Grippeimpfstoff: Hausärzte klagen in Teilen der Republik über Engpässe

Berlin – In Teilen Deutschlands klagen Hausärzte über den Mangel an Grippeimpfstoff. Betroffen sind nach Angaben der jeweiligen Hausärzteverbände unter anderem Bayern, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Die Apotheker weisen die Vorwürfe zurück – und auch in anderen Teilen der Bundesrepublik läuft es besser.
Die ersten Klagen kamen in den vergangenen Tagen aus Nordrhein-Westfalen (NRW). Diese riefen dort auch schon die Landespolitik auf den Plan. Die SPD-Fraktion will über eine Kleine Anfrage im Landtag erfahren, welche Erkenntnisse die Landesregierung zu dem Thema hat.
Die SPD-Abgeordnete Susana dos Santos Herrmann bezieht sich in ihrer Anfrage auf Fälle in Köln. Die Politikerin teilte mit, dass sie selbst von mehreren Abweisungen in Arztpraxen gehört habe: „Menschen, die sich gegen Grippe impfen lassen wollten, mussten unverrichteter Dinge umkehren.“
Dos Santos Herrmann will nun wissen, ob die Landesregierung Erkenntnisse hat, „wonach Hausarzt- und Kinderarztpraxen in NRW mit zu wenig Impfstoff für den Grippeschutz ausgestattet sind“ – und was der Grund dafür sein könnte. Die Kleine Anfrage liegt der dpa vor.
Oliver Funken, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Nordrhein, hatte zuletzt Apotheken als Schuldige ausgemacht: Sie sorgten „durch eigene Impfangebote für eine künstliche Verknappung des Impfstoffes und behindern die Impfungen in den Arztpraxen“, kritisierte Funken. „Impfen ist eine originäre ärztliche Aufgabe. Leider kommen aktuell die bestellten Mengen nicht überall vollständig an.“
Viele Apotheken würden ihren Kunden in diesem Jahr „aktiv“ die Grippeimpfung anbieten, klagte Funken. Dabei würden sie oft auf Impfstoff zugreifen, der für die Arztpraxen vorgesehen sei. „Die Apotheken sollen die Versorgung mit Impfstoffen und Medikamenten 24 Stunden an sieben Tagen flächendeckend sicherstellen. Das ist ihre Kernaufgabe. Und das gilt auch für die Auslieferung der Grippeimpfstoffe an die Arztpraxen.“ Für das Impfen fehle den meisten Apothekerinnen und Apothekern die entsprechende ärztliche Aus- und Weiterbildung, monierte der Mediziner.
Für seine Region schloss der Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) eine durch die Apotheken herbeigeführte Verknappung der Impfstoffe für Ärzte aus. Entsprechende Berichte wies AVWL-Sprecherin Nina Grunski auf Anfrage zurück. „Jeder Arzt bekommt den Impfstoff, den er bestellt hat. Unsere Apotheken müssen sich ihren Impfstoff zusätzlich besorgen“, sagte Grunski. Der benötigte Impfstoff gehe nicht zulasten des Kontingents für die Hausärzte, die die Grippevakzine bereits vor einem halben Jahr ordern mussten.
Seit kurzem können Grippeschutzimpfungen für Versicherte der AOK Nordwest auch in Apotheken angeboten werden. Dafür hatte man ein entsprechendes Modellprojekt auf den Weg gebracht, an dem sich laut Grunski bislang etwas mehr als 40 Apotheken beteiligen. Die Apotheker würden geschult, bevor sie überhaupt impfen dürfen. Ziel des Modellprojekt sei es, die Quote bei den Grippeimpfungen insgesamt zu erhöhen.
Laut Funken hätten sich die Ärzte auf den zu erwartenden Ansturm auf die Grippeschutzimpfungen in den dafür günstigsten Monaten Oktober bis Dezember gut eingestellt. Schon im Frühjahr seien von den Praxen Impfstoffe in ausreichender Menge bestellt worden.
Anhand der Patientenzahlen und der Erfahrungswerte der Vorjahre könnten die Arztpraxen die benötigten Mengen „sehr genau kalkulieren“, schrieb der Verband. Funken: „Wir haben alle deutlich mehr Grippeimpfstoff bestellt, da wir aufgrund von Corona schon im April mit einer Nachfragesteigerung bei den Grippeschutzimpfungen gerechnet haben. Die Anfragen der Patienten bestätigen unsere Einschätzung.“
Der Hausärzteverband in Rheinland-Pfalz beklagt ebenfalls eine aktuell schwierige Versorgung mit Grippeimpfstoff im Land. „Ein Fakt, der für großen Unmut in den Arztpraxen sorgt“, wie die Erste Landesvorsitzende Barbara Römer auf Anfrage mitteilte.
