Politik

Ukrainekrieg und Klimawandel: Grundsatzrede ohne Coronaverweise

  • Freitag, 28. Oktober 2022
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hielt eine Grundsatzrede an die Nation. /picture alliance, Michael Kappeler
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hielt eine Grundsatzrede an die Nation. /picture alliance, Michael Kappeler

Berlin – Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Menschen in Deutschland dazu aufgerufen, zusam­men­zustehen und sich nicht gegeneinander auszuspielen. Die Coronakrise und die Gesundheits­versorgung thematisierte er in seiner Grundsatzrede heute mit keinem Wort – Schwerpunkt war der Krieg in der Ukraine. Deut­liche Worte fand Steinmeier aber zum Klimawandel.

„So sehr uns die Sorgen vor Inflation, Energiepreisen und dem Krieg gerade umtreiben: Es wird auch nach diesem Winter, auch nach dieser wirtschaftlichen Talsohle kein Zurück zum Davor geben können“, erklärte der Bundespräsident. Auch wenn der Krieg die politische Tagesordnung verschoben habe – der Klimawandel for­dere entschiedenes Handeln. „Ich mache mir Sorgen, dass diese Menschheitsaufgabe zu sehr in den Hinter­grund gerät. Der Klima­wandel macht keine Ukrainepause“, so Steinmeier.

Für ihn ist klar, selbst wenn man Emissionen drastisch reduziere und sich von fossilen Energien lösen wolle, müsse man manche lieb gewonnene Gewohnheit aufgeben. Das gelte „von der Frage, wie – und wie schnell – wir uns fortbewegen und was wir essen, bis hin zur Frage, wie wir bauen und wohnen.“ „Auch hier kann jeder Einzelne seinen Beitrag leisten. Beginnen wir sofort damit! Jeder noch so kleine Schritt ist besser als gar keiner.“

Er mahnte aber gleichzeitig zum Zusammenhalt. „Viele jüngere Menschen sind ungeduldig und werfen den Älteren vor, dass sie zu sorglos mit unserem Planeten umgegangen sind, zu zögerlich umgesteuert haben“, sagte Stein­­meier. Die Jüngeren fühlten sich betrogen – die Älteren fühlten sich abgewertet in dem, was sie für ihre Kinder und ihr Land getan haben. „Spielen wir die Generationen nicht gegeneinander aus! Daraus kann nichts Gemeinsames entstehen.“

Der Bundespräsident betonte darüber hinaus, die Welt sei leider „auf dem Weg in eine Phase der Konfronta­tion – obwohl sie doch dringender denn je auf Kooperation angewiesen wäre“. Klimawandel, Artensterben, Pandemien, Hunger und Migration – nichts davon ließe sich ohne die Bereitschaft und den Willen zu interna­tionaler Zusammen­arbeit lösen. „Das Bemühen darum darf die Welt – trotz Krieg und Krise – nicht aufgeben!“

Für Deutschland bedeute das aus Sicht von Steinmeier, das „härtere Jahre, raue Jahre auf uns zu“ kommen. Die Friedensdividende sei „aufgezehrt“. Es beginne für Deutschland „eine Epoche im Gegenwind“. Deutschland könne in diesen Jahren auf seine Kraft und Stärke bauen, die es sich in der Vergangenheit erarbeitet habe, sagte Steinmeier weiter. Das Land sei wirtschaftlich stark, habe gute Forschung, starke Unternehmen, einen leistungsfähigen Staat sowie eine große und starke Mitte in seiner Gesellschaft.

