Gematik räumt Unzufriedenheit mit Telematikinfrastruktur ein

Berlin – Die Gematik räumt ihre eigene Ernüchterung mit der Stabilität der Telematikinfrastruktur (TI) ein. Sie sei um Verbesserung bemüht, habe dazu aber nur begrenzte Möglichkeiten, erklärte der Geschäftsführer für die Bereiche Produktion, Sicherheit und Betrieb, Florian Hartge, gestern in Berlin.
„Wir sind ehrlicherweise auch extrem unzufrieden mit dem Zustand“, betonte Hartge beim Nationalen Digital Health Symposium der Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung (TMF). In den vergangenen Wochen hatten zahlreiche TI-Ausfälle erneut für großen Frust in Arztpraxen und Krankenhäusern gesorgt.
Die Gematik bemühe sich „im Rahmen unserer Möglichkeiten“, die Stabilität zu verbessern, beteuerte Hartge. Allerdings würden die meisten Störungen auf die Industriepartner zurückgehen, die die technische Infrastruktur als solche bereitstellten. „Wir überwachen das und machen es transparent – wir betreiben die TI nicht“, betonte er.
Zuvor hatte sich Moritz Eckert, Hausarzt aus Herzberg am Harz und einer der ersten Tester der elektronischen Patientenakte (ePA) und des elektronischen Rezepts (E-Rezepts), über die Auswirkungen der instabilen TI im Arbeitsalltag beklagt. Besonders im Patientenkontakt beim Zugriff auf die jeweilige ePA sei das eine sehr frustrierende Erfahrung.
„Stellen Sie sich vor, Sie stehen an der Ampel und das Auto säuft ab. Wenn Ihnen das jeden Tag mehrfach passiert, wie viel Spaß haben Sie dann am Autofahren?“, sagte er. Auch im Umgang mit ePA, E-Rezept und anderen TI-Anwendungen bräuchten die Praxen mehr Unterstützung als bisher. „Wir müssen uns und unsere Teams schulen und das muss finanziell abgebildet werden“, forderte er.
Philipp Stachwitz, Leiter des Stabsbereichs Digitalisierung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), regte dazu die Frage an, ob bestimmte Vergütungsregeln so geändert werden können, dass sie die Arbeit mit digitalen Anwendungen incentivieren.
Das gelte auch auf Patientenseite, erklärte Eckert. Dort sei die Informationslage zur ePA nämlich katastrophal. Viele wüssten nicht einmal, dass es so etwas wie eine ePA überhaupt gebe – und diejenigen, die sie nutzen wollten, hätten oft Probleme, auf sie zuzugreifen.
In seiner Praxis würden deshalb regelmäßig Medizinische Fachangestellte (MFA) die Patienten zur ePA beraten, was eigentlich Aufgabe der Krankenkasse sei, die die jeweilige App betreibe. „Wir brauchen da Konzepte, wie Patienten mitgenommen werden können. Das fehlt – und Sanktionen gegen die Krankenkassen, wenn die ihre Arbeit nicht machen.“
Auch hier räumte Hartge ein, der Gematik sei bewusst, dass die Anmeldung zur ePA noch zu kompliziert ist. „Wir haben die Hoffnung, dass die Menschen, die sich dafür interessieren, damit auseinandersetzen“, sagte er. Momentan arbeite die Gematik aber bereits an einer Vereinfachung des Zugangs. Zudem müsste sie gemeinsam mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) stärker Informationen und Schulungen bereitstellen.
Zwar erhalte die Gematik bisher „überwiegend produktives Feedback“ zur ePA, allerdings sei die Teilnahmequote vor allem in den Krankenhäusern längst noch nicht da, wo er sie sich wünsche.
Hartge zeigte Verständnis für den Frust vieler Ärztinnen und Ärzte. Dieser liege auch in falschen Erwartungen an Funktionsweise und -umfang begründet. „Bei dem Versuch, die richtige Erwartungshaltung zum Start der ePA zu schaffen, waren wir offensichtlich nicht sehr gut.“
Parallel arbeite die Gematik aber kontinuierlich an der Weiterentwicklung der ePA, konkret an der Einbindung von Labbordaten, der Entwicklung einer Suchfunktion und am elektronischen Medikationsprozess (eMP), der Weiterentwicklung der bereits vorhandenen elektronischen Medikationsliste (eML).