Weil das Vakzin aktuell knapp sei, müssten zahlreiche Hausärzte ihre Patienten vertrösten, so der Hausärzteverband. Dabei hätten sich die Praxen darauf eingestellt, zügig von Oktober an Grippeimpfungen für besonders gefährdete Patienten anzubieten. Nun könnten sie die hohe Nachfrage zur Grippeimpfung nicht adäquat bedienen. Dies führe zu Frustration bei den Patienten. Zuvor hatte der SWR darüber berichtet.
Römer sprach in diesem Zusammenhang von einem „zum Xten Mal entstandenen Verteilungsproblem“. Grippeimpfstoff müsse in den Praxen aber dann in ausreichender Menge zur Verfügung stehen, wenn er am stärksten nachgefragt ist. Daher müsse der Verteilungsmodus geändert werden. Wer eine hohe Impfquote möchte, müsse dafür sorgen, dass den Praxen ein entsprechendes Angebot unterbreitet werden kann.
„Im Prinzip hat die Impfsaison erst vor wenigen Tagen begonnen. Die Auslieferung der bestellten Impfstoffe ist daher aktuell noch in Gange“, sagte dagegen die Sprecherin des Apothekerverbands, Petra Engel-Djabarian. Ihren Angaben zufolge werden die entsprechenden Bestellungen der Hausärzte üblicherweise im April oder im Mai aufgegeben. Dementsprechend würden die Vakzine dann im Spätjahr ausgeliefert.
Insofern sei es sinnvoll, wenn Praxen möglichst frühzeitig die nötigen Impfdosen vorbestellen. Dann könne auch frühzeitig Impfstoff geliefert werden, fügte die Sprecherin hinzu. In diesem Jahr sei in Deutschland erstmals der Hochdosisimpfstoff für Menschen erhältlich, die mindestens 60 Jahre alt sind.
Bei einer Vorbestellung seien 60 Prozent der georderten Menge im September bei den Hausärzten eingetroffen, die restlichen 40 Prozent sollen noch im Oktober ausgeliefert werden, wie Engel-Djabarian sagte. Das gelte bei einer Vorbestellung indes auch für den üblicherweise verwendeten Vierfach-Impfstoff.
Mitte September hatte der Hausärzteverband sich noch einmal dafür stark gemacht, dass sich vor allem besonders gefährdete Menschen gegen Grippe impfen lassen. Nach den Diskussionen rund um die Coronaimpfungen seien viele Patienten „gesättigt“, was das Thema Impfstoffe angeht. Manche Menschen, die üblicherweise ohne großen Gesprächsaufwand ihrer jährlichen Grippeimpfung zugestimmt hätten, müssten in diesem Jahr erneut von deren Notwendigkeit überzeugt werden, hatte Barbara Römer vom Hausärzteverband damals gesagt.
Auch in vielen bayerischen Arztpraxen fehlt es an einem Impfstoff, der über 60-Jährige besser vor der Grippe schützen soll. „Der ist weitgehend nicht mehr vorhanden“, sagte ein Sprecher des Bayerischen Hausärzteverbands (BHÄV) in München. Da das Vakzin mit der vierfachen Menge an Antikörpern in dieser Grippesaison eigentlich erstmals für über 60-Jährige verfügbar sein sollte, sei der Engpass „ärgerlich“. Bis zum Jahr 2021 war der hoch dosierte Impfstoff nur für über 65-Jährige zugelassen gewesen.
Herstellerangaben zufolge solle Deutschland mit zehn Millionen Impfdosen beliefert werden, was in etwa der Zielgruppe der Menschen über 60 Jahre entspreche, heißt es vom BHÄV. Zuletzt seien aber nur Vorbestellungen des neuen Impfstoffs ausgeliefert worden. Erst von dieser Woche an sollen die Vakzine demnach wieder über den Großhandel verfügbar sein. „Die Situation sollte sich demnächst also wieder entspannen“, sagte der BHÄV-Sprecher.
Bei herkömmlichen Grippeimpfstoffen seien aus den Hausarztpraxen im Freistaat bislang keine Engpässe bekannt, sagte der BHÄV-Sprecher. Mit 25 Millionen Impfdosen habe das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) bisher gut 30 Prozent mehr Grippevakzine als im Vorjahr zugelassen, daher werde die Versorgungslage wohl gut bleiben.
