Politik

Konzept der Gesundheitskioske: Kritik am Aufbau von Parallelstrukturen

  • Donnerstag, 1. September 2022
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Berlin – Der Bund will mit rund 1.000 neuen Gesundheitskiosken die gesundheitliche Versorgung in sozial benachteilig­ten Gebieten verbessern. Finanzieren soll das in großen Teilen die gesetzliche Krankenversiche­rung (GKV). Das Konzept bleibt einen Tag nach Vorstellung der Eckpunkte für ein neues Gesetz nicht ohne Widerspruch und Bedenken.

Für den Präsidenten der Sächsischen Landesärztekammer, Erik Bodendieck, ist die wohnortnahe Versorgung und Beratung von Patienten zwar ein wichtiges Anliegen. „Doch mit der flächendeckenden Einrichtung von sogenannten Gesundheitskiosken wird kein einziges der eigentlichen und aktuellen Versorgungsprobleme gelöst“, sagte er.

Zuerst müssten auf der einen Seite die bestehenden ambulanten und stationären Versorgungsstrukturen ver­ändert werden. Außerdem gäbe es jetzt schon zu wenig medizinisches und pflegerisches Personal. Ganz zu schweigen von den finanziellen Engpässen bei den Krankenkassen.

Bodendieck wies darauf hin, dass es darüber hinaus bereits eine Vielzahl an Beratungs- und Unterstützungs­an­geboten für Patienten bei den Krankenkassen, Selbsthilfeeinrichtungen, den Einrichtungen zur Gesund­heits­förderung und den Gesundheitsämtern gebe.

„Hier wird eine teure Parallelstruktur aufgebaut, die von den eigentlichen Herausforderungen ablenken soll“, so Bodendieck. Es sei außerdem zu erwarten, dass weitere Gelder aus der medizinischen Versorgung abgezo­gen werden, um die Gesundheitskioske zu finanzieren. Ein Beispiel dafür sei die zusätzliche Vergütung einer Medikationsberatung für Apotheker, die bisher vom Arzt allein erfolgte.

Erik Bodendieck rief das Bundesgesundheitsministerium auf, erst eine Reform der Krankenhausstrukturen und der ambulanten Versorgung in Angriff zu nehmen, bevor neue Strukturen geschaffen werden, die die medizini­sche Versorgung vielleicht in Hamburg, aber nicht auf dem Land verbessern würden.

Kritisch sieht die Pläne auch das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi). So sei unklar, warum die Kioske nur in einer engen Anbindung an den Öffentlichen Gesundheitsdienst arbeiten sollten. „Der Öffent­liche Gesundheitsdienst nimmt zwar wichtige Aufgaben in der Gesundheitsförderung und Prävention wahr“, sagte Zi-Chef Dominik von Stillfried.

Der zentrale Ort, an dem haus- und fachärztliche Versorgung in der Stadt und auf dem Land stattfinde, seien aber die niedergelassenen Arztpraxen. Deshalb komme es auf eine sehr enge Kooperation an, nicht nur in der Durchführung einfacher medizinischer Routineaufgaben auf ärztliche Veranlassung, sondern auch in der Be­ratung von Patienten, etwa in der Ernährungsberatung für Diabetiker, die auf andere Elemente des Therapiemanagements abgestimmt sein müssten.

„Auch die Evaluation des Projekts in Hamburg hat gezeigt, dass ein Kiosk dann erfolgreich ist, wenn ein Netz von Praxen aktiv dahintersteht und Praxen Patientinnen und Patienten aktiv für bestimmte Fragestellungen an den Kiosk verweisen können“, so von Stillfried. Bei der weiteren Ausgestaltung des Konzepts sollte daher auch die Anbindung an behandelnde Arztpraxen gesondert berücksichtigt werden.

Bereits gestern war Kritik des AOK-Bundesverbands an dem Finanzierungskonzept laut geworden. Geplant ist, dass die Krankenkassen 74,5 Prozent der Gesamtkosten tragen, die private Krankenversicherung (PKV) 5,5 Prozent und die Kommunen 20 Prozent. Heute legte die IKK nach.

