Ausland

EU-Parlament setzt auf Schockfotos auf Zigarettenpackungen

  • Dienstag, 8. Oktober 2013
Uploaded: 08.10.2013 17:57:28 by mis
dpa

Straßburg – Zigarettenpackungen müssen künftig Schockfotos mit Raucherlungen, vergammelten Zähnen oder Krebstumoren haben. Ein Gesetzesvorhaben der EU-Kommission fand am Dienstag im Europaparlament eine Mehrheit. Allerdings schwächten die Parlamentarier den Kommissionsvorschlag ab – Warnhinweise und Fotos sollen nur 65 Prozent der Oberfläche von Zigarettenpackungen bedecken, die Kommission plante mit 75 Prozent. Damit kam das Europaparlament den Bedenken der Tabakindustrie entgegen. Die Firmen laufen gegen die Regeln Sturm, um zu verhindern, dass der Kiosk zum - O-Ton aus der Tabakbranche – „Gruselkabinett“ wird.

Die Bundesärztekammer begrüßte die Entscheidung des EU-Parlaments zur Neure­gelung der Tabakrichtlinie als „wichtigen Schritt zu einem rauchfreien Europa“. Die Zustimmung zu Schockbildern auf Zigarettenschachteln sowie zum Verbot besonders gefährlicher Zusatzstoffe und Aromen sei ein wichtiger Schritt im Kampf gegen das Rauchen, erklärte Ärztepräsident Frank-Ulrich Montgomery am Dienstag in Berlin. Dem Rauchen und den dadurch hervorgerufenen Krankheiten fielen pro Jahr mehrere hunderttausend Menschen europaweit zum Opfer. „Die Ärzteschaft bedankt sich hierfür bei den Entscheidungsträgern und sagt: Thank you for not smoking.“

Der Verband der deutschen Rauchtabakindustrie hingegen bewertete die Entscheidung des Parlaments in Straßburg als „enttäuschend“. Das Ergebnis der Abstimmung stelle eine Gängelung von Industrie, Handel und Verbrauchern dar.  Es sei „an vielen Stellen ein Vernichtungsprogramm für kleine und mittelständische Anbieter von Tabaker­zeugnissen“.    

Der Deutsche Zigarettenverband in Berlin warnte, die zahlreichen Regulierungsvorgaben der neuen Richtlinie würden „gravierende Auswirkungen auf die Hersteller von Zigaretten und die Sicherheit der dortigen Arbeitsplätze haben - ohne in irgendeiner Form dem Gesundheitsschutz zu dienen“. Die EU erschaffe mit der Richtlinie ein neues „Bürokratie­monster“, das die Existenz kleiner und mittelständischer Betriebe konkret gefährde.

Wirkung der Schockfotos strittig
Strittig ist, welche Wirkung die geplanten Schockfotos haben. EU-Gesundheitskommissar Tonio Borg verweist auf Kanada und Brasilien, wo Schockbilder den Tabakkonsum reduziert haben. Die Regeln seien wissenschaftlich fundiert, betont Borg. Der markt­liberale FDP-Europaparlamentarier Holger Krahmer sieht das anders. Für ihn ist die Richtlinie ein dämlicher „Kreuzzug gegen das Rauchen“, der wissenschaftlich auf wackligen Füßen stehe.

Kaum ein EU-Vorhaben hatte in vergangenen Jahren so stark Emotionen geweckt wie die Tabakrichtlinie. Lobbyisten traten in Brüssel in gefühlter Kompaniestärke auf, grimmig beäugt von Anti-Rauch-Aktivisten. Die einen warnten vor Arbeitsplatz-Verlusten, die anderen verwiesen lautstark auf die jährlich 700,000 Toten, die in der EU an den Folgen des Rauchens sterben.

Gesundheitskommissar John Dalli kostete das Vorhaben im Herbst 2012 letztlich sein Amt, weil er einen dubiosen Tabaklobbyisten zum Bekannten hatte und dadurch in Verruf geriet. Andere Lobbyisten hofften daraufhin, dass das Gesetzgebungsvorhaben durch den Amtswechsel bis zum Sanktnimmerleinstag verzögert würde. Doch Dalli-Nachfolger Borg packte das Vorhaben schnell an. Sein Ziel: Weniger Raucher besonders unter jungen Leuten, um die Zahl der Tabaktoten einzuschränken. Dass jedes Jahr in der EU quasi eine Stadt von der Größe Palermos ausgelöscht werde, sei unerträglich.

Das Europaparlament bestätigte den Kommissionskurs am Dienstag grundsätzlich. Der Europaabgeordnete Richard Seeber, Co-Gesundheitssprecher der Christdemokraten, nannte das Votum einen „Sieg für den Jugend- und Gesundheitsschutz“.

Allerdings kamen die Abgeordneten den Industrieinteressen etwas entgegen. So hatte die Kommission den Zigarettenherstellern verbieten wollen, Kippenpackungen mit abgerundeten Ecken herzustellen. Quatsch, unkten Christdemokraten und fanden eine Mehrheit, um die Pflicht zu „quaderförmigen“ Packungen zu löschen. Geblieben ist die Vorschrift von mindestens 20 Glimmstängeln pro Kippenpackung.

E-Zigaretten keine Arzneimittel
Die Forderung der EU-Kommission, elektronische Zigaretten als Arzneimittel einzustufen und somit einem strengen Zulassungsverfahren zu unterwerfen, fand allerdings keine Mehrheit. Auch das von der Brüsseler Behörde geforderte Verbot der bei Frauen beliebten Slim-Zigaretten lehnte das Europaparlament ab. Verboten werden sollen aber Verpackungen, mit denen die Industrie vor allem junge Mädchen locken will, etwa in Form einer Lippenstifthülle.

Aufatmen dürfte auch der 94-jährige Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt als Deutschlands bekanntester Kettenraucher. Denn seine bevorzugten Mentholzigaretten sollen zwar verboten werden, aber mit großzügiger Übergangsfrist. So sollen die Verkaufsregeln nach dem Willen des Parlaments wohl erst 2022 in Kraft treten, die EU-Staaten planen mit dem Jahr 2019.

Unterhändler von Parlament und Staaten müssen sich nun einigen. Unter Dach und Fach ist das Gesetzespaket also noch nicht. Doch weil die beiden EU-Institutionen in vielen Punkten gleichauf oder nah beieinander liegen, gilt die finale Annahme der Richtlinie Anfang 2014 als so gut wie sicher.

afp/dpa

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