Ärzteschaft

Freiberuflichkeit soll wieder in den Fokus

  • Montag, 2. Oktober 2017

Düsseldorf – Im Kampf gegen den Ärztemangel sollte der Begriff der Freiberuflichkeit wieder in den Fokus rücken. Das hat der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO) in Düsseldorf gefordert. Anlass war der Sommerempfang von Ärztekammer Nordrhein (ÄKNO) und KVNO. „Das Durchschnittsalter mancher Fach­gruppen liegt bei 55 Jahren oder höher. Immer mehr Hausarztsitze bleiben unbesetzt“, sagte Frank Bergmann, der Vorstandsvorsitzende der KVNO. Die Nachwuchssituation bei den Hausärzten und einigen Facharztgruppen nannte er „nicht gerade ermutigend – trotz der vielen gemeinsamen Anstrengungen in den vergangenen Jahren“. Hinzu kommt Bergmann zufolge ein stetiger Trend nach unten bei der Wochen- und auch der Lebensarbeitszeit je Arzt.

Diese Entwicklung verlaufe „nahezu synchron“ mit einem Statuswechsel, sagte Bergmann. Immer mehr niedergelassene Ärzte gäben ihre Zulassung ab und gingen ins Angestelltenverhältnis. Das zeigten auch Zahlen der Kassenärztlichen Bundesver­einigung (KBV). Demnach arbeiten von 14.500 Ärzten, die in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) angestellt sind, 39 Prozent 30 und mehr Stunden pro Woche. 53 Prozent der in MVZ angestellten Ärzte arbeiten lediglich 20 Stunden pro Wochen und weniger, jeder zweite von ihnen sogar weniger als zehn Stunden pro Woche. Dagegen arbeiten von den rund 1.500 MVZ-Ärzte mit eigener Zulassung 85 Prozent mit vollem Versorgungsauftrag.

„Modell der Selbstausbeutung verliert an Attraktivität“

Allerdings sinke „tendenziell“ auch bei den Ärzten mit Zulassung die Arbeitszeit. „Ganz offenkundig verliert das Modell der Selbstausbeutung, das die jungen Kollegen bei ihren Vorgängern hinreichend beobachten konnten, an Attraktivität“, sagt der KVNO-Chef. Bergmann zufolge muss diese Entwicklung dringend in die Bedarfsplanung einfließen. „Denn diese beruht nach wie vor auf der Fehlannahme, dass ein junger Arzt einen ausscheidenden Kollegen ersetzt. Davon kann aber schon längst nicht mehr die Rede sein.“

Es sei daher die Aufgabe des KV-Vorstands, den Wandel in der Berufsausübung zu erkennen und zu überlegen, wie damit umzugehen sei und über Alternativen zum Status quo nachzudenken. Dabei komme die Freiberuflichkeit als „Schlüsselbegriff der ärztlichen Profession“ ins Spiel. Eine Renaissance dieses Begriffs würde sich angesichts der problematischen Entwicklung geradezu aufdrängen.

Dass er in den vergangenen zehn Jahren an Bedeutung verloren hat, liegt nach Ansicht des KV-Chefs am Einfluss von Fremdkapital in der ärztlichen Versorgung, zum Beispiel durch den Aufkauf von Arztsitzen durch Konzerne. Trotzdem sei „in Nordrhein immer wichtig“, dass der Arztberuf ein freier ist. Die Vertragsärzte wehrten sich dementspre­chend gegen Eingriffe in die Therapiefreiheit, gegen Kürzungen bei Honoraren und Prüfmaßnahmen.

Bergmann ist davon überzeugt, dass die Freiberuflichkeit als Koordinatensystem dienen kann, um den Arztberuf weiterzuentwickeln. Das sei nötig, denn die Rolle des Arztes im Gesundheitswesen werde sich verändern, etwa durch die Digitalisierung, den medizinischen Fortschritt und die Integration und Vernetzung der Versorgung.

Freiberuflichkeit und Selbstverwaltung sind untrennbar

Außerdem sei der Gedanke der Freiberuflichkeit untrennbar mit dem Modell der Selbstverwaltung verbunden. Davon profitiert nach Ansicht Bergmanns auch das Gemeinwesen, denn die ärztliche Selbstverwaltung entlaste den Staat. „Kluge Politik schützt und stärkt daher diese Selbstverwaltung – auch in ihrem ureigenen Interesse“, sagte der KV-Chef auch mit Blick auf die neu gewählte Bundesregierung.

Dennoch würde die Freiberuflichkeit von allen Seiten angegriffen und stehe „im Fadenkreuz der Fiskalpolitik – Stichwort: Gewerbesteuer“. Unterstützung erhoffen sich die Vertragsärzte vom nordrhein-westfälischen Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU), der „sich viele Male öffentlich zu einer ambulanten Versorgung bekannt“ hat, die durch freiberufliche Ärzte getragen wird.

Bringschuld gegenüber der Politik

Gegenüber der Politik hätten die Ärzte aber auch eine „Bringschuld“, sich in eine multidisziplinäre und -professionelle Versorgung einzubringen. Das sei im Rheinland bei der ambulanten Palliativversorgung vorbildhaft für NRW und das gesamte Bundesgebiet gelungen. Erheblichen Nachholbedarf sieht Bergmann hingegen bei der Versorgung von chronisch kranken und multimorbiden Patienten in Pflegeheimen. KV, Ärztenetze und Krankenkassen hätten in den vergangenen Jahren vieles angestoßen, durchschlagende Erfolge seien, abgesehen von einzelnen regionalen Leuchttürmen, nicht in Sicht. „Daher steht das jetzt bei uns ganz oben auf der To-Do-Liste.“

Klar sei aber auch, dass die knappen personellen Ressourcen zu Kooperationsformen zwingen würden, die weit über die bisher praktizierten Modelle hinausgehen. Ebenfalls erheblichen Nachholbedarf gebe es bei der Versorgung von Notfällen, bei der die Politik inzwischen sektorübergreifende Antworten erwarte. Daher will die KVNO in das Erarbeiten dieser Antworten auch die Städte und Kreise als Träger des Rettungs­dienstes einbeziehen sowie die Krankenhäuser, „allerdings ohne das Ziel, die bestehenden Strukturen zu verschmelzen, da der Rettungsdienst und der ärztliche Bereitschaftsdienst auch in Zukunft jeweils eigene gesetzliche Aufgaben wahrnehmen“.

Mehr Spielraum für die regionale Versorgung

Enttäuscht ist der KV-Vorstandsvorsitzende von der Haltung des GKV-Spitzenverbands im Konflikt um die Festlegung des Orientierungspunktwerts. Für die Vertragsärzte sei das Angebot einer Nullrunde der Kassenseite wie Hohn. „Und es ist ein fatales Signal für diejenigen, die auf kurze oder mittlere Sicht eine Niederlassung in Erwägung ziehen und die wir händeringend in der Versorgung brauchen“, sagte Bergmann. Deswegen fordert der Vorstand der KVNO Seite an Seite mit der KBV größere Freiräume für Vereinbarungen, die sich am regionalen Versorgungsbedarf und an regionalen Versorgungszielen orientieren.

„Die Honorarverhandlungen mit den Kassen, das ist schon ein Stachel im Fleisch“, bestätigte auch KBV-Chef Andreas Gassen. „Wir sollten die Politik anrufen, weil man mit den Kassen nicht reden kann“, schlug der Vorstandsvorsitzende der KBV vor. Er wisse aber auch, dass das Verhältnis zwischen Vertragsärzten und Krankenkassen in den Regionen ein ganz anderes ist. Deswegen seien regionale Verträge mit den Kassen denkbar, um die Versorgung aufzubauen, die in den Regionen gebraucht wird. „Daher sollten die Regionen noch mehr Spielraum bekommen, gerade jetzt – in Zeiten, in denen die Kassen der Kassen gut gefüllt sind“, so Gassen.

ts

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