Politik

Vertragsärztliche Versorgung wird umgestaltet: Entbudgetierung, Pauschalen, Medizinstudium

  • Dienstag, 26. März 2024
/picture alliance, Benjamin Nolte
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Berlin – Die hausärztliche Versorgung soll umfassend gestärkt werden, unter anderem mit der Entbudgetie­rung und jahresbezogenen Versorgungspauschalen. Dies sieht ein aktueller Entwurf eines Gesetzes zur Stär­kung der Gesundheitsversorgung in der Kommune (Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz, GVSG) vor, der dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt.

Um die ambulante ärztliche Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auch künftig flächen­deckend sicherzustellen, sei eine Stärkung der hausärztlichen Versorgungsstrukturen „essentiell“, heißt es im Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministeriums (BMG).

Deshalb sollen Leistungen der allgemeinen hausärztlichen Versorgung von mengenbegrenzenden oder hono­rarmindernden Maßnahmen ausgenommen werden – analog zur bereits erfolgten Entbudgetierung in der Kinder- und Jugendmedizin.

Konkret sollen alle Leistungen der allgemeinen hausärztlichen Versorgung, die im dritten Kapitel des Ein­heit­lichen Bewertungsmaßstabs (EBM) abgebildet sind, sowie hausärztlich durchgeführte Hausbesuche, die nach Kapitel 1.4 des EBM abrechenbar sind, von den Krankenkassen in voller Höhe vergütet werden.

Zudem soll der Bewertungsausschuss beauftragt werden, abweichend von der derzeitigen quartalsabhängi­gen Versichertenpauschale für die kontinuierliche Versorgung chronisch kranker Patientinnen und Patienten eine jahresbezogene Versorgungspauschale im EBM zu beschließen.

Damit sollen dem BMG zufolge unnötige Arzt-/Praxis-Patienten-Kontakte vermieden und gleichzeitig eine angemessene Honorierung der hausärztlichen Leistungen gewährleistet werden. Die Versorgungspauschale würde im Falle einer Umsetzung die Versicherten- und Chronikerpauschale sowie weitere kleinere Zuschläge und Pauschalen für vier Quartale ersetzen.

Versorgungs- und Vorhaltepauschale

Im Gesetzentwurf heißt es, der Bewertungsausschuss könne die Höhe der Versorgungspauschale zur Abbil­dung von Behandlungsbedarfen, die mit unterschiedlich hohem Aufwand verbunden sind, in gestufter Form beschließen. Vor der Beschlussfassung habe der Bewertungsausschuss dem BMG ein Konzept zur Genehmi­gung vorzulegen.

Zusätzlich zur jahresbezogenen Versorgungspauschale soll der Bewertungsausschuss eine Vorhaltevergütung für die hausärztliche Grundversorgung beschließen. Die Höhe der Vorhaltepauschale soll in Abhängigkeit der Anzahl der vorliegenden Kriterien in Stufen festlegt werden können, so das BMG.

Zu den dann vom Bewertungsausschuss festzulegenden Kriterien sollen unter anderem eine Mindestanzahl von mindestens 450 zu versorgenden Patienten je Arzt und je Quartal, eine „bedarfsorientierte Erbringung“ von Haus- und Pflegeheimbesuchen sowie „bedarfsgerechte Praxisöffnungszeiten, die regelmäßige monatli­che Abendsprechstunden und ein ergänzendes Angebot an Samstagssprechstunden“ umfassen, gehören.

Darüber hinaus soll in den Kriterien aufgenommen werden, dass beim „überwiegenden Anteil der zu versor­genden Patienten eine regelhafte Pflege“ der elektronischen Patientenakte (ePA) stattfindet.

Um für eine gewisse Bürokratieentlastung für alle Vertragsärztinnen und -ärzte zu sorgen, soll eine Gering­fügig­keitsgrenze von 300 Euro im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfungen umgesetzt werden. Das BMG geht davon aus, dass mit einer solchen Regelung eine Reduktion von rund 70 Prozent der jährlich durchge­führten Prüfverfahren – im Jahr 2022 waren dies rund 47.000 Verfahren – erreicht werden kann. Bundesge­sundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte die Gesetzespläne bereits nach einem Treffen mit Ärztever­tretern angekündigt.

Gesundheitskioske und -regionen sollen Defizite beheben helfen

Für weitere Strukturreformen sollen laut Gesetzentwurf „Gesundheitskioske“ in Regionen mit einem hohen Anteil an sozial benachteiligten Personen und in strukturell benachteiligten Regionen sorgen.

Das Initiativrecht soll bei den Kommunen liegen – die Kosten sollen zu 74,5 Prozent die Krankenkassen tragen, zu 5,5 Prozent die private Krankenversicherung und zu 20 Prozent die Kommunen. Eine Evaluierung der Gesundheitskioske soll alle drei Jahre, erstmals drei Jahre nach Inkrafttreten der Regelung, erfolgen.