„Die geplante Einrichtung von Gesundheitskiosken in sozial schwachen Gebieten, um niedrigschwellig bei gesundheitlichen und sozialen Angelegenheiten zu unterstützen, ist ein wichtiger Baustein eines umfassen­den Gesundheitswesens. Doch kann es nicht sein, dass auch hier wieder vor allem die gesetzliche Krankenver­sicherung (GKV) die Lasten tragen soll“, erlkärte IKK-Geschäftsführer Jürgen Hohnl.

Im Eckpunktepapier heiße es klar, dass die Kioske Daseinsvorsorge betreiben sollten. „Diese darf aber nicht beitrags-, sondern muss steuerfinanziert werden“. Die Politik sollte – auch angesichts der bereits klaffenden Lücke im Gesundheitsfonds – das Finanzierungskonzept der Gesundheitskioske dringend überdenken.

„Angesichts der angespannten Finanzlage bei den Krankenkassen sind die Pläne des Gesundheitsministers vollkommen kontraproduktiv“, erklärte auch Peter Noack, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztliche Vereini­gung Brandenburg (KVBB). Nach ersten Schätzungen würden sich die Kosten für 1.000 Gesundheitskioske auf rund eine Milliarde Euro pro Jahr belaufen. 745 Millionen davon würden auf die Krankenkassen entfallen.

„Das ist Geld, das in der ambulanten Versorgung dringend benötigt wird. Gleichzeitig schlagen die Kranken­kassen trotz steigender Kosten in der Vergangenheit und Zukunft für die ambulanten Praxen und MVZ eine Nullrunde beim Honorar vor. Dies gleicht einer Verhöhnung ärztlicher Kompetenz und Arbeit“, sagte er.

Auch inhaltlich zeigt der KVBB-Vorsitzende wenig Verständnis für die Pläne, mit den Gesundheitskiosken eine weitere Säule der medizinischen Betreuung aufbauen zu wollen. „Karl Lauterbach sagt, dass weder Wohnort noch Geldbeutel über die Behandlung entscheiden dürfen. Das gewährleisten bereits heute die Vertragsarzt­praxen – eine wohnortnahe ambulante Versorgung ohne zusätzliche Kosten.“

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek hält das Konzept „Gesundheitskioske“ grundsätzlich für sinn­voll. Allerdings müssten die vorgelegten Eckpunkte noch näher geprüft werden. „Insbesondere ist auch eine enge Abstimmung mit den Kommunen erforderlich“, so Holetschek.

Er glaube, Gesundheitskioske könnten für größere Städte mit benachteiligten Stadtteilen wichtig sein und die niedrigschwellige Versorgung der Bevölkerung in bestimmten innerstädtischen Bereichen ergänzen. Für Flä­chenländer wie Bayern könnten die Gesundheitskioske ohnehin nur ein Mosaiksteinchen einer umfassenden Gesundheitsversorgung sein, da nach den bisherigen Vorstellungen gerade der ländliche Raum nicht voll abgedeckt werden könne.

„Vor diesem Hintergrund sind weitere Maßnahmen zur Sicherung der Versorgung im ländlichen Raum erfor­der­­lich, wie sie zum Beispiel die Staatsregierung mit der Landarztprämie erfolgreich umsetzt“, betonte der CSU-Minister. Der Freistaat setze auch sehr erfolgreich auf die Gesundheitsregionen plus. Für mich sind sie das mustergültige Modell, um Gesundheitsvorsorge und -versorgung auf kommunaler Ebene zu pushen.

Der Deutsche Pflegerat (DPR) sieht noch „viele Leerstellen“. Ungeklärt seien etwa Umfang, Finanzierung und die Frage, woher fundiert ausgebildete Fachkräfte kommen sollten. Es sei „grundsätzlich die Frage zu stellen, ob vielerorts diese Anlaufstellen nicht bereits bestehen“, sagte DPR-Präsidentin Christine Vogler.

Die vor Ort arbeitenden ambulanten Pflegedienste erfüllten schon heute viele der jetzt in den Eckpunkten genannten Aufgaben. Auch sollten die etablierten Pflegestützpunkte mit in den Blick genommen und deren Arbeit evaluiert werden.

may

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