Politik

Experten fordern mehr Interoperabilität und Datennutzbarkeit im Gesundheitswesen

  • Freitag, 28. November 2025
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Berlin – Nachdem die Grundlagen der Digitalisierung des Gesundheitswesens gelegt worden sind, müssen Politik und Selbstverwaltung nun eine Verknüpfung und Vereinheitlichung der verschiedenen Systeme angehen. Darüber herrschte weitgehende Einigkeit bei der Digital Health Conference des Branchenverbands Bitkom.

So müsse die Gematik die Grundlagen dafür schaffen, eine umfassende Kommunikation und reibungslosen Datenaustausch über entsprechende Schnittstellen zu ermöglichen. „Ich bin seit 30 Jahren im Gesundheitswesen unterwegs und es nervt mich, dass wir immer noch über Schnittstellen sprechen müssen“, beklagte der Geschäftsführer von kv.digital, Volker Dentel.

Es brauche eine einzelne Stelle, die einheitlich den Standard für diese Schnittstellen festlegt, die dann von allen Akteuren im Gesundheitswesen genutzt werden.

Deutschland leide an diesem Punkt unter der Vielzahl und Komplexität seiner Systeme, betonte Gematik-Geschäftsführer Florian Fuhrmann. So habe man hierzulande früher als in anderen Ländern angefangen, Praxisverwaltungssysteme (PVS) zu nutzen.

„Wir waren führend im Desktop-Zeitalter, aber dadurch haben wir eine Legacy aufgebaut, die uns vieles erschwert“, sagte er. Der PVS-Markt sei heute aufgrund des Protektionismus der Hersteller ein defekter Markt, was sich dringend ändern müsse, beispielsweise durch Maßnahmen und Vorgaben, die einen Wechsel erleichtern. „Es muss ein gesunder und dynamischer Markt sein und das ist er im Moment nicht.“

Das sah der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, genauso. Der Markt sei eingefroren, es gebe viele Wechselwillige, aber aufgrund der hohen Hürden kaum tatsächliche PVS-Wechsel. „Von daher würden wir einen echten Markt sehr begrüßen“, sagte er.

Zudem würden die Praxen weiterhin unter der mangelnden Stabilität der Telematikinfrastruktur (TI) leiden. Zwar klinge es gut, dass die elektronische Patientenakte (ePA) statistisch eine Verfügbarkeit von 97 Prozent hat. „Das heißt aber, dass sie im Jahr zwei Wochen lang nicht erreichbar ist. Das ist nicht akzeptabel.“

Zentral seien aber vor allem gemeinsame Standards in Semantik und Syntax der Daten, unterstrich Fuhrmann. „Das ist die Grundvoraussetzung. Wir werden keine gemeinsame Versorgung von Praxen und Krankenhäusern schaffen ohne Interoperabilität.“

Er sei jedoch guter Dinge, dass das gelingen kann, da die Gematik heute viel agiler als noch vor weniger Jahren agieren könne. Seit der Übernahme der Mehrheitsanteile durch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) im Jahr 2019 könnten Entscheidungen bedeutend schneller getroffen werden.

In der Tat habe sich in den zurückliegenden Jahren viel bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens getan, räumte auch Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) ein. „Aber in der Versorgung stehen wir noch ganz am Anfang.“ So sei man „noch Lichtjahre davon entfernt, qualifiziert mit der ePA zu arbeiten“. Die meisten Krankenhäuser seien noch nicht einmal an diese angebunden.

Zudem werde die Verfügbarkeit einer Volltextsuche immer wichtiger, je voller die ePA wird, betonte auch Kristina Spöhrer, Mitglied des Bundesvorstands des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands (HÄV). Auch sie beklagte, dass die anhaltende Instabilität der TI ein großes Hindernis für die Versorgung sei. „Da brauchen wir unbedingt und ganz, ganz dringend Stabilität.“

Demgegenüber verwiesen Fachleute aus Forschung und Entwicklung auf die enormen Potenziale, die der Aufbau der digitalen Infrastruktur hierzulande bald schaffen werde, insbesondere durch die Kopplung an den geplanten Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS).

Hier berge das deutsche System der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) durch seine breite Abdeckung der Bevölkerung einen enormen Datenschatz, erklärte der Vorsitzende des Verbands der Universitätsklinika Deutschlands (VUD), Jens Scholz.

Damit könnten die für die Forschung nutzbaren Daten bald qualitativ hochwertiger sein als jene, die in den USA verfügbar sind. „Wir können damit bald Projekte beginnen, die wir schon seit vielen Jahren machen wollen“, pflichtete ihm Ariel Dora Stern bei, die den Lehrstuhl für Digital Health am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam bekleidet.

Es werde auf dieser Grundlage künftig eine „datenbasierte Gesundheitspolitik“ möglich. So ließe sich beispielsweise bereits aus breiten Abrechnungsdaten herausfinden, in welchen Fällen sich Telemonitoring als sinnvoll erweist. „Gerade fliegen wir da noch blind“, betonte sie.

Eine wichtige Voraussetzung sei dazu bereits mit dem Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) geschaffen worden, erklärte der Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Karl Broich.

Erste Anträge zur Datennutzung von Universitäten und aus der Industrie würden bereits bearbeitet. Auch die umstrittene spezialisierte Ethikkommission beim BfArM prüfe bereits erste Anträge.

Handlungsbedarf gebe es aber noch bei der Antragseinreichung. „Wir werden da an der einen oder anderen Stelle noch nachbessern müssen, weil der Zugang noch zu kompliziert ist“, sagte er. Derzeit bespreche das BfArM mit Datenschützern mögliche Änderungen.

lau

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