Gesundheitsministerin startet Kampagne gegen Sucht im Alter

Düsseldorf – Hinter der Fassade vermeintlich harmloser Schrulligkeiten kann sich auch eine Suchtgeschichte verbergen. Die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) will mit einer neuen Kampagne „Stark bleiben“ über Suchtgefahren für Senioren aufklären. „Suchtprobleme im Alter werden häufig verharmlost und Anzeichen für den Missbrauch von Alkohol oder Medikamenten als Altererscheinung abgetan“, sagte Steffens heute in Düsseldorf.
Mit ihrer neuen Kampagne will sie ein Bewusstsein schaffen. Dabei sollen auch Familienangehörige, Pflegekräfte, Ärzte und Apotheker eingebunden werden. Für Pflegedienste ist ein entsprechendes Fortbildungskonzept erarbeitet worden. Außerdem sieht die Ministerin hier eine Aufgabe für die soziale Arbeit in den Stadtteilen.
Ein zentraler Auslöser für das Abdriften in die Sucht sei der Wegfall der Arbeit, erklärte Steffens. „Wenn sinnstiftende Aufgaben fehlen – etwas, wofür es sich lohnt, aufzustehen – bricht schnell die Tagesstruktur weg.“ Hinzu kämen nachlassende Vitalität, körperliche Gebrechen, Vereinsamung. Das alte „Malocher-Image“, das das verdiente Feierabendbier zur Normalität stilisiert habe, trage zur Verharmlosung der Problematik bei, bemerkt die Ministerin.
Steffens wies darauf hin, dass es nicht um Klischee gehe, sondern sozialwissenschaftliche Milieu-Studien die Probleme belegten. „Da ist die bessergestellte Frau, die mit dem Piccolöchen anfängt und die Frau mit schwächerem sozialen Status muss sehen, wie sie die Familie über Wasser hält. Da ist das Geld für den Piccolo nicht drin.“ Allerdings bekämen Frauen mit niedrigerem Status sehr viel schneller Schlaf-, Beruhigungs- und Betäubungsmittel verschrieben.
Oft seien es einfache Zeichen, die nicht richtig gedeutet würden, erklärte Hans-Jürgen Hollmann, Leiter der Koordinierungsstelle Suchtvorbeugung NRW. „Mangelnde Konzentration, Schwindel, Appetitverlust, Gesichtsröte, Interessenlosigkeit, Vernachlässigung des Haushalts und des eigenen Äußeren können auf erhöhten Alkoholkonsum hinweisen.“ Er betonte, wichtig seien Trinkpausen. „Wenigstens zwei Tage in der Woche sollten alkoholfrei sein.“ Viele Senioren wüssten zudem nicht, dass der Alkohol in einem älteren Körper stärker wirke und die Verträglichkeit abnehme. Zudem gebe es bei fast allen Medikamenten Wechselwirkungen mit Alkohol. „Und viele Senioren nehmen mehrere Präparate täglich ein.“
Unter den erwachsenen Männern sind die 60- bis 69-Jährigen am stärksten von riskantem Alkoholkonsum betroffen. Fast jeder vierte dieser Altersgruppe trinkt täglich mindestens 20 Gramm reinen Alkohol und trägt damit ein erhöhtes Risiko für zahlreiche Krankheiten. Das entspricht zwei Gläsern mit jeweils 0,3 Litern Bier oder einem Glas mit 0,1 Liter Wein. Bei den Frauen ist Medikamentenabhängigkeit das größere Problem und für die Außenwelt noch schwerer zu erkennen. In der Damenwelt trinkt jede sechste 50- bis 59-Jährige riskante Mengen Alkohol. Dabei greifen Frauen mit höherem sozialen Status schneller zum Glas.
Landen Senioren nach einem schweren Sturz im Krankenhaus oder machen einen verwirrten Eindruck, wird das schnell dem Alter zugeschrieben und nicht immer als Folge einer Sucht erkannt. Die eindeutigen Fälle lassen aufhorchen: Die Zahl der 60- bis 65-jährigen Patienten, die aufgrund einer Alkoholvergiftung stationär behandelt werden mussten, ist in den vergangenen fünf Jahren in NRW um über 40 Prozent auf fast 1.400 gestiegen.
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