Gesundheitskräfte in Baden-Württemberg senden Brandbrief an Landesregierung

Stuttgart – „Jetzt handeln – Klatschen reicht uns nicht!“. Unter diesem Motto haben fast 300 Arbeitnehmervertreter des Sozial- und Gesundheitswesens in Baden-Württemberg von der Landesregierung eine steuerfreie Prämie von 500 Euro im Monat gefordert.
Vor allem aber soll ihr Bereich auch nach der Coronapandemie nicht vergessen, sondern Arbeitsbedingungen und Einkommen verbessert und aufgewertet werden. Ein „Weiter so“ nach der Krise könne es unmöglich geben, was Personal, Ausstattung und Bezahlung betreffe.
„Die Pandemie legt die Mängel schonungslos offen“, sagte Verdi-Bezirksleiter Martin Gross vergangene Woche in Stuttgart. Die Gewerkschaft war einer der Hauptorganisatoren des sogenannten Weckrufs an die Landesregierung und die Öffentlichkeit. Man sehe die Probleme des Gesundheitswesens derzeit wie unter einem Brennglas, und die Folgen seien schlimm für alle.
„Wir arbeiten in der Altenpflege schon seit vielen Jahren am Limit und mit schlechter Bezahlung“, sagte Altenpflegerin Miriam Fischer aus Backnang. Wegen Corona könnten nun nicht einmal Angehörige zu Besuch kommen. Alles konzentriere sich auf die Pflegekräfte – auch die vielen Anrufe besorgter Angehöriger.
„Zudem ist bei uns die Frauenquote sehr hoch, doch wie organisieren diese Frauen dann die Kinderbetreuung daheim?“. Sie wünschten sich, dass die enorme Belastung durch eine finanzielle Belohnung widergespiegelt und das Personal aufgestockt werde, um solche Krisen in Zukunft besser zu meistern.
Auch in anderen Bereichen gebe es Probleme: Im Zentrum für Psychiatrie in Weinsberg verstehen es die Patienten den Angaben nach nur schwerlich, dass kein Besuch mehr kommen darf und sie nicht hinaus dürfen. Die Folge seien verstärkte Aggressionen, mit denen die Pfleger ohne ausreichende Schutzausstattung klarkommen müssten, sagte Krankenpflegerin Lilian Kilian. Zudem stünden wegen der Coronakrise immer mehr Drogenabhängige vor der Tür.
Beim Rettungsdienst ist die Situation ähnlich schwierig. „Wir wissen nicht mal, wie wir mit Kollegen umgehen sollen, die zu Risikogruppen gehören“, sagte Ludwig Bertram, Notfallsanitäter vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) Schwäbisch Gmünd. Einen Kollegen haben sie bereits an Corona verloren, sagte der Sanitäter. „Wir haben nur Glück, dass die große Welle ausgeblieben ist, sonst wäre alles zusammengebrochen.“
Unterzeichnet wurde der fast drei Seiten lange Brandbrief an die Landesregierung von 288 Arbeitnehmervertretern in Krankenhäusern, Pflege- und Sozialeinrichtungen des Landes. Auch ein Video haben sie gedreht mit Berichten über ihren momentanen Alltag. Den Brief haben sie am vergangenen Montag abgeschickt.
SPD-Fraktionschef Andreas Stoch sagte, Grün-Schwarz solle handeln, statt sich nur mit Applaus und schönen Worten bei den Pflegekräften für ihren wichtigen Dienst zu bedanken. Das Land solle den im Bund verabschiedeten Pflegebonus unbedingt aufstocken, forderte er. „Andere Bundesländer machen es uns ja vor.“ Die SPD-Fraktion poche außerdem weiter auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege. „Gerade jetzt sehen wir doch, wie wichtig und systemrelevant die Berufe sind.“
Die Grünen-Landtagsabgeordneten Ute Leidig und Alexander Salomon verwiesen darauf, dass das Land die fehlende Teilfinanzierung der Pflegeprämie übernehmen werde. Dazu sollen rund 30 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Wer hauptsächlich pflegerisch arbeitet, soll demnach 1.500 Euro bekommen, wer mindestens ein Viertel seiner Arbeitszeit direkt mit den Pflegebedürftigen verbringt, 1.000 Euro, alle anderen 500 Euro. Auszubildende sollen 900 Euro bekommen.
Die CDU-Fraktion möchte auch Pflegekräfte in den Krankenhäusern einbeziehen. „Auch diese arbeiten gegenwärtig unter erschwerten Bedingungen. Deshalb empfehlen wir der Landesregierung, den Pflegekräften in den Krankenhäusern ebenfalls einen Bonus von bis zu 500 Euro aus Landesmitteln zu gewähren“, teilte der stellvertretende Fraktionschef Stefan Teufel mit.
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