Fachgesellschaften warnen vor unkritischem Cannabiseinsatz

Berlin – Medizinische Fachgesellschaften und Fachverbände haben Kritik am Umgang der Medien mit medizinischem Cannabis geübt. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und der Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (BKJPP) riefen zur sorgfältigen Recherche und ausgewogenen Berichterstattung auf.
In den Medien würde bislang „häufig nicht zwischen Medizinalcannabis und cannabisbasierten Rezeptur- und Fertigarzneimitteln unterschieden“, bemängeln DGPPN und BKJPP. Der Nutzen würde an eindrucksvollen Patientenbeispielen dargestellt, über Therapieversagen und Nebenwirkungen würde hingegen kaum berichtet.
„Da Zulassungsstudien fehlen, mangelt es auch an Informationen zu Indikationen, Dosierung, Darreichungsform, Anwendungsdauer, Gegenanzeigen, Risiken oder Nebenwirkungen – es gibt keine Fachinformation für Cannabisblüten. Auch wurde bisher die Häufigkeit von Risiken nicht erfasst“, erläuterte Ursula Havemann-Reinecke, unter anderem Leiterin des Referates für Abhängigkeitserkrankungen der DGPPN.
„Wir möchten alle Ärzte dazu aufrufen, die betäubungsmittelrechtlichen Regularien in der Verschreibung von Cannabispräparaten zu beachten und an der Begleiterhebung teilzunehmen“ betont Lukas Radbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Er appelliert an alle Ärzte: „Bringen Sie die von Ihnen behandelten Patienten in die Forschung ein!“
Vor dem Hintergrund einer häufig ungenügenden oder spärlichen Studien- und Informationslage bittet Anil Batra, Vorsitzender der Deutschen Suchtgesellschaft, Ärzte um eine kritische Prüfung dieser Publikationen und um einen besonders sorgfältigen Umgang mit cannabisbasierten Arzneimitteln.
Der Appell richtet sich aber auch an die Politik: „Unterstützen Sie die Forschungsförderung im Bereich der cannabisbasierten Arzneimittel, die sowohl randomisierte kontrollierte Studien als auch andere Forschungsansätze wie Patientenregister und Fallserien beinhaltet. Ergebnisse dieser Studien sind eine bessere Grundlage für die Anwendung von medizinischen Cannabisprodukten als die bisherigen Erkenntnisse“, so die Verbände.
Zahlen der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände zufolge ist die Nachfrage nach medizinischem Cannabis in Deutschland in den vergangenen zwei Jahren stark gestiegen. 2018 gaben Apotheken rund 145.000 Einheiten cannabishaltiger Zubereitungen und unverarbeiteter Blüten auf Basis von etwa 95.000 Rezepten zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung ab. Das sind mehr als dreimal so viele wie in den knapp zehn Monaten von der Freigabe im März 2017 bis Ende 2017: Damals wurden 27.000 Rezepte und 44.000 Einheiten registriert.
Hintergrund sind die Regelungen des Gesetzes zur „Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ vom März 2017. Seither können Ärzte aller Fachrichtungen Cannabisblüten, den Medizinalhanf, wie auch cannabisbasierte Arzneimittel verschreiben. „Durch dieses Gesetz ist Deutschland das einzige Land in Europa, in dem die Verschreibung von Medizinalcannabis und cannabisbasierten Arzneimittel nicht auf spezielle Indikationen beschränkt wurde“, schreiben die Fachverbände.
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