EU-Kommission legt Vorschläge zur Revision der Medizinprodukteverordnung vor

Berlin – Die EU-Kommission hat ihre lang erwarteten Vorschläge für eine Revision der Medizinprodukterichtlinie (MDR) veröffentlicht. Darin kommt sie den Forderungen der Medizintechnikindustrie weit entgegen.
Die 2021 in Kraft getretene MDR hatte aus Sicht der Industrie zu enormen Aufwänden für Zertifizierung und Rezertifizierung sowie zu massiven Kapazitätsproblemen bei den dafür zuständigen Benannten Stellen geführt.
Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen kritisierten, dass der bürokratische Aufwand unverhältnismäßig und deshalb ursächlich dafür sei, dass vor allem Spezialprodukte, die nur in geringer Stückzahl hergestellt werden, vom Markt gehen.
Die Kommission hat die Kritikpunkte aufgegriffen und nun ein Reformpaket vorgelegt. Es sieht vor, durch effizientere Berichtspflichten, einfachere Vorschriften und straffere Verfahren für alle wichtigen Akteure den Verwaltungsaufwand zu verringern und die Koordinierung zwischen den Regierungsakteuren zu verbessern.
So solle die Aufsicht über die Benannten Stellen gestrafft und besser abgestimmt werden. Durch eine stärkere Einbindung von Expertengremien und der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) soll auf europäischer Ebene mehr wissenschaftliche, technische, regulatorische und administrative Unterstützung bereitgestellt werden.
Zudem soll die Kommission befugt werden, die Beteiligung der Europäischen Union (EU) an hochrangigen internationalen Kooperations- und Informationsaustauschmechanismen mit zuverlässigen Partnern festzulegen und die Übernahme internationaler Leitlinien zu verstärken.
Insbesondere für Produkte mit geringem und mittlerem Risiko sowie Produkte für kleine Patientengruppen wie Kinder und Patienten mit seltenen Erkrankungen sollen die Konformitätsbewertungsverfahren „vorhersehbarer, fokussierter und ausgewogener“ gestaltet werden, schreibt die Kommission.
Regulatorische Definitionen sollen dabei klarer gestaltet, Klassifizierungsregeln verhältnismäßiger gemacht und die Verwendung von Daten aus der Praxis erleichtert werden. Auch sollen elektronische Gebrauchsanweisungen breiter bereitgestellt werden.
Für den Abschluss der Konformitätsbewertungen sollen künftig konkrete Fristen gelten und unnötige regulatorische Belastungen wie die fünfjährigen Rezertifizierungen für Produkte, die auf langjährigen, gut verstandenen und etablierten Technologien basieren, abgeschafft werden.
Außerdem sollen Innovationen im Medizintechnikbereich stärker als bisher gefördert werden, beispielsweise durch frühzeitige fachliche Beratung und sogenannte Regulatory Sandboxes, also kontrollierte Testräume, in denen unter behördlicher Aufsicht zeitlich befristete Ausnahmen vom geltenden Recht gewährt werden können.
Der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) sieht in dem Maßnahmenpaket zwar gute Ansätze. Diese würden aber nicht ausreichen, um die spürbaren Folgen des aktuellen MDR-Systems für Innovationskraft, Produktverfügbarkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz der europäischen Gesundheitsindustrie kurzfristig abzustellen.
So sei der Umfang und somit die Gesamtkosten und die Dauer der Konformitätsbewertungsverfahren bis zur Zertifizierung von Medizinprodukten für die Hersteller weiterhin unvorhersehbar und nicht planbar. Kleine und mittlere Unternehmen seien von den negativen Folgen überproportional betroffen.
Zudem würden die Auslegungen der Vorschriften und die Anwendung der Leitfäden durch Benannte Stellen und Behörden oft über das Gesetz hinausgehen und seien europaweit unterschiedlich, was dem Ziel der Harmonisierung im Binnenmarkt widerspreche.
Der Verband Pharma Deutschland kritisiert die geplante Rolle der EMA. Es bestehe die Gefahr, dass durch ihre Einbeziehung unter anderem bei Abgrenzungs- und Klassifizierungsfragen, länderübergreifenden klinischen Studien und Ausnahmeregelungen sowie in den Bereichen Vigilanz und Marktüberwachung zusätzliche bürokratische Hürden entstünden, ohne dass die dafür notwendige spezifische Fachexpertise bislang ausreichend etabliert sei.
Aus dem Kassenlager kommen gegenteilige Bedenken: Mit dem Bürokratieabbau dürften keine Regeln zum Patientenschutz abgebaut werden, mahnt der AOK-Bundesverband. Falls doch, müsse gleichzeitig das Kostenrisiko für jene Herstellerfirmen steigen, die mangelhafte Produkte auf den Markt bringen.
Der Verband fordert deshalb, dass die Hersteller von der EU gesetzlich dazu verpflichtet werden, eine Haftpflichtversicherung mit einer angemessenen Mindestdeckungssumme abzuschließen, die im Schadensfall von den Geschädigten auch direkt auf EU-Ebene in Anspruch genommen werden kann.
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