Telemedizin weiterentwickeln
Angesichts des demografischen Wandels müssten solche Weiterentwicklungen auch über die ePA hinaus deutlich schneller werden, betonte Gernot Marx, Direktor der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care der Uniklinik RWTH Aachen. Man müsse in einen „moderaten Krisenmodus“ kommen, um die Umsetzung zu beschleunigen.
Das gelte insbesondere für die Telemedizin, die künftig eine viel größere Rolle einnehmen müsse. „Die Krankenhausreform wird ohne Telemedizin nicht funktionieren“, sagte er. Die notwendigen Experten würden in der Breite vor Ort gar nicht verfügbar sein.
Auch für das notwendige Ziel einer besseren intersektoralen Versorgung – er nannte als Beispiel die Beratung von Niedergelassenen durch Spezialisten in Kliniken – müssten vor allem bei Finanzierung und Abrechnung Reformen durchgeführt werden. „Es gibt eine strikt sektorale Vergütung, und solange das so ist, werden wir nicht angemessen intersektoral vergüten können“, betonte er.
Auch im stationären Bereich gebe es immer noch Abrechnungsprobleme, die man lösen müsse, erklärte Jana Venhaus-Gießmann, Referatsleiterin Digitale Versorgung und Anwendung im Bundesministerium für Gesundheit (BMG). Mit der Notfallreform würden aber bereits erste wichtige Schritte für die Telemedizin gemacht.
Die Zeit, in der die Nutzungszahlen wieder sinken würden, sei vorbei. Sie stiegen wieder und es gebe einen deutlichen Bedarf. Auch das BMG sehe eine große Zukunft für die Telemedizin: „Es ist ein System, das wir kontinuierlich ausbauen und weiterentwickeln müssen.“
Der Bundesgeschäftsführer der BAG Selbsthilfe, Martin Danner, mahnte demgegenüber jedoch zu einem besonnenen Vorgehen. Es brauche neue Planungsmethoden, um sicherzustellen, dass einerseits Praxen kein Geschäftsmodell aus überregionaler Telemedizin machten und andererseits Patienten die Angebote nicht missbräuchlich nutzten.
Zudem müssten die Angebote auch gut auf die tatsächlichen Bedürfnisse angepasst werden, ergänzte Venhaus-Gießmann. So zeige die Erfahrung, dass telemedizinische Angebote statistisch eher von urbanen, gebildeten Bevölkerungsschichten in Anspruch genommen würden statt von Einwohnern unterversorgter ländlicher Regionen.
Auch müsse man aufpassen, dass Telemedizin und ambulante Versorgung sich nicht kannibalisierten. „Das ist ein System, in dem man vorsichtig steuern und gegensteuern muss“, sagte sie. So müsse bei der Entwicklung solcher Modelle auch stets eine etwaige Vor-Ort-Anschlussversorgung sichergestellt sein. Es brauche ein übergreifendes Konzept, das beides zusammen denke.
Marx mahnte, dass man sich nicht erneut in langen Debatten verlieren dürfe, sondern konkrete Zeiträume festlegen müsse, in denen solche Strategien erarbeitet werden.
Auch im Bereitschaftsdienst sei die Telemedizin ein wichtiger Baustein, erklärte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB), Christian Pfeiffer.
Mit ihrem eigenen Projekt DocOnLine habe die KVB gute Erfahrungen gemacht. Die Patienten seien überaus zufrieden und bei drei Viertel von ihnen habe es keiner Anschlussbehandlung bedürft.
Das Modell solle nun größer ausgerollt werden, wobei Pfeiffer einwendete, dass auch dies wieder zu einer höheren Komplexität des Gesundheitswesens beitrage. Auch das müsse bei solchen Konzepten mitgedacht werden.
„Wir dürfen die Gefahr nicht aus dem Auge verlieren, dass Patienten, wenn wir ihnen noch eine weitere Möglichkeit an die Hand geben, sich noch verlorener in einem immer komplexeren System fühlen“, sagte er.
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