsweise erleichtern.
Bei einem Menschen mit weit fortgeschrittener Demenz etwa sei es durchaus möglich, durch ein robotisches Assistenzsystem das mimische und gestische Verhalten des Kranken besser zu verstehen, erläuterte Kruse. Hierbei würden die Robotersysteme in einer produktiven Art und Weise in die soziale Interaktion eingreifen.
Mögliche Schattenseiten
Aus Sicht des Ethikrates wäre es jedoch „äußerst fragwürdig, wenn pflegebedürftige Menschen soziale und emotionale Bedürfnisse zukünftig überwiegend im Umgang mit Begleitrobotern stillen würden, die Gefühle lediglich simulieren“, betonte Kuhlmey. Auch im Fall anderer Arten von Robotern (siehe Info-Kasten) könnte sich das unabhängige Leben in vertrauter Umgebung durchaus als ein Leben in sozialer Isolation erweisen, warnen die Experten.
Aufseiten der Pflegekräfte seien Ängste vor Überforderung durch die anspruchsvolle Bedienung komplizierter Robotertechnik ernst zu nehmen. Anstatt Raum für beziehungsorientierte Pflege zu schaffen, könnte die Unterstützung durch Robotik auch die Arbeitsdichte verstärken. Darüber hinaus gibt es die Sorge, dass die hohen Kosten für die Einführung von Assistenzsystemen zu Mittelkürzungen im Personalwesen führen könnten.
Empfehlungen für die Umsetzung
Insgesamt jedoch setzt der Ethikrat darauf, dass Robotertechniken für die Pflege von großem Nutzen sein können – vorausgesetzt, die Entwicklungs- und Implementierungsprozesse werden partizipativ und verantwortlich gestaltet. Der Ethikrat gibt hierfür eine Reihe von Empfehlungen, die sowohl auf individueller als auch auf institutioneller und politisch-systemischer Ebene ansetzen.
Auf der Mikroebene gehe es vor allem um die Interaktion zwischen Gepflegtem und Pflegendem, erläuterte Kruse. Hierbei stünden insbesondere die Würde und das Wohl der pflegebedürftigen Person sowie ihre Autonomie und Selbstbestimmung im Zentrum.
Von großer ethischer Bedeutung sei zudem unter anderem auch der Respekt vor Privatheit, Intimität und Scham. „Das Wohl der zu pflegenden Person in ihrer Individualität sollte stets im Zentrum der Pflege stehen, auch wenn der Einsatz von Technik die Standardisierung und Schematisierung von Prozessen erforderlich macht“, fordert daher der Ethikrat.
Die Mesoebene betrifft ihm zufolge die Träger von Pflegeeinrichtungen sowie die Entwickler robotischer Systeme. Hier gehe es beispielsweise um die Frage, inwiefern Einrichtungen es dem Personal ermöglichen, kontinuierlich über die Bedeutung von Robotertechnologie für ihr eigenes Verständnis von guter Pflege zu reflektieren, so Kruse.
Dies bedeute, dass die Pflege-Institutionen „einen tiefgreifenden Reflexionsprozess mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern führen“. Der Ethikrat empfiehlt zudem, Pflegekräfte sowohl in der Ausbildung als auch in der Fort- und Weiterbildung gezielt im Umgang mit Robotertechniken zu schulen.
Die Makrobebene umfasst die systemischen Rahmenbedingungen und betriff laut Kruse insbesondere den Aspekt der sozialen Ungleichheit. „Es geht um die Frage, inwiefern robotertechnische Elemente, die dazu beitragen, eine gute Pflege zu leisten, allen Menschen zugute kommen werden“, erläuterte Kruse. Durch die Einführung der Technik dürfe eine soziale Spaltung nicht noch verstärkt werden, forderte der Geriater.
Zu den Forderungen des Ethikrates zählen beispielsweise auch die angemessene Einbeziehung sowohl von Menschen mit Assistenz- oder Pflegebedarf als auch von (professionell) Pflegenden in die Entwicklung robotischer Systeme. Sicherheitsstandards und Haftungsregelungen sollten überprüft und gegebenenfalls angepasst werden, um einer Erosion von Verantwortung im Umgang mit Robotertechniken vorzubeugen.
Reaktionen
Aus Sicht der Grünen eröffnet die Pflegerobotik viele Möglichkeiten, Menschen mit Einschränkungen und älteren Menschen das Leben zu erleichtern und das Pflegepersonal zu entlasten.
„Wo sich Prozesse verändern, Tätigkeiten entfallen oder hinzukommen und neue Berufe entstehen, braucht es ein neues Miteinander der Gesundheitsberufe“ betonte Kordula Schulz-Asche, Sprecherin für Alten- und Pflegepolitik bei der Bundestagsfraktion der Grünen. Die Grünen fordern einen Innovationsfonds für die Pflege, eine sektorenübergreifende Versorgung und Finanzierung sowie einen Digitalpakt für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen.
„Die Bundesregierung muss die Mahnung des Ethikrats ernst nehmen und den Bedarf von Menschen mit Pflegebedarf in den Mittelpunkt stellen“, kommentierte Pia Zimmermann, pflegepolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, die Stellungnahme des Ethikrats. Robotik könne eine sinnvolle Ergänzung in der Pflege sein, jedoch kein Ersatz. Durch den Einsatz von Robotik ergäben sich neue Arbeitsfelder für Pflegekräfte, auf die diese sich zusätzlich einstellen müssten.
Die Bundesregierung müsse außerdem dafür sorgen, dass der Einsatz von Robotik Menschen mit Pflegebedarf nicht zusätzlich finanziell belaste. „Die Anreize durch fiktives Einsparpotenzial durch Roboter, das einzig den Pflegeanbietern nutzen würde, dürfen nicht auch noch dadurch verstärkt werden, dass Menschen mit Pflegebedarf die Einführung der Robotik finanzieren müssen“, forderte die Politikerin.
Die Stellungnahme des Ethikrates „bestärkt uns in unserer Überzeugung, dass konkrete Kriterien für den guten Einsatz von Robotern in der Pflege entwickelt werden müssen“, erklärte Caritas-Präsident Peter Neher. Roboter könnten dann die Situation von pflegebedürftigen Menschen verbessern, „wenn sie Zeit und Raum für menschliche Beziehungen eröffnen“, meinte er. Zudem müsse die Anwendung robotischer Systeme „von den Gepflegten und den Pflegenden gewollt sein, damit sie eine wirkliche Hilfe darstellt“, bekräftigte er.
Neher verwies auf das Förderprojekt „BeBeRobot“ (Begründungs- und Bewertungsmaßstäbe von Robotik für die Pflege), in dem ein ethischer Kriterienkatalog für den Einsatz von Pflegerobotern erstellt werde.
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