Politik

Gesundheitsökonom: Sektoren­übergreifende Versorgung wird Kern der nächsten Legislatur­periode

  • Dienstag, 21. November 2017
v.l.: Bernadette Rümmelin (kkvd), Wolfgang Greiner (Universität Bielefeld) /Jens Jeske
v.l.: Bernadette Rümmelin (kkvd), Wolfgang Greiner (Universität Bielefeld) /Jens Jeske

Berlin – Der Kernbereich der Gesundheitspolitik in der kommenden Legislaturperiode ist die sektorenübergreifende Versorgung. Diese Meinung vertrat Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld heute auf dem Fachtag des Katholischen Krankenhaus­verbands Deutschland (kkvd) in Berlin. In diesem Bereich müsse dringend etwas geschehen. Denn die Probleme, die heute durch die Sektorentrennung entstünden, seien groß. Sie reichten von Zeitverlusten für die Patienten über suboptimale Behand­lungsergebnisse bis hin zu einem höheren Abstimmungsbedarf an den Sektoren­grenzen.

Das Ziel einer sektorenübergreifenden Versorgung müsse es sein, die Schnittstellen zwischen den Sektoren und Professionen zu überwinden und eine kontinuierliche medizinische Behandlung der Patienten, orientiert an einem Versorgungsziel, zu gewährleisten, so Greiner. Zudem müsse ein einheitlicher Ordnungsrahmen für Leistungserbringer unterschiedlicher Sektoren bei der Erbringung identischer Leistungen geschaffen und die sektorenübergreifende Kommunikation und Dokumen­tation verbessert werden. Bei diesem Thema lägen allerdings so viele Steine im Weg, dass eine Reform in vier Jahren nur dann gelingen könne, wenn Bundestag und Bundesrat gut zusammenarbeiteten.

Greiner: Bund an Investitionskosten beteiligen

Um die unzureichende Investitionskostenfinanzierung durch die Bundesländer zu verbessern, schlug Greiner eine stärkere Beteiligung des Bundes vor. „Heute leben die Krankenhäuser vielfach von der Substanz“, sagte er. Dabei gebe es starke Unterschiede zwischen den Bundesländern. „Das führt zu unterschiedlichen Wettbewerbsbedingun­gen. Da muss etwas geschehen“, erklärte Greiner, der auch Mitglied des Sachverständi­gen­rats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen ist. Er schlug vor, den Bund analog zum Strukturfonds künftig an den Investitionskosten zu beteiligen. Beim Strukturfonds gibt der Bund eine bestimmte Summe, wenn die Länder dieselbe Summe gezahlt haben. Die Planungshoheit solle grundsätzlich aber bei den Ländern bleiben, so Greiner. Nur zum Beispiel bei Zentren solle der Bund auch ein Mitspracherecht erhalten.

Krankenhäuser haben noch dieselben Probleme wie vor vier Jahren

Michael Mörsch, Leiter der Abteilung Politik bei der Deutschen Krankenhausgesell­schaft (DKG), erklärte, dass die Aufgaben, die die Politik in der kommenden Legislatur­periode angehen müsse, dieselbe seien wie in den vergangenen vier Jahren. „Die Regierung hat in der letzten Legislaturperiode viel für die Krankenhäuser getan und viele unserer Forderungen umgesetzt“, sagte Mörsch. „Trotzdem stehen wir heute nicht besonders viel besser da als noch vor vier Jahren.“ Der Grund: „Viele gesetzliche Aufträge waren nicht so klar formuliert, wie wir uns das gewünscht hätten“, erklärte Mörsch. Zudem stecke vieles noch im Gemeinsamen Bundesausschuss beziehungs­weise in Schiedsverfahren.

Personaluntergrenzen: Datengrundlage ist schlecht

Ein gesetzlicher Auftrag aus diesem Jahr sieht die Festlegung von Pflegepersonal­untergrenzen in Abteilungen vor, in denen es einen Zusammenhang zwischen der Zahl der dort tätigen Pflegekräfte und dem Vorkommen unerwünschter Ereignisse gibt. Die DKG und der GKV-Spitzenverband sollen entsprechende Vorgaben vereinbaren, an die sich die Krankenhäuser ab dem 1. Januar 2019 halten müssen. Der Leiter der Abteilung Krankenhäuser beim GKV-Spitzenverband, Wulf-Dietrich Leber, gab einen Zwischen­stand von den Verhandlungen.

Zunächst müsse man definieren, welche Abteilungen im Krankenhaus der Gesetzgeber gemeint habe. Zwar gebe es dazu schon ein Gutachten, doch die Daten, auf denen das Gutachten fuße, seien nicht gut genug, meinte Leber. „Wir haben kaum empirische Daten, um vernünftige Vorgaben zu machen. Wir wissen nicht, wie die Stationen besetzt sind und wo die Fehler gemacht werden. Deshalb sollten wir versuchen, die Datenlage zu verbessern.“

Er kündigte an, dass es Verhältniszahlen von Pflegekräften zu Patienten geben werde, die allerdings nicht starr sein dürften. Denn wenn auf einer Abteilung demente oder frisch operierte Patienten lägen, müssten auf dieser Abteilung mehr Pflegekräfte arbeiten. „Wir brauchen von Anfang an eine Risikoadjustierung“, betonte Leber. Zudem müsse man sich überlegen, ob die Zahlen je Schicht, je Tag oder je Nacht festgelegt werden sollten.

Dienstpläne und Belegungsstatistiken zusammenführen

Um die Zahlen zu erhalten, forderte Leber, die Dienstpläne und die Belegungsstatisti­ken der Krankenhäuser zusammenzuführen. Heute geschehe so etwas kaum. „Da sind wir in einem Jahr hoffentlich weiter“, meinte er. Denn wenn man diese Daten nicht habe, könne man nicht auf empirischer Basis Grenzwerte festlegen.

Leber forderte darüber hinaus, dass Untergrenzen nicht durchschnittlich über ein Jahr hinweg gelten dürften, sondern zum Beispiel pro Nacht. Der Gesetzgeber hat den Verhandlungspartnern aufgegeben, Ausnahmetatbestände mit aufzunehmen. Leber gab ein Beispiel für eine mögliche Ausnahmeregelung: „In 30 Nächten pro Jahr dürfen Krankenhäuser den Wert unterschreiten.“

DKG: Thema Fachkräftemangel wird noch unterschätzt 

Michael Mörsch von der DKG wies auf ein grundsätzliches Problem bei der Festlegung von Personaluntergrenzen hin. „Es ist absurd, jetzt Vorgaben für das Pflegepersonal zu machen, wenn wir das Personal gar nicht bekommen können, das wir dafür brauchen“, meinte er. Das ganze Thema des Fachkräftemangels werde noch komplett unterschätzt. „Es ist ja kein Thema, dass nur das Gesundheitswesen betrifft“, meinte Mörsch. Und: „Die Spitze des Fachkräftemangels wird uns erst in einigen Jahren erreichen.“

fos

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