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US-Präsidentschaftswahl: Diskussion um kognitive Gesundheit von Biden hält an

  • Freitag, 12. Juli 2024
/picture alliance, ASSOCIATED PRESS, Susan Walsh
/picture alliance, ASSOCIATED PRESS, Susan Walsh

Washington – Auf dem NATO-Gipfel in Washington wollte der US-amerikanische Präsident Joe Biden (81) seinen Kritikern gestern eigentlich beweisen, dass seine kognitiven Aussetzer bei der TV-Debatte mit seinem Konkurrenten Donald Trump (77) Anfang Juni nur Momentaufnahmen waren. Als er den ukrainischen Präsi­denten Wolodymyr Selenskyj allerdings mit Russlands Präsidenten Vladimir Putin verwechselte, wurde klar, dass die Diskussionen um Bidens Gesundheit anhalten würden.

Bereits der Auftritt in der TV-Debatte zur diesjährigen US-Wahl war ein wahltaktisches Desaster gewesen: Der bekannt schleppende Gang beim Betreten der Tribüne in Atlanta, Stottern, Stammeln und Wortfindungsstö­rungen; schließlich Sätze, die im Nirgendwo endeten und keinen Sinn ergaben.

Seither ist die kognitive Befähigung Bidens für das höchste Staatsamt zum Thema Nummer Eins in den USA und weit darüber hinaus geworden. Als Erklärungen für den Zustand des Präsidenten an jenem möglicher­wei­se die Wahl mitentscheidenden 7. Juni wurde zunächst eine Erkältung, dann Müdigkeit durch Jetlag herange­zogen: Der Präsident war kurz zuvor von den Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag der Landung in der Normandie zurückgekehrt.

Die amerikanische Öffentlichkeit und die Medien überzeugte dies bisher nicht. Biden wird sich den Rücktritts­forderungen aus dem Kreis seiner Parteifreunde – und vielleicht auch der Großspender – erwehren müssen. Die Nachricht, dass ein Parkinsonexperte achtmal binnen eines achtmonatigen Zeitraums an der 1.600 Penn­sylvania Avenue vorstellig wurde, trägt nicht zur Beruhigung der Gemüter bei.

Spinale Arthritis und periphere Neuropathie

Die jüngsten Ereignisse haben den in Fragen der eigenen Gesundheit nicht immer offenen Präsidenten end­gültig zu einer umfassenden Informationspolitik genötigt. Es bleibt abzuwarten, wie ehrlich, wie glaubhaft künftige Verlautbarungen sind.

Auch der alljährliche Report des Physician to the President, der wiederum die Ergebnisse eines breiten, fach­übergreifenden Ärzteteams zusammenfasst, ließ unlängst Raum für Interpretationen und Fragen. Die wich­tigsten dokumentierten Diagnosen sind gastroösophagealer Reflux, spinale Arthritis, obstruktive Schlagapnoe, saisonale Allergien und sensorische periphere Neuropathie der Füße.

Das sicher nicht überraschende Gesamturteil: Es handele sich um „einen gesunden, aktiven, robusten 81-jäh­rigen Mann, der fit ist, um die Pflichten der Präsidentschaft wie Chief Executive, Staatsoberhaupt und Ober­kommandierender der Streitkräfte auszuüben“. Details zu kognitiven Fähigkeiten sucht man vergebens.

US-Geschichte voller kranker Präsidenten

Dass Öffentlichkeit und Medien die durchweg sonnigen Statements über die Gesundheit amerikanischer Prä­sidentschaftskandidaten skeptisch sehen, liegt an der vieljährigen Geschichte der Verschleierung tatsächlicher und oft auch die Amtsfähigkeit bedrohender Leiden.

Kein Kandidat spielte mit dem Thema seiner Gesundheit derart Vabanque wie der Inbegriff jugendlicher Dynamik im Weißen Haus, John F. Kennedy. Der bei seiner Wahl 1960 erst 43-jährige Politiker litt an Morbus Addison und hatte immer wieder schwere gesundheitliche Krisen durchlitten; mindestens einmal hatte der Katholik bereits die letzte Ölung erhalten.

Er wurde mit Steroiden behandelt, über deren exakte Dosierung damals noch wenig evidenzbasierte Daten vorlagen; auf einigen Porträtfotos sieht das Gesicht des 35. Präsidenten aufgedunsen aus.

Auch wenn bei den politischen Kontrahenten Gerüchte über die Erkrankung umgingen – sein Rivale und spä­terer Vizepräsident Lyndon B. Johnson nannte ihn einen „gelbgesichtigen Burschen“ –, gelang es Kennedys Wahlkampfteam, die Öffentlichkeit von der ungebrochenen Vitalität von JFK zu überzeugen. Erst nach Kenne­dys Tod wurde die Krankengeschichte bekannt – ob in vollem Umfang, muss auch heute noch bezweifelt werden.

Roosevelt litt an hochgradiger Herzinsuffizienz

Das liegt in der Tradition anderer Präsidenten, die ihre Probleme verheimlichen oder herunterspielen konnten: Wie der Herzinfarkt von Dwight D. Eisenhower 1955 oder der bösartige Kiefertumor, den Grover Cleveland 1893 außer Sichtweite der Presse bei einem Eingriff auf einer Privatyacht entfernen ließ.

Weltpolitische Konsequenzen hatte die Verschleierung des Schlaganfalls von Woodrow Wilson 1919/1920: Der Präsident war völlig amtsunfähig, der Kongress bestimmte die Außenpolitik und verhinderte die Mitglied­schaft der USA im Völkerbund.

