Pflegeexperten mahnen Jamaikaunterhändler, Farbe zu bekennen

Berlin – Nach einem eher inhaltsarmen Bundestagswahlkampf ist die Pflege auf der Zielgeraden zu einem Aufregerthema avanciert. Es war ein junger angehender Krankenpfleger, der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Leviten las: Die Würde der Alten und Kranken in Deutschland werde jeden Tag tausendfach verletzt; Menschen lägen stundenlang in ihren Ausscheidungen, weil es in Kliniken und Pflegeheimen am nötigen Personal fehle.
In den TV-Debatten kurz vor der Bundestagswahl mussten sich sowohl die Kanzlerin als auch ihr Herausforderer Martin Schulz (SPD) klar positionieren. Pflegeberufe müssten besser bezahlt und aufgewertet werden, forderten beide. Und Schulz versprach, die bessere Pflege alter Menschen zur zentralen Staatsaufgabe der nächsten Legislaturperiode zu machen.
Konkretes Handeln gefordert
Jetzt wollen die Pflegeverbände, dass die Unterhändler einer möglichen Jamaikakoalition bei den Sondierungen Farbe bekennen. „Ziel des künftigen Koalitionsvertrags muss es sein, dass ohne langwierigen Klärungs- oder Interpretationsbedarf direkt ins konkrete Handeln übergegangen werden kann“, forderte heute der Präsident des Deutschen Pflegerates, Franz Wagner.
Einig sind sich alle Experten, dass in der Pflege, insbesondere bei der deutlich schlechter bezahlten Altenpflege, ein gravierender Fachkräftemangel droht. Zugleich steigt die Zahl der Pflegebedürftigen weiter an: 2015 waren knapp 2,9 Millionen Menschen pflegebedürftig; bis 2060 wird mit 4,7 Millionen gerechnet. Auch die Krankenhäuser verzeichnen schon jetzt mehr alte Patienten, die an mehreren Krankheiten gleichzeitig leiden.
Vergütung muss steigen
Für Wagner steht deshalb fest: „Die professionell Pflegenden brauchen mehr als deutliche Zeichen dafür, dass es eine Zukunft für sie gibt.“ Die Pflege sei ein wunderbarer Beruf, aber „die professionell Pflegenden können nicht mehr, da für sie die Arbeitsbelastung stetig gestiegen ist. Deshalb haben bereits viele von ihnen den Pflegeberuf aufgegeben.“
Getsern hatte das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung (DIP) in Köln einen dreistufigen Masterplan Pflege vorgestellt. Nach den Vorstellungen der Wissenschaftler müssen die Vergütungen für Pflegepersonal – insbesondere in der Altenpflege – um bis zu 30 Prozent angehoben und in den kommenden vier Jahren bis zu 100.000 zusätzliche Pflegestellen in Krankenhäusern, Altenheimen und ambulanten Diensten geschaffen werden.
Ferner sollen zusätzliche finanzielle Mittel in Höhe von rund 500 Millionen Euro für die Erforschung neuer Versorgungskonzepte, innovativer Technologien und für rund 20.000 Studienplätze von Pflegefachkräften eingeplant werden, schlägt DIP-Leiter Frank Weidner vor. Die Kosten für einen solchen Masterplan schätzen die Pflegeforscher auf rund zwölf Milliarden Euro jährlich ab dem Jahr 2020. Die Finanzierung soll zu gleichen Teilen von den gesetzlichen und privaten Kranken- und Pflegeversicherungen sowie durch zusätzliche Steuermittel von Bund und Ländern aufgebracht werden.
Weidner fordert zudem, im kommenden Jahr einen „Runden Tisch Masterplan Pflege“ einzurichten, um die Maßnahmen zu steuern und entsprechende Gesetzesänderungen vorzubereiten. Dort sollten Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen, den Sozialversicherungen, der Arbeitgeber und Gewerkschaften, aus Bildung und Wissenschaft sowie von Berufs-, Patienten- und Verbraucherorganisationen teilnehmen.
Den Einwand, es gebe zurzeit gar kein Personal, um zusätzliche Stellen in der Pflege zu besetzen, lassen die Pflegeforscher nicht gelten. „Dieses Argument wird in der Debatte immer wieder gerne instrumentalisiert“, sagt der Leiter der Abteilung Pflegearbeit und -beruf im DIP, Michael Isfort. Ein attraktiveres Berufsfeld werde auch mehr Bewerber anziehen. Schon kurzfristig könnten beispielsweise die Teilzeitquote verringert und Pflegekräfte zurückgewonnen werden, die dem Beruf wegen Überlastung den Rücken gekehrt hätten.
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