Experten fordern Änderungen am Präventionsgesetz

Berlin – Bei einer Anhörung vor dem Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages haben Sachverständige und Verbände heute das von Union und SPD geplante Präventionsgesetz im Grundsatz gelobt. Sie mahnten jedoch zugleich weitreichende Änderungen an. „Wir brauchen einen Paradigmenwechsel. Wir müssen erreichen, dass die Prävention eine genauso starke Säule im deutschen Gesundheitswesen wird wie die Kuration, die Rehabilitation und die Pflege heute. Aber davon sind wir weit entfernt“, meinte der frühere Berliner Gesundheitssenator Ulf Fink, der als Einzelsachverständiger geladen war.
Der Gesetzentwurf könne dem hohen Anspruch an eine vierte Säule im Gesundheitswesen nicht gerecht werden. „Das heißt aber nicht, ihn abzulehnen“, sagte Fink. „Denn das Präventionsgesetz ist der Beginn einer ganz neuen Handlungsperspektive, die ich nur begrüßen kann.“
Mit dem Präventionsgesetz sollen den gesetzlichen Krankenkassen sowie der Pflege- und der Rentenversicherung unter anderem mehr Möglichkeiten für Präventionsangebote eingeräumt und die betriebliche Gesundheitsförderung gestärkt werden. Insgesamt sollen die Krankenkassen ab 2016 jährlich mindestens rund 490 Millionen Euro in Leistungen zur Gesundheitsförderung investieren. Bei der Erstaufnahme in eine Kita soll zudem künftig nachgewiesen werden, dass eine Impfberatung erfolgt ist.
„Mit den aktuellen Präventionsangeboten kommt man auf Dauer nicht weiter“
„Wir hatten Hunderte von Präventionsangebote, aber die nicht übertragbaren Krankheiten sind weiter angestiegen. Mit den aktuellen Maßnahmen kommt mal also auf Dauer nicht weiter“, sagte der Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft, Erhard Siegel. „Wir erreichen zwar die Mittelschicht, aber nicht die bildungsfernen Schichten.“ Auch er forderte deshalb einen Paradigmenwechsel. „Die Ursachen für viele nicht übertragbare Erkrankungen sind Umweltbedingungen: Es gibt an jeder Ecke hochkalorische Nahrungsmittel zu kaufen, aber gleichzeitig bewegen sich die Menschen kaum noch“, erklärte Siegel. Die Verhaltensprävention müsse deshalb um Maßnahmen der Verhältnisprävention ergänzt werden. Sonst werde das Gesetz scheitern.
Konkret forderte Siegel ganz bestimmte Maßnahmen: In den Schulen solle täglich eine Stunde Sport getrieben werden, gesunde Lebensmittel gehörten steuerlich entlastet. Es müssten sichere Qualitätsstandards für Schul- und Kitaverpflegungen eingeführt sowie nicht kindergerechte Lebensmittelwerbung verboten werden. „Es kann nicht sein, dass die deutsche Fußballnationalmannschaft Werbung für Cola und Nutella macht. Hier muss der Gesetzgeber eingreifen“, forderte Siegel.
BÄK fordert ärztliches Präventionsmanagement
In dem Gesetzentwurf ist auch eine ärztliche Präventionsempfehlung enthalten, die Ärzte künftig im Anschluss an Vorsorgeuntersuchungen ausstellen können und die von den Krankenkassen berücksichtigt werden soll. „Wir begrüßen diese ärztliche Präventionsempfehlung sehr“, betonte Wilfried Kunstmann von der Bundesärztekammer (BÄK).
Die BÄK habe im Vorfeld bereits eigene Modelle entwickelt wie das Rezept für Bewegung, mit dem gute Erfahrungen gemacht worden seien. „50 Prozent der Patienten, die ein solches Rezept erhalten haben, haben sich ein Jahr danach immer noch regelmäßig bewegt“, sagte Kunstmann. Es sei gut, dass der Gesetzgeber solche ärztlichen Empfehlungen in das Präventionsgesetz aufnehmen wolle. „Wir plädieren aber dafür, ein ärztliches Präventionsmanagement einzuführen, bei dem Ärzte im Einzelfall entscheiden können, welche Präventionsangebote für ihre Patienten überhaupt geeignet sind“, so der BÄK-Dezernent.
Die BÄK befürworte zudem, die Präventionsmaßnahmen der Krankenkassen künftig zu zertifizieren. „Die Zertifizierung sollte jedoch nicht durch die Krankenkassen selbst erfolgen“, forderte Kunstmann. „Wir brauchen eine Trennung von Anbieter und Zertifizierer.“
GKV-Spitzenverband: Auch PKV soll zahlen
Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbandes, kritisierte, dass der Gesetzentwurf bislang nur eine sehr enge Fokussierung auf die gesetzliche Krankenversicherung vornehme. „Die private Krankenversicherung profitiert von den Leistungen, den Angeboten und den geschaffenen Strukturen, beteiligt sich aber nicht an der Finanzierung“, kritisierte er. Das müsse geändert werden.
Der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Jürgen Graalmann, kritisierte, dass künftig die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufgabe (BZgA), eine Oberste Bundesbehörde, aus Mitteln der Krankenkassen finanziert werden solle: „Wir glauben, dass diese Regelung ein klarer Verstoß gegen das Verfassungsrecht ist“, sagte er. Die BZgA müsse aus Steuermitteln finanziert werden.
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