„Forschung im hausärztlichen Setting – da ist einfach Musik drin“
Berlin – Die bisher maßgeblich von der Deutschen Stiftung für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DESAM) vorangetriebene Initiative Deutscher Forschungspraxennetze wechselte 2025 unter das Dach der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) und stellte sich als „DEGAM-ForNet“ neu auf. Über die Bedeutung von Forschung in der Primärversorgung sprach das Deutsche Ärzteblatt mit Leonor Heinz, Leiterin der Koordinierungsstelle für die Initiative Deutscher Forschungspraxennetze DEGAM-ForNet.

5 Fragen an Leonor Heinz, Leiterin der Koordinierungsstelle für die Initiative Deutscher Forschungspraxennetze DEGAM-ForNet
Das Jahr 2025 war turbulent für die Initiative Deutscher Forschungspraxennetze. Ihre bisherige Struktur als DESAM-ForNet hat sich verändert. Wie kam es dazu?
Die Initiative Deutscher Forschungspraxennetze ist 2020 gestartet als vom Bundesforschungsministerium geförderter Zusammenschluss von 23 allgemeinmedizinischen Universitätsstandorten in sechs Forschungspraxennetzen unter dem Namen DESAM-ForNet. 2025 wurde die Struktur unabhängig von spezifischen Förderlinien als Kommission der DEGAM neu aufgesetzt, und zwar als Gemeinschaft von 40 allgemeinmedizinischen Universitätsstandorten mit Forschungspraxen, die standortübergreifend zusammenarbeiten wollen.
Um eine relevante und qualitativ hochwertige Evidenzgrundlage für Entscheidungen in der Gesundheitsversorgung zu schaffen, wollen wir die Rahmenbedingungen für Forschung im hausärztlichen Setting sowie auch sektorenübergreifend verbessern. Entscheidend wichtig ist dabei die seit 2025 neu gestaltete Governance, die die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der Initiative DEGAM-ForNet sicherstellt.
Erfreulich ist, dass die Koordinierungsstelle für die Initiative DEGAM-ForNet für weitere fünf Jahre durch das Bundesforschungsministerium gefördert ist. Dass einige Forschungspraxennetze allerdings keine Weiterförderung erhalten, ist eine große Herausforderung.
Was ist daran besonders kritisch?
Die Expertise für Forschung im hausärztlichen Setting liegt in den Instituten und Abteilungen für Allgemeinmedizin an den Universitäten. Eine langfristige Stellenfinanzierung für die hochkompetenten Mitarbeitenden dort ist dringend erforderlich, um Forschungspraxennetze nachhaltig als „Brücke“ der universitätsmedizinischen Forschung in den ambulanten Raum zu etablieren.
Leider wird es in vielen Förderausschreibungen bisher noch nicht berücksichtigt, dass es eines professionellen Rahmens für Forschung im hausärztlichen Setting bedarf, um die Praxen – die aufgrund des doppelten demografischen Wandels massiv belastet sind – wirksam und nachhaltig für Forschung zu gewinnen. Ich hoffe, dass die Notwendigkeit dieser Investition perspektivisch erkannt wird. Denn das Wissen zu Langzeitoutcomes und patientenrelevanten Endpunkten schlummert im ambulanten Raum.
Gehen Sie davon aus, dass dieses Wissen aus dem ambulanten Raum schon bald genutzt werden kann?
Ja, Forschung im hausärztlichen Setting – da ist einfach Musik drin. Durch die Digitalisierung werden Daten anders verfügbar, entsprechend wandeln sich die Methodiken zum Nutzennachweis medizinischer Interventionen. Das ist ein historisch sehr spannender Moment.
Es ist entscheidend, dass gerade auch die Ärzteschaft sich proaktiv überlegt, wie sie die Entscheidungsgrundlage ihres eigenverantwortlichen Handelns schaffen möchte. In den letzten Jahrzehnten gab es viele Verteilungskämpfe innerhalb der Ärzteschaft. Ich bin überzeugt, dass gemeinwohlorientierte Forschung helfen kann, dass es mehr um patientenrelevante Ergebnisse von Versorgung geht.
Laut Berufsordnung dienen Ärztinnen und Ärzte der Gesundheit des einzelnen Menschen und der Bevölkerung. Ich bin sicher, dass wir dieser Verpflichtung durch gemeinwohlorientierte Forschung noch besser nachkommen können. Wir investieren in Deutschland enorme Ressourcen in die Gesundheitsversorgung, mit durchwachsenen Ergebnissen. Wir können das besser machen. Dazu brauchen wir Infrastruktur, die uns hilft, auch unbequeme, aber richtige Entscheidungen zu treffen.
Weiterhin bin ich überzeugt, dass ambulante Forschung entscheidend für die hausärztliche Nachwuchssicherung ist. Ich will, dass Medizinstudierende sehen: In der Hausarztpraxis kann man wirklich was bewegen. Hier wird ermittelt, was zu tun ist. Ich bin sicher, dass Menschen dann vermehrt hausärztlich arbeiten wollen.
Sie haben sich viel vorgenommen. Was können Sie voraussichtlich bereits 2026 erreichen?
Nach den Veränderungen in unserer Struktur steht das Jahr 2026 im Zeichen der Konsolidierung. Die bereits erarbeiteten Werkzeuge und Standards gilt es zu implementieren und weiterzuentwickeln. Zudem werden voraussichtlich fünf große Verbundforschungsprojekte starten, an denen insgesamt 21 allgemeinmedizinische Universitätsstandorte beteiligt sind.
Dabei stellt die Medizininformatik der Fachhochschule Reutlingen als Teil der Koordinierungsstelle der Initiative DEGAM-ForNet Software zur Studiendurchführung und zur Verwaltung von Forschungspraxen bereit. Das gilt es zu koordinieren.
Weitere Stichworte für 2026 sind der Bürgertag beim DEGAM-Kongress und die Qualifizierung von Forschungspraxen im Kontext des Research Ready-Konzepts. Zudem hoffe ich, dass wir die schon jetzt sehr gute Zusammenarbeit mit anderen Forschungsdateninfrastrukturen wie dem Netzwerk Universitätsmedizin (NUM) 2026 weiter ausbauen können, um die gemeinwohlorientierte Forschung in Deutschland voranzubringen.
Wie schauen Sie insgesamt auf 2026?
Erwartungsvoll – in der Initiative DEGAM-ForNet bündelt sich eine starke Expertise zu Forschung im hausärztlichen Setting. Daran kommt man in Zukunft nicht mehr vorbei. Nur ein ganz kleiner Teil der Menschen in Deutschland wird schließlich in einer Universitätsklinik behandelt.
Um den Nutzen und Schaden medizinischer Interventionen zu ermitteln, macht es daher keinen Sinn, sich allein auf das universitätsklinische Setting zu beschränken. Für eine patientenzentrierte Forschung ist es erforderlich, den gesamten Versorgungspfad abzubilden. Und der verläuft nun einmal ganz wesentlich in der Hausarztpraxis.
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