Fachleute: Breiterer Einsatz von Viertimpfungen derzeit nicht nötig

Berlin – In der Debatte um eine Ausweitung der Empfehlung zu Corona-Viertimpfungen zeigen sich Fachleute weiter sehr skeptisch. Zu viele Boosterimpfungen gegen das Coronavirus seien für junge gesunde Menschen nicht sinnvoll. Menschen mit einer Immunschwäche allerdings bräuchten deutlich mehr Impfungen in einem kürzen Abstand, um den gleichen Impfschutz zu erhalten. Das erklärten gestern drei Immunologinnen und Immunologen in einem vom Science Media Center organisierten Pressegespräch.
Bereits durch die zweite Impfung hätten junge gesunde Menschen aus immunologischer Sicht einen ausreichenden Schutz gegen einen schweren Krankheitsverlauf, so Christiane Falk, Leiterin des Instituts für Transplantationsimmunologie der Medizinischen Hochschule Hannover und Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung. Erst nach circa einem Jahr nehme der Schutz durch die T-Zellantwort ab.
Die T-Zellen verhindern zwar keine Corona-Virusinfektion, sorgen aber für einen abgeschwächten Verlauf der Infektion. Die neutralisierenden Antikörper, die nur einige Wochen nach der Infektion oder der Impfung in hohen Konzentrationen vorhanden sind, können dagegen teilweise die Infektion selbst verhindern.
Die Immunantwort ist laut der Immunologin auch altersabhängig. Daher sei es bei älteren Menschen sinnvoller als bei jungen Menschen ein wiederholtes Mal zu boostern. Unter den ab 70-Jährigen gäbe es Menschen, die noch gut auf die Impfung ansprächen.
Zu dieser Gruppe gehörten aber auch Personen, deren Immunsystem nach einer zweiten oder auch nach einer dritten Impfung noch nicht den gleichen Schutz aufweise, wie es bei jüngeren Gesunden der Fall ist. Je niedriger man die Altersgrenze für wiederholte Impfungen setze, desto kleiner sei auch die Gruppe derjenigen, die nicht auf die Impfung ansprächen, erläuterte Falk.
Risikofaktor: Autoantikörper gegen Interferone
Hinzu komme, dass vier Prozent der über 70-Jährigen Autoantikörper gegen Interferone aufwiesen, ergänzte Andreas Radbruch, wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin. „Auf einer Intensivstation seien es 20 Prozent der Patienten, die diese Autoimmunität hätten, so Radbruch. „Diese Menschen sind extrem gefährdet, wenn sie dem Virus gegenüberstehen.“ Daher seien mehrere Impfungen für sie sinnvoll.
Ähnlich sieht es bei Menschen mit einer Immunschwäche aus. „Hier sehen wir die Antikörperantworten, die wir bei jungen immungesunden Personen sehen, teils erst nach der dritten oder nach der vierten Impfung“, berichtete Christoph Neumann-Haefelin, Leiter der Arbeitsgruppe Translationale Virusimmunologie am Universitätsklinikum Freiburg. Während es bei jungen Gesunden besonders wichtig sei, einen ausreichenden Abstand zwischen den Impfungen zu gewährleisten, könne diese Gruppe bereits nach drei Monaten erneut geimpft werden.
Insgesamt sollte bei immungesunden Personen allerdings ein Abstand von mindestens einem halben Jahr eingehalten werden, erläuterten die Experten. Das gelte auch für medizinisches Personal, für das es eine Empfehlung für die zweite Boosterimpfung durch das Robert Koch-Institut (RKI) gibt.
Zudem sollten Menschen keine Angst davor haben, wenn die Werte der T-Zellen und auch der Antikörper abfallen. Denn dies sei laut Radbruch ein ganz normaler Vorgang und kein Indiz dafür, dass Geimpfte keinen Schutz mehr hätten. „Es ist zwar weniger Masse da, aber die Klasse nimmt zu“, erläuterte Radbruch das Prinzip der Affinitätsreifung. Es gäbe dann zwar weniger unterschiedliche Antikörper, aber es überlebten genau diejenigen, die besonders wirksam gegen das Virus seien.
Sättigung durch zu frühen Booster
Ein zu früherer Booster könne zu einem sogenannten Sättigungsmechanismus führen. „Das ist bereits bei vielen anderen Impfungen bekannt“, erklärte Radbruch. Werde das gleiche Antigen immer wieder in der gleichen Dosis appliziert, sei das Immunsystem schnell so hochgefahren, dass das Antigen direkt abgefangen werde, und keine erneute Wirkung auf das Immunsystem mit sich brächte.
„Es kann sogar ein Handycap sein, in dem Wettlauf zwischen der Immunantwort und dem Virus.“ Damit meinte Radbruch das Prinzip der Antigenerbsünde: Ist das Immunsystem bereits einmal in Kontakt mit einem Virus gekommen, bildet es bei Kontakt mit einer neuen Virusvariante vor allem Antikörper gegen diejenigen Epitope, die bereits in dem ursprünglichen Virus vorhanden waren. Dadurch könne es passieren, dass zu viele Booster den Schutz gegen verschiedene Varianten verschlechtern, so Radbruch.
Allerdings sei dies bei SARS-Cov-2 bisher nicht aufgetreten, ergänzt Neumann-Haefelin. Alle Virusmutanten, inklusive Omikron, unterschieden sich zwar in den Epitopen, die die Antikörperantwort betreffen würden, nicht jedoch in der T-Zellantwort.
Mit welchem Impfstoff in den Herbst
Mit welchem Impfstoff nun die Boosterimpfung durchgeführt werden sollte, sei vermutlich nicht entscheidend, so Neumann-Haefelin. Zudem lasse sich aktuell noch nicht sagen, ob der Omikron-spezifische Impfstoff von Moderna oder von Biontech welcher Impfstoff für den Herbst besser sei. Allerdings wies er darauf hin, dass der Antikörperschutz auch hier vermutlich wieder nur wenige Wochen anhalte. Der Schutz vor einem schweren Verlauf über die T-Zellen dagegen, sei unabhängig vom Impfstoff gegeben.
Radbruch erläutert zu dem, dass der Schutz durch die Coronavirus-Impfungen vermutlich über Jahrzehnte anhalten werde. Nach einer Infektion oder Impfung sei die Konzentration an Antikörpern im Knochenmark ähnlich wie die nach einer Masern-oder Tetanus-Impfung. Man könne daher von einem effizienten Schutz ausgehen.
In Deutschland empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) einen zweiten Booster derzeit nur für Menschen ab 70 und Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte sich kürzlich in Brüssel für eine vierte Impfung für alle ab 60 Jahren eingesetzt. Die EU-Arzneimittelbehörde EMA hatte Anfang April erklärt, dass eine vierte Dosis für alle Bürger derzeit nicht notwendig sei: Es könne aber für Menschen ab 80 Jahren sinnvoll sein angesichts des höheren Risikos einer schweren COVID-Erkrankung.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: