Politik

FDP greift Gesundheitsminister wegen fehlender Streitvermeidung an

  • Mittwoch, 27. März 2024
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Berlin – Die FDP hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vorgeworfen, sich nicht an Vereinbarungen der Bundesregierung zur Vermeidung internen Streits zu halten. Der SPD-Politiker habe einen Gesetzentwurf zur Entlastung von Hausarztpraxen ohne die informell verein­barte Frühkoordinierung in die Abstimmung zwischen den Ministerien geschickt, hieß es gestern in liberalen Regierungskreisen.

„Die Mahnung von Kanzler Scholz nach Unterhaken in der Koalition nehmen nicht mal die eigenen Minister ernst“, hieß es. In der sogenannten Frühkoordinierung beraten normalerweise Kanzleramt, Wirtschaftsministe­rium (BMWK) und Finanzministerium (BMF), also die Spitze der Koalition, über den Gesetzentwurf eines Minis­teriums. Hier hat jeder Koalitionspartner schon früh die Möglichkeit, grundsätzliche Bedenken zu äußern.

Die FDP hat offenbar solche Bedenken. Sie moniert aus ihrer Sicht teure Doppelstrukturen bei den Gesund­heitskiosken, die parallel zu Praxen und Krankenhäusern finanziert werden sollten. Der gesundheitspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Andrew Ullmann, nannte die Idee einen „massiven Kostentreiber“, dessen Mehrwert in der gesundheitlichen Versorgung noch ungeklärt sei. „Eine zusätzliche Belastung der Beitrags­zahler und Beitragszahlerinnen lehnen wir entschieden ab. Sollten die Kioske im Kabinettsentwurf Bestand haben, werden wir in der Koalition noch viel diskutieren müssen.“

Kritik übte auch die Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD) Michaela Engelmeier be­fürchtet, dass da­durch „unnötige und kostenintensive Doppelstrukturen entstehen“ könnten.

„Anstatt zusätzliche Stellen zu schaffen, sollten die bestehenden Strukturen und Netzwerke gestärkt werden durch Investitionen, Ausbaumaßnahmen und engere Vernetzung“, sagte Engelmeier der Zeitung Welt heute. „Zudem bindet jeder Gesundheitskiosk Fachkräfte, etwa die Leitung des Gesundheitskiosks durch eine Pflegefachkraft, die an anderer Stelle dringend benötigt werden.“

Auch die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, warnte in der Welt: „Die Einrichtung von Ge­sund­heitskiosken darf nicht dazu führen, dass andere Beratungsstellen wie die Suchtberatung oder die Unab­hängige Patientenberatung vernachlässigt werden.“

Die Grünen hatten schon in Richtung FDP gemahnt, die überfälligen Strukturreformen dürften im Kabinett nun auf keinen Fall weiter verzögert oder gar blockiert werden.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verteidigte die geplante Einführung von Gesundheitskios­ken gegen Kritik. Die Einrichtungen seien als medizinische Ansprechstellen in ansonsten ärztlich unterversorg­ten Gebieten auf dem Land und in strukturschwachen Vierteln der Großstädte notwendig, sagte Lauterbach heute in Berlin.

Wenn die Versorgung zusammenbreche, sei dieser Zugang besser als gar kein Angebot. Sozialverbände hatten zuvor vor hohen Kosten gewarnt. Lauterbach zufolge droht in einigen Regionen Deutschlands in ein bis zwei Jahrzehnten eine massive Unter­versorgung vor allem von Hausärzten und Psychotherapeuten. Es werde „ganze Stadtteile“ geben, „wo wir keine brauchbare Versorgung mehr haben werden“, sagte Lauterbach.

Wenn Patientinnen und Patienten auch in kleineren und weniger dringlichen Fällen direkt die Notaufnahmen der Kliniken aufsuchten, drohe dort eine Überlastung. Mit dem Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz ver­suche er, „die Not zu lindern“.

Ein Kernbestandteil des Gesetzes ist die Einführung der Gesundheitskioske. Diese sollen von einer Pflegefach­kraft geleitet werden und eine erste, niedrigschwellige Anlaufstelle für Pa­tienten sein, insbesondere für Alte und chronisch Kranke. Das dortige Personal kann dann – falls nötig – Em­pfehlungen für eine ärztliche Behandlung, Präventionsmaßnahmen oder andere soziale Dienste aussprechen.

Die Kioske sollen dazu beitragen, dass weniger Menschen in Arztpraxen oder Krankenhäusern behandelt wer­den müssen. Die Kosten sollen zu 74,5 Prozent die Krankenkassen tragen, zu 5,5 Prozent die private Kranken­versicherung und zu 20 Prozent die Kommunen. Bisher gibt es nur einige Modellprojekte.

Das Gesetz soll auch die Versorgung von Patienten vor Ort stärker absichern. Für Hausärzte sollen etwa Vergü­tungsobergrenzen wegfallen. Außerdem soll vermieden werden, dass chronisch Kranke immer wieder nur zum Rezept holen in die Praxis kommen müssen.

dpa

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