Der Vorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbands, Markus Beier, betonte, man werde „alles daran setzen“, die Zahl von 1,7 Millionen Grippeimpfungen durch niedergelassene Ärzte in Bayern während der vergangenen Saison zu übertreffen. Die Nachfrage nach den Impfungen sei bislang „ganz gut“, hieß es vonseiten des Verbands.
Hausärzte im Norden: Bislang kein Engpass bei Grippeimpfstoff
Hausärzte in Hamburg und Schleswig-Holstein haben bislang hingegen noch keinen spürbaren Engpass bei den Grippeimpfungen verzeichnet. „In Hamburg impfen wir derzeit ganz kräftig drauf los. Es gibt im Moment nicht den gleichen Engpass bei den Impfstoffen wie im vergangenen Jahr. Es sieht deutlich besser aus“, sagte Allgemeinmediziner Björn Parey vom Hamburger Hausärzteverband.
Zwar gebe es Unterschiede in den einzelnen Stadtteilen, bislang seien dem Verband größere Probleme bei den Grippeimpfungen noch nicht gemeldet worden, so der dritte Landesverbandsvorsitzende.
Der Grippeimpfstoff wird üblicherweise zu Jahresbeginn bestellt. 2020 war das noch vor Ausbruch der Coronapandemie. Aufgrund der Pandemie war die Nachfrage nach den Grippeimpfungen im Herbst und Winter jedoch höher, weshalb es zu den Engpässen kam, wie Parey weiter sagte. Für dieses Jahr seien augenscheinlich alle Seiten besser auf die höhere Nachfrage vorbereitet und es sei mehr bestellt und schneller produziert worden. Konkrete Zahlen nannte Parey für die Hansestadt nicht.
Die Impfbereitschaft sei derzeit hoch. „Wir merken, dass mehr Menschen kommen. Wir hatten beispielsweise in der Praxis eine spezielle Grippeimpfsprechstunde eingerichtet und da standen die Leute in einer langen Schlange bis auf die Straße. Es ist schon eine deutliche Nachfrage da und das ist auch gut so.“ In Hamburg arbeiten dem Verband zufolge rund 1.000 Mediziner als Hausärzte.
Auch in Schleswig-Holstein kommt es trotz weiterhin hoher Nachfrage nach Grippeimpfungen nicht zu Lieferengpässen. In den Arztpraxen ist aktuell ausreichend Grippeimpfstoff vorhanden, wie der stellvertretende Landesvorsitzende des Hausärzteverbands, Jens Lassen, sagte. „Aktuell ist ausreichend Impfstoff in den Praxen vorrätig. Die Hausärztinnen und Hausärzte bestellen Anfang des Jahres – also mit vielen Monaten Vorlauf – die voraussichtlich benötigten Dosen für den Herbst und Winter. Nach unserer Wahrnehmung werden diese auch zuverlässig beliefert.“
Arztpraxen können sich laut dem Hausärzteverband Berlin und Brandenburg (BDA) in diesem Herbst bislang ausreichend mit Impfstoffen gegen Grippe eindecken. Bisher gebe es für einen Mangel keine Anzeichen, sagte der Vorstandsvorsitzende Wolfgang Kreischer. Er sei zuversichtlich, dass die Mengen ausreichten, insbesondere für die Risikogruppen.
Die Nachfrage nach Impfungen gegen Grippe ist in Niedersachsen vor dem Beginn der kalten Jahreszeit hoch. In einigen Arztpraxen würden die noch vorhandenen Mengen bereits knapp – insgesamt dürfte es aber genügend Impfstoff für alle Interessierten geben, erklärten der Hausärzteverband und die Kassenärztliche Vereinigung (KVN) laut einem Bericht des NDR.
Der niedersächsische Apothekerverband sagte, dass ausreichend Grippeschutzimpfdosen vorhanden seien. Die Verteilung der Impfdosen laufe seit Ende August und dauere bis Anfang November, sagte Mathias Grau, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Verbands. Vereinzelt werde auch in Apotheken geimpft.
Nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) sind bis 17. Oktober rund 28,9 Millionen Impfstoffdosen freigegeben worden. Erreicht werden soll mindestens eine Größenordnung wie in der Vorsaison, als 22 Millionen Impfungen verzeichnet wurden. Das war bereits deutlich mehr als in den Jahren zuvor üblich.
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die Impfung gegen Influenza unter anderem für Menschen über 60 Jahre, chronisch Kranke, Schwangere und für bestimmte Berufsgruppen. In der vergangenen Saison 2020/21 war die Grippewelle infolge der Coronabeschränkungen quasi ausgefallen – nicht nur in Deutschland.
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