Gutachten: GOÄ rechtlich nicht mehr haltbar und an den „Grenzen des Statthaften“

Berlin – Die Verabschiedung der neuen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) ist nicht nur politisch, sondern vor allem aus rechtlicher Perspektive dringend geboten. Denn die weitere Anwendung der aktuellen GOÄ stoßen auf verfassungsrechtliche Bedenken.
Zu diesem Urteil gelangt ein Gutachten des Juristen Walter Georg Leisner, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht und Steuerrecht an der Freien Universität Berlin, im Auftrag des Verbands der Privatärztlichen Verrechnungsstellen (PVS).
Kern der Problematik ist demzufolge die fortschreitende Ausweitung der Analogabrechnung aufgrund der nicht mehr zeitgemäßen Ausgestaltung der 1982 erlassenen und 1996 zum letzten Mal angepassten GOÄ.
So würden die alten Gebührenordnungsziffern weder Leistungsinhalt und Umfang, technischen Fortschritt, Digitalisierung noch den damit verbundenen Aufwand oder Preisentwicklung adäquat abbilden. „Moderne Leistungen finden somit keine hinreichende Berücksichtigung und werden zunehmend mit Analogziffern abgebildet“, schreibt Leisner.
Die aktuell gültige GOÄ enthalte zum Teil kaum mehr nachvollziehbare, teilweise auch schon wieder veraltete Analogiebewertungen. Das Unterlassen von periodischen Anpassungen an die medizinischen Entwicklungen führe deshalb für Patienten, Krankenversicherungen, Beihilfe und Ärzteschaft zu Verunsicherungen