Ärzteschaft

Fachgesellschaft beklagt fehlende Versorgung bei Adipositas

  • Donnerstag, 6. Oktober 2022
Foto: picture alliance
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München – Menschen mit starkem Übergewicht werden vom deutschen Gesundheitssystem im Stich gelassen. Das hat die Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) zum Auftakt des diesjährigen Adipositaskongresses in München bemängelt.

Die Fachgesellschaft betonte, dass schätzungsweise 17 Millionen Menschen in Deutschland von Adipositas betroffen seien, aber nur die Allerwenigsten eine Therapie nach medizinischen Empfehlungen erhielten. Dem­nach werde die Erkrankung in neun von zehn Fällen nicht einmal diagnostiziert.

Dass Betroffene für ihre Behandlung oft selbst aufkommen müssten, sei „mit dem Sozialstaatsprinzip nicht vereinbar“ und stehe „im Widerspruch zur Anerkennung der Adipositas als Krankheit“, sagte DAG-Präsident Jens Aberle bei der Pressekonferenz.

„Der menschliche Körper verteidigt sein Körpergewicht mit allen Kräften, sodass dauerhaftes Abnehmen den allermeisten Menschen ohne professionelle Hilfe nicht gelingt“, erklärte er weiter. Eine Gewichtsreduktion könne das Risiko für schwerwiegende Folgeerkrankungen wie Herzkrankheiten oder Typ-2-Diabetes verrin­gern.

„Doch anstatt ein erhöhtes Körpergewicht frühzeitig zu behandeln, greift unser solidarisches Gesundheits­system erst dann, wenn die Folgeschäden schon aufgetreten sind“, kritisiert Aberle.

„Die Adipositastherapie ist keine Lifestyleberatung, sondern die Behandlung einer chronischen Krankheit. Diese Erkenntnis hat sich in der wissenschaftlichen Fachwelt längst durchgesetzt“, erklärte Christina Holz­apfel, DAG-Vorstandsmitglied und diesjährige Tagungspräsidentin.

„Dass die Adipositastherapie in aller Regel eine freiwillige Leistung der Krankenkassen darstellt, ist weder ge­rechtfertigt noch zielführend. Die fehlende Sicherheit bei der Kostenübernahme erschwert eine evidenzba­sierte Behandlung enorm – vor allem im ambulanten Bereich“, sagte Hans Hauner, DAG-Vorstandsmitglied und Tagungspräsident des diesjährigen Kongresses.

Die­ DAG wies darauf hin, dass die Kostenübernahme für die Adipositastherapie derzeit individuell beantragt werden muss. Ob und zu welchem Anteil die Kosten für eine Ernährungsberatung oder eine Bewegungsthe­rapie übernommen würden, sei eine individuelle Entscheidung der jeweiligen Krankenkasse.

Andere Therapieoptionen wie die begleitende Arzneimitteltherapie werden nach Aussagen der Fachgesell­schaft nicht erstattet, da eine Verschreibung von Präparaten zur Gewichtsreduktion zulasten der Kassen ge­setzlich ausgeschlossen ist. Lediglich bei geprüften Smartphone-Apps müssen Kassen die Kosten überneh­men.

„Betroffene erhalten im Moment zu wenig Unterstützung vom Gesundheitssystem“, sagte auch Michael Wirtz, der seit Jahren in der Selbsthilfe aktiv und Vorstandsmitglied der Adipositashilfe Deutschland ist. Er drängt auf Therapieangebote wie es bei anderen chronischen Erkrankungen selbstverständlich ist.

Der Gesetzgeber hat die Versorgungslücke erkannt. Im Jahr 2020 hatte er eine Reform auf den Weg gebracht. Die Adipositas wurde mit Verabschiedung des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) offiziell als Krankheit anerkannt.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) muss nun – ähnlich wie für andere chronische Krankheiten – bis Juli 2023 ein strukturiertes Behandlungsprogramm für Betroffene von Adipositas beschließen (DMP Adipo­sitas). Aus Sicht der DAG stellt das DMP einen „Meilenstein“ dar und kann ein Anstoß sein, die defizitäre Ver­sorgungssituation zu verbessern.

Allerdings könne ein DMP allein das grundlegende Problem der fehlenden Kostenübernahme nicht lösen. Dazu müsse der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen überarbeitet und die rechtlichen Hürden für die Arzneimitteltherapie beseitigt werden, so die DAG.

may/EB

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