Forderung nach mehr medizinischer Altersabschätzung bei Flüchtlingen in der Kritik

Berlin – Die Forderung von CDU/CSU nach mehr medizinischer Altersabschätzung bei jungen unbegleiteten Flüchtlingen haben die Organisationen Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW), der Bundesverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und das Deutsche Kinderhilfswerk scharf kritisiert.
„Die Medizin ist nicht in der Lage, das Alter festzustellen. Experten sind sich einig, dass nur eine grobe Schätzung mit einer Streubreite von mehreren Jahren möglich ist“, schreiben sie in einer Stellungnahme zum Thema. Der Beweis, dass eine Person volljährig sei, lasse sich auch durch bildgebende Verfahren nicht mit der geforderten „an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“ erbringen. „In der Praxis besteht daher ein erhebliches Risiko, dass Minderjährige durch die fehleranfällige Altersdiagnostik fälschlich zu Erwachsenen erklärt werden“, warnen die drei Organisationen.
Hintergrund ist eine Forderung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 29. November. „Nach Expertenschätzungen sind viele unbegleitete junge Flüchtlinge, die von der Jugendhilfe betreut werden, gar nicht minderjährig“, erklärte darin die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Nadine Schön. Deshalb brauche es bundeseinheitliche Standards für die Altersfeststellung von jugendlichen Ausländern, die ohne Papiere nach Deutschland einreisten.
Es sei „nicht länger hinnehmbar, dass durch die laxe Handhabung vieler Jugendämter nach Schätzungen von Experten mindestens ein Drittel bis zur Hälfte der in Obhut genommenen Jugendlichen deutlich älter ist – eine große Anzahl sogar Mitte zwanzig“, so Schön. Das sei nicht nur kostenintensiv, sondern binde auch Kapazitäten der Jugendhilfe, die für wirklich Hilfsbedürftige dann nicht mehr zur Verfügung stünden.
„Wenn durch bloße Inaugenscheinnahme eines unbegleiteten jugendlichen Ausländers durch Behördenmitarbeiter nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann, ob er noch minderjährig ist, sollten zwingend Mediziner zur Begutachtung hinzugezogen werden. Lässt sich auch durch die ärztliche Begutachtung der körperlichen Reife das Alter nicht eindeutig ermitteln, dürfen Röntgenuntersuchungen der Handknochen, des Schlüsselbeins oder der Zähne kein Tabu sein“, fordert Schön. Durch diese Untersuchungen könne zumindest ein Mindestalter diagnostiziert werden, was für die Entscheidung, ob eine Betreuung durch die Jugendhilfe erfolgen muss, ausreiche.
Rechtlicher Hintergrund für die medizinische Altersabschätzung ist das im November 2015 in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher. Die Fraktion fordert, die darin eröffneten Möglichkeiten regelhaft anzuwenden.
Die IPPNW verweist dagegen zusammen mit den beiden Organisationen auf eine Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission der Bundesärztekammer zu dem Thema. Diese hatte in ihrer im September 2016 im Deutschen Ärzteblatt erschienenen Stellungnahme auf die Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft für Forensische Altersdiagnostik (AG- FAD) hingewiesen und und Röntgen- wie auch Genitaluntersuchungen abgelehnt. „Bei nicht auszuräumenden Zweifeln am Lebensalter sollte zu Gunsten des Betroffenen entschieden werden“, heißt es in der Stellungnahme.
„Wir lehnen jede weitere gesetzliche Festschreibung der medizinischen Altersdiagnostik ab. Diese kann nichts zur Klärung des tatsächlichen Alters junger Flüchtlinge beitragen, geschweige denn zur Prävention von Gewaltverbrechen“, schreiben IPPNW, Bundesverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und das Deutsches Kinderhilfswerk.
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