EU-Kommission legt Plan für bessere Luftqualität in Europa vor

Brüssel − Die Europäische Kommission will mit strengeren Grenzwerten die Luft in den Ländern der Europäischen Union (EU) verbessern. „Frische Luft sollte kein Luxus sein, sie sollte als grundlegendes Menschenrecht betrachtet werden“, sagte EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius heute in Brüssel.
Dafür hat die Kommission neue Grenzwerte für zwölf Luftschadstoffe vorgeschlagen. Die Vorschläge liegen zum Teil erheblich unter den aktuell gültigen Vorgaben. So soll der Grenzwert für Feinstaub mit einer Partikelgröße bis zu 2,5 Mikrometer (PM2,5) bis 2030 um mehr als die Hälfte reduziert werden: von 25 auf zehn Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel.
Ähnliches gilt beispielsweise auch für Feinstaub mit einer Partikelgröße bis zu zehn Mikrometer (PM10) und Stickstoffdioxid (NO2): Hier sollen die Grenzwerte im Jahresmittel von 40 auf 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft fallen.
Wie genau dies erreicht wird, bliebe den Mitgliedstaaten der EU überlassen. Das Ziel ist es, bis zum Jahr 2050 die Luftverschmutzung auf null zu bringen. Im vergangenen Jahr hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihre Empfehlungen zur Verbesserung der Luftqualität und zu entsprechenden Grenzwerten veröffentlicht. Die Vorschläge der EU-Kommission folgen diesen Empfehlungen nicht in Gänze.
Erweiterung der Liste mit Schadstoffen im Abwasser
Auch bei der Behandlung von Abwasser will die Kommission strengere Regeln einführen. Da laut der Brüsseler Behörde in der EU 92 Prozent der giftigen Mikroschadstoffe im Abwasser von Medikamenten und Kosmetika stammen, sollen künftig Hersteller dieser Medikamente oder Produkte für die Kosten der Beseitigung der Schadstoffrückstände aufkommen.
Zudem soll die Liste der Wasserschadstoffe um 24 Substanzen erweitert werden, darunter neben einigen Antibiotika auch Pestizide wie Glyphosat.
Die Kommission schlug zudem vor, Abwasser systematisch auf das Vorkommen von Viren wie SARS-CoV-2 zu überwachen. Sie verwies dabei auch auf das Massensterben von Fischen in der Oder: Aus solchen Vorfällen müssten Lehren gezogen werden und künftig Warnungen nach Vorfällen für flussabwärts gelegene Gebiete verpflichtend werden.
Nach Angaben der Kommission sterben jedes Jahr 300.000 Europäer frühzeitig durch die Luftverschmutzung. Demnach sind dabei Feinstaub, Stickstoffdioxid und Ozon die schlimmsten Schadstoffe. Luftverschmutzung kann auf Dauer zu gesundheitlichen Problemen wie etwa Herzkreislauf- oder Atemwegserkrankungen führen.
Nun müssen sich die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament mit den Vorschlägen der Kommission befassen.
Die Vorschläge der EU-Kommission haben vielfältige Reaktionen von Vertreterinnen und Vertretern aus Medizin, Wissenschaft und Politik hervorgerufen.
Anja Behrens, Sprecherin der AG Saubere Luft von Klug – Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit, meinte: „Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind eindeutig: Luftschadstoffe gefährden auch in niedrigen Konzentrationen die Gesundheit. Es ist bedauerlich, dass die EU-Kommission nicht den Empfehlungen der Wissenschaft gefolgt ist und keine vollständige Angleichung an die WHO-Empfehlungen vorschlägt.“
Noch nicht nahe genug an den WHO-Empfehlungen
Positiv zu den Vorschlägen äußerte sich Barbara Hoffmann, Leiterin der Arbeitsgruppe Umweltepidemiologie, Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Allerdings bemängelte auch sie, dass die vorgeschlagenen Grenzwerte „weiterhin erheblich hinter den von der WHO empfohlenen Richtwerten von 5 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft für Feinstaub und zehn Mikrogramm pro Kubikmeter Luft für Stickstoffdioxid zurückbleiben.“
Jens Borken-Kleefeld, Verkehrsökologe, Institut für Verkehrsplanung und Straßenverkehr, Technische Universität Dresden, begrüßte ebenfalls die Vorschläge. Insbesondere die Stickoxidemissionen müssten weiter reduziert werden, zu denen der Straßenverkehr sehr stark beitrüge.
