EU-Parlament: Abgeordnete warnen vor großer Hoffnung auf russischen Impfstoff

Brüssel – Bei der Beschaffung von Impfstoffen gegen COVID-19 durch die Europäische Union (EU) seien Fehler gemacht worden. Das gab die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, unlängst zu. Übermorgen wird sie sich den Fragen des Europäischen Parlaments zur Impfstoffstrategie stellen. Im russischen Impfstoff „Sputnik V“ sehen einige Abgeordnete vorerst keine Lösung der Engpässe.
Vertreter der vier größten Fraktionen im Parlament forderten heute im Vorfeld der Aussprache mit von der Leyen die Offenlegung aller Abnahmeverträge zwischen der Kommission und den Impfstoffherstellern. Sie kritisieren, dass wesentlich Fakten wie vereinbarte Abnahmemengen, Einkaufspreise und Haftungsregelungen nicht transparent gemacht werden.
Zugleich bestätigten sie aber, was auch Sprecher der Kommission immer wieder betonen: Es sei ausreichend viel Impfstoff bestellt worden, das Problem seien die mangelnden Produktionskapazitäten der Hersteller. Hierauf müssten nun alle Kräfte vereint werden.
Orbán unterstützt „Show“ um „Sputnik V“
Ob der russischen Impfstoff „Sputnik V“ über die derzeitigen Engpässe hinweghelfen kann, sei unklar. „Wenn die russischen Behörden wollen, dass ihre Impfung in Europa vermarktet wird, müssen sie die erforderlichen Unterlagen einreichen. Wenn die Impfung autorisiert wird, gibt es keinen Grund sie nicht einzusetzen“, sagte Pascal Canfin, Abgeordneter der liberalen Fraktion Renew Europe.
„Wir sollten nicht damit rechnen, dass „Sputnik V“ die große Lösung wird“, erklärte Bas Eickhout von der European Free Alliance (EFA), der Grünen-Fraktion im EU-Parlament. Die Produktion des russischen Impfstoffs sei in großen Mengen genauso problematisch wie die aller anderen Hersteller.
Der russische Präsident Wladimir Putin würde „eine Show“ um den Impfstoff inszenieren und hätte dabei bereits Unterstützung von Ungarns Präsident Viktor Orbán erhalten, der „Sputnik V“ unabhängig von der EU und auf eigenes Risiko bestellt hatte.
EU-Kommission hat sich abhängig von Impfstoffherstellern gemacht
Kritiker rund um den Globus hatten Russland immer wieder vorgeworfen, dass der Impfstoff dort zugelassen wurde, ohne die dritte Erprobungsphase durchlaufen zu haben. Auch stellten Putins Behörden kaum Informationen zur Entwicklung des Impfstoffs zur Verfügung, die eine unabhängige Überprüfung durch andere Experten möglich gemacht hätten. Eine jetzt im Lancet veröffentlichte Studie wirft laut Berichten des Spiegel weiterhin Fragen auf.
Zunächst gelte es zudem, bei den schon bestehenden Vereinbarungen nachzubessern, forderten die Parlamentarier. „Die Kommission hat sich sehr abhängig von den Herstellern gemacht, denn sie haben Verträge unterschrieben, in denen sie sich bereit erklären, genau diese Verträge geheim zu halten“, kritisierte Eickhout. Nun müssten sie die Firmen nachträglich darum bitten, die Dokumente etwa für das Parlament zugänglich machen zu dürfen, damit die Abgeordneten sie als Vertreter der EU-Bürger prüfen können.
„Wir werden weiterhin Druck auf die Kommission und die Hersteller ausüben, um die Informationen zu bekommen“, so Eickhout. Zwei Verträge sind bereits teilweise veröffentlicht worden. Nach Rücksprache durch die Kommission mit dem deutschen Unternehmen Curevac, hatte das EU-Parlament Einblick in eine geschwärzte Version des Abnahmevertrags erhalten.
EU-Parlament fordert mehr Transparenz von allen Seiten
Auch den an entscheidenden Stellen geschwärzten Vertrag mit Astrazeneva stellte die Kommission mit Genehmigung des Herstellers ins Internet. „Das war ein Teilerfolg, aber wichtige Schlüsselelemente werden durch die Schwärzung nach wie vor geheim gehalten“, erklärte Canfin.
Eine faktenbasierte Diskussion sei aber nicht möglich, ohne alle Fakten zu kennen. „Man sieht, wohin die mangelnde Transparenz führt, nicht einmal die Kommission wusste, wann die Hersteller wie viele Dosen wohin exportieren“, so Canfin mit Blick auf den Konflikt mit Astrazeneca.
Das britisch-schwedischen Unternehmen hatte eine Woche vor der Zulassung seines Impfstoffs in der EU bekannt gegeben, weniger als die Hälfte der angekündigten Dosen an die EU liefern zu können, während Drittstaaten wie Großbritannien weiterhin die bestellten Mengen erhalten sollten.
Die strengen Exportregelungen, die die Kommission in diesem Zuge eingeführt hatte, seien ein hilfreiches Instument, um einen besseren Überblick zu bekommen. Gleichzeitig appellierte Canfin an die Mitgliedstaaten sich ihrerseits transparent zu zeigen. So hatte das Parlament Anfragen gestellt, welche Länder zu wann wie viele Impfdosen von den verschiedenen Herstellern erwarten, doch nur vier lieferten vollständige Informationen.
Doch auch die Hersteller sollen sich künftig weiteren Fragerunden des EU-Parlaments stellen. „Das Verhalten von Astrazeneca war völlig inakzeptabel“, erklärte Jytte Guteland von der sozialdemokratischen Fraktion (S&D). Generell lasse die Informationspolitik der Pharmabranche zu wünschen übrig. So haben alle Hersteller, die mit der EU Verträge abgeschlossen haben, mittlerweile bekannt gegeben, die vereinbarten Mengen nicht im anvisierten Zeitraum liefern zu können.
Der gesundheitspolitischer Sprecher der christdemokratischen Fraktion EVP, Peter Liese, betonte, dass auch andere Staaten wie die USA, Großbritannien oder Israel sich transparenter zeigen und ihre Verträge offen legen sollten. Aus diesen Verträgen ist bislang nur wenig bekannt, unter anderem dass die Staaten weitestgehend auf eine Haftung der Hersteller verzichteten. Die Entscheidung der Kommission, in den Verträgen auf eine Haftung der Hersteller zu bestehen, unterstütze das Parlament weiterhin, so Liese.
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