Auch im Zweiten Weltkrieg stand in der Spätphase ein Mann an der Spitze der inzwischen mächtigsten Nation der Welt, der in eine Klinik und nicht ins Weiße Haus gehört hätte. Franklin D. Roosevelt litt bei seiner vierten Kandidatur 1944 unter hochgradiger Herzinsuffizienz und einem Blutdruck von bis zu 240 zu 130.

Dass er von einem HNO-Arzt, Ross McIntire, und nicht von einem Kardiologen betreut wurde, zeigt auf, dass Fachkompetenz nicht immer der ausschlaggebende Faktor bei der Bestellung der White House Physicians ist.

Report über Trumps Gesundheit

In Fragen der persönlichen Fitness hat Donald Trump momentan Oberwasser. Als Trump 2015 seine erste Präsidentschaftskandidatur verkündete, ließ er über einen ihn betreuenden Arzt Verlautbarungen in der für ihn charakteristischen Diktion veröffentlichen, wonach er bei exzellenter Gesundheit sei und im Falle seiner Wahl der gesündeste Präsident der US-Geschichte sein würde.

Die Formulierung wurde schnell Allgemeingut, wonach Trump 200 Jahre alt werden könnte, würde er sich nur etwas gesünder ernähren. Der Arzt gab später an, Trump habe ihm diese Einschätzungen diktiert.

Unlängst hat der Kandidat der Republikanischen Partei erstmals nach mehr als drei Jahren wieder einen Re­port über seinen Gesundheitsstatus veröffentlicht. Wobei „Report“ ein zu starkes Wort ist: Das Schriftstück gleicht mehr einem Brief und kommt ohne Details wie Laborparameter oder Angaben zu Trumps Blutdruck, Stoffwechsellage und vor allem Körpergewicht aus. Letzteres gilt als die wahrscheinlichste medizinische Schwachstelle Trumps.

Trumps neuer Arzt

Während seiner Zeit im Weißen Haus von 2017 bis 2021 wurden Zahlen zu Trumps Gewicht veröffentlicht: Mit 244 Pfund (knapp 111 Kilo) im Jahr 2020 bei knapp 1,90 Meter Körpergröße wäre er mit einem BMI von circa 30,7 gerade schon als adipös zu bezeichnen.

Damals waren in einem CT-Scan auch Plaques in den Koronararterien des Präsidenten festgestellt worden. Doch derart unschöne Dinge lässt der neue Arzt an Trumps Seite nicht verlauten. Er spricht sehr allgemein von „exzellenter Gesundheit“ und vor allem von „außergewöhnlichen“ kognitiven Fähigkeiten.

Bei Trumps Leibarzt handelt es sich um den 64-jährigen Osteopathen (im Englischen als Ostepathic Physician bezeichnet) Bruce A. Aronwald, der nicht unbedingt die überzeugendste medizinische Grundausbildung hinter sich hat, aber über einen aus Trumps Perspektive kaum zu übertrumpfenden Bonus verfügt: Aronwald ist seit vielen Jahren Mitglied im Trump National Golf Club Bedminster in New Jersey.

Diesem Bundesstaat entstammt Aronwald und dort, in Morristown, ist auch seine Praxisadresse gelistet. Nach dem Studium an der Syracuse University erwarb er 1986 seinen osteopathischen Abschluss an der in dieser Form nicht mehr existierenden University of Medicine and Dentistry of New Jersey.

Gehobene Form der Betreuung

Aronwald war zunächst in einer kleinen Allgemeinarztpraxis tätig, bevor er 2002 in das einträgliche Feld der Concierge Medicine wechselte. Darunter versteht man ein von wohlhabenden Patienten genutztes System, in dem diese einem Arzt, einem Ärzteverbund oder sogar eine Universitätsklinik eine jährliche Gebühr zahlen und damit einen bevorzugten Zugang und eine gehobene Form der Betreuung erhalten.

Auch die hochangesehene Johns Hopkins Medicine bietet einen solchen Service mit den Worten an: „Skip the waiting room.“ Um dem Wartezimmer zu entgehen, waren Aronwalds Patienten nach amerikanischen Medien­recherchen bislang bereit, im Schnitt 1.800 Dollar Jahresgebühr zu zahlen. Die Arztrechnungen kommen se­parat.

Mehr Aussetzer von Biden

Joe Biden unterlaufen derweil im täglichen politischen Geschäft zunehmend Fehler, die die Medien weltweit als Beleg für kognitive Probleme werten. Stimmen auch aus seiner Partei mehren sich, die eine Niederlegung seiner Kandidatur fordern.

Sollte Biden bis zum Parteitag der Demokraten im August auf eine Kandidatur verzichten, würde der Partei eine sogenannte Contested Convention erleben, wie sie früher üblich waren: mit richtigen Abstimmungen und ohne eine Pro-Forma-Investitur eines seit langem feststehenden Kandidaten.

Sollte der Präsident nach dem Parteitag das sprichwörtliche Handtuch werfen, würde dies eine noch nie dagewesene Situation darstellen. Es steht zu vermuten, dass die Granden der Partei – heute Superdelegierte genannt –, darunter die Obamas und Hillary Clinton, in Zusammenarbeit mit einflussreichen Gruppen wie Gewerkschaften und Lehrerverbänden eine meist hinter verschlossenen Türen stattfindende Kandidatensuche starten.

Grundsätzlich sollte das hohe Alter beider Kandidaten das Augenmerk der amerikanischen Wählerinnen und Wähler auf die Nummer Zwei auf dem Ticket richten. Mit dem Vizepräsidentschaftskandidaten oder der Vizepräsidentschaftskandidatin wählt man in diesem Jahr möglicherweise den nächsten Amtsinhaber in einem Wahlgang mit.

rdg

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