„Dafür wäre es sinnvoll, nicht nur schärfere Emissionswerte für Neufahrzeuge vorzuschreiben, sondern auch die hoch-emittierenden, älteren Diesel-Pkw und leichten Nutzfahrzeuge zügig aus der Flotte zu nehmen. Bei Feinstaub hat der Verkehr nur einen kleinen Anteil. Hier bräuchte es neue Ideen, um die Abriebe von Bremsen, Reifen und Straße deutlich zu reduzieren.“
„Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Ausweitung der Überwachung von Luftschadstoffen – sowohl der regulierten als auch der nicht regulierten Luftschadstoffe, wie der ultrafeinen Partikel“, betonte Annette Peters, Direktorin Institute of Epidemiology II, Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, und Direktorin des Münchner Zentrum für Gesundheitswissenschaften, Ludwig-Maximilians-Universität München.
Überrascht von den weit reichenden Vorschlägen zeigte sich Hans-Peter Hutter, Stellvertretender Leiter der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin am Zentrum für Public Health, Medizinische Universität Wien: „Aus medizinischer Sicht wurden mit diesem vorsorgeorientierten Vorschlag für eine Anpassung der Grenzwerte wesentlicher Luftschadstoffe – speziell PM10, PM2.5 und NO2 – alle meine Erwartungen weit, weit übertroffen. Ein Vorschlag, der endlich jahrelangen medizinischen Forderungen nachkommt, kann als ‚Game Changer in der Lufthygiene‘ angesehen werden.“
Ausgewogene Lösung gesucht
Der umweltpolitische Sprecher der Christdemokraten Peter Liese sagte, es sei „nicht der richtige Zeitpunkt“ für einen solchen Vorschlag, der zu einer erneuten Diskussion über Fahrverbote führen werde.
Sein Parteikollege Norbert Lins, Vorsitzender des Agrarausschusses und in der EVP-Fraktion zuständig für das Thema Luftqualität, ergänzte mit Verweis auf den Ukrainekrieg, in der aktuellen Situation müsse man Prioritäten setzen. „Die Luftqualität in der EU verbessert sich ständig, und daher sollte die Überarbeitung dieser Richtlinie momentan nicht Teil unserer Prioritäten sein.“
Der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss, Mitglied im Umweltausschuss, bemängelte hingegen, die Kommission schlage Luftqualitätsstandards vor, „die weit unter dem liegen, was als gesund gilt“.
Es sei inakzeptabel, dass ab 2030 noch immer eine Schadstoffkonzentration erlaubt sein solle, die das Doppelte der WHO-Empfehlung betrage. Die Grünen forderten „die Übernahme der WHO-Standards statt wachsweicher Ziele“, sagte Bloss. Positiv bewertete er allerdings die Klagemöglichkeit bei einer Verletzung der Grenzwerte.
Der umweltpolitische Sprecher der Sozialdemokraten, Tiemo Wölken, nannte die Reaktion der CDU-Abgeordneten Liese und Lins einen „Schlag ins Gesicht der hunderttausenden Menschen, die jährlich in der EU wegen schlechter Luft zu früh sterben, die unter Asthma, Diabetes oder Kreislaufproblemen leiden“. Neue Grenzwerte für Luftschadstoffe in Europa seien aus wissenschaftlicher Sicht längst überfällig.
Das Bundesumweltministerium setze sich für eine ausgewogene Lösung ein, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Die Festlegung von Grenzwerten, etwa für die Feinstaubbelastung, unterliege immer Fragen der Abwägung, „Auf der einen Seite haben wir den Schutz der Gesundheit, den Schutz der Umwelt, den Schutz der Luftqualität. Wir müssen auf der anderen Seite aber auch anerkennen: Niemand kann wollen, dass wir uns nicht mehr bewegen, dass wir keine Mobilität mehr haben.“
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