Zu diesen Stärken, die Deutschland bislang geholfen hätten, müsse aber etwas hinzukommen. „Wir müssen konfliktfähig werden, nach innen wie nach außen. Wir brauchen den Willen zur Selbstbehauptung und auch die Kraft zur Selbstbeschränkung.“ Nötig sei keine Kriegsmentalität. „Aber wir brauchen Widerstandsgeist und Widerstandskraft.“

Konfliktfähigkeit und Widerstandskraft erfordere aber noch mehr. In dem Maße, in dem die Erwartungen an Deutschland wüchsen, werde auch die Kritik an der Bundesrepublik zunehmen. „Dass ein Land wie unseres in der Kritik steht, daran werden wir uns gewöhnen müssen“, sagte Steinmeier. „Damit müssen wir erwachsen umgehen und nicht jede Kritik von außen umgehend als Munition in der innenpolitischen Auseinanderset­zung missbrauchen.“

Steinmeier wandte sich direkt an die Bürgerinnen und Bürger. Die neue Zeit fordere jeden Einzelnen. „Viel­leicht konnte man in den Zeiten mit Rückenwind noch durchkommen, ohne sich selbst großartig einzusetzen. Vielleicht konnte man es sich erlauben, Politik den anderen zu überlassen. Das gilt heute nicht mehr. Deutsch­land, unser Land, braucht Ihren Willen zur Veränderung, braucht Ihren Einsatz für unser Gemeinwesen, damit wir dort ankommen, wo wir hin wollen.“

Sozialer Zusammenhalt notwendig

Steinmeier wies in seiner Rede erneut auf seinen Vorschlag für ein soziales Pflichtjahr hin. Er habe nicht er­wartet, dass die Idee nur Begeisterung hervorrufe. „Was ich will, ist eine ehrliche Debatte über unser Enga­ge­ment für das gemeinsame Ganze.“ Eine Debatte, die hoffentlich nicht wieder im „Nichts“ enden werde.

Er sei und bleibe überzeugt, dass es keine Zumutung sei, wenn man die Menschen frage, was sie für den Zu­sammenhalt zu tun bereit seien. Fakt sei zwar, das klassische Ehrenamt altere, Verantwortung verteilt sich auf immer weniger Schultern. Dabei sei der „Einsatz für andere – gerade in der Zeit des Gegenwinds – unverzicht­bar“. Er sei „systemrelevant“.

Wichtig ist für den Bundespräsidenten auch eine Verteilung der Lasten bei Vermögen und Einkommen. Die Menschen müssten in den kommenden Jahren Einschränkungen hinnehmen, so Steinmeier. Die Botschaft sei aber: „Unser Staat lässt Sie auch in dieser Zeit nicht allein!“

Vermögende und reiche Menschen müssten jetzt ihren Beitrag dazu leisten, die immensen Kosten der Entlas­tungen zu stemmen. „Beeindruckende Entlastungs­pakete sind wichtig – aber nicht weniger wichtig ist Ge­rechtigkeit bei der Verteilung der Lasten.“

Im Hinblick auf den Ukrainekrieg sagte der Bundespräsident, der russische Angriff sei ein Angriff auf das Recht, auf die Prinzipien von Gewaltverzicht und unverletzlichen Grenzen. „Er ist im Grunde ein Angriff auf alles, wofür auch wir Deutsche stehen.“

Wer also schulterzuckend frage, was uns in Deutschland dieser Krieg angehe, der rede „unverant­wortlich, aber vor allem geschichtsvergessen“, so der Bundespräsident. „Mit dieser Haltung können wir als Deutsche in Europa nicht bestehen – diese Haltung ist falsch!“

Viele Menschen fragten ihn, warum Deutschland denn Lasten tragen solle für einen Krieg in einem anderen Land, und ob man die Sanktionen nicht sein lassen könne. Er wolle diese Fragen nicht abtun, denn die da­hinter stehenden Ängste seien real. „Wir müssen diese Fragen beantworten.“

Die Sanktionen hätten Kosten, auch für uns, räumte Steinmeier ein. „Aber was wäre denn die Alternative? Ta­tenlos diesem verbrecherischen Angriff zuschauen? Einfach weitermachen als wäre nichts geschehen?“ Es sei im deutschen Interesse, sich mit den Partnern Russlands Rechtsbruch entgegenzustemmen.

„Es ist unser Interesse, dass wir uns aus Abhängigkeiten von einem Regime lösen, das Panzer rollen lässt gegen ein Nachbarland und Energie als Waffe benutzt. Es ist unser Interesse, uns selbst zu schützen und unsere Verwundbarkeit zu reduzieren.“

may/dpa

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