Die regional vernetzte, kooperative Gesundheitsversorgung soll zusätzlich mit einer Regelung zur Bildung von Gesundheitsregionen unterstützt werden.

Um etwa „regionale Defizite der Gesundheitsförderung und Prävention sowie der Versorgung“ zu beheben, sollen die Landeskassenverbände die Möglichkeit erhalten, mit einem oder mehreren Kreisen oder einer oder mehreren kreisfreien Städten einen Vertrag über die Bildung einer Gesundheitsregion zu schließen. Kreise oder kreisfreien Städte sollen „einzeln oder gemeinsam ein Initiativrecht“ erhalten.

Eine ähnliche Stoßrichtung wird mit der vorgesehenen Rechtsgrundlage für die Errichtung von Primärversor­gungszentren verfolgt. Diese Zentren sollen neben der regulären hausärztlichen Versorgung ein besonderes hausärztliches Versorgungsangebot, das insbesondere den besonderen medizinischen Bedürfnissen älterer und multimorbider Patienten entspricht, bieten.

Verbessert werden sollen dem Entwurf zufolge psychotherapeutische Angebote für Kinder und Jugend­liche. Dazu soll für Planungen des Bedarfs eine neue eigene Arztgruppe gebildet werden. Dies ermögliche „eine zielgenauere Steuerung der Niederlassungsmöglichkeiten“ für entsprechende Praxen.

Medizinstudienplätze sollen gefördert werden

Neu im GVSG enthalten ist eine Regelung zum Ausbau von Medizinstudienplätzen. Grundsätzlich sind dafür die Bundesländer zuständig. Diese hatten in der Vergangenheit aber stets beklagt, dass sie den Ausbau der Plätze nicht alleine finanzieren können. Der Bund will nun ein Fördermodell schaffen, für das er Mittel bereit­stellen will.

Da Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) aber bereits für das Haushaltsjahr 2025 eine Sparparole aus­gegeben hat und die Lage 2026 kaum besser sein dürfte, dürfte dafür kein zusätzliches Steuergeld bereit gestellt werden. Das BMG geht dem Streit aus dem Weg und greift auf den Gesundheitsfonds und damit auf Gelder aus der GKV zurück. Das führte augenblicklich zu heftiger Kritik der Krankenkassen.

Im Detail sieht der Referentenentwurf vor, aus Mitteln der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds beim Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) einen Medizinstudienplätze-Förderfonds zu errichten. Aus diesem Topf können die Länder ab dem 1. Januar 2026 für den Aufbau der Studienplätze bezuschusst werden. Sie müssen dafür aber selbst ebenfalls Plätze schaffen oder verbindlich Zusagen.

Vorgesehen ist im GVSG konkret, dass für jeden von einem Land seit dem 1. Januar 2020 in Eigenleistung finanzierten Medizinstudienplatz bis zu zwei weitere Medizinstudienplätze gefördert werden. Das gilt so­lange, bis das zur Verfügung stehende Fördervolumen ausgeschöpft ist. Die Förderung umfasst je Studie­render oder Studierendem auf einem geförderten Medizinstudienplatz jährlich 35.200 Euro.

Die Fördersummen werden gedeckelt. 2026 sollen bis zu 110 Millionen Euro, 2027 bis zu 220 Millionen Euro, 2028 bis zu 330 Millionen Euro, 2029 bis zu 440 Millionen Euro, 2030 bis zu 550 Millionen Euro und ab dem Jahr 2031 jährlich bis zu 660 Millionen Euro über den Fonds zur Verfügung gestellt werden.

Die Vergabe der Mittel knüpft das Ministerium an eine Reihe von weiteren Regelungen. Demnach müssen die Länder unter anderem nachweisen, dass die durch den neuen Fonds geförderten Ärzte mindestens zehn Jahre lang in der Versorgung arbeiten – in der vertragsärztlichen Versorgung, einem Krankenhaus oder einer Vor­sor­ge- oder Rehabilitationseinrichtung. Die Prüfung der Anträge und Nachweise sollen in Hand des GKV-Spitzen­verbands liegen.

Ziel ist für das Ministerium die „die dauerhafte Erhöhung der Anzahl der Medizinstudienplätze durch Bereit­stellung finanzieller Mittel für die Länder, damit mehr Ärztinnen und Ärzte ausgebildet werden, die nach entsprechender Weiterbildung Leistungen für die gesetzliche Krankenversicherung erbringen“.

Aus dem GVSG herausgenommen wurde das Vorhaben, die Homöopathie als Satzungsleistung der Kranken­kassen zu streichen. Das Thema war noch im Referentenentwurf von Mitte Januar enthalten.

aha/may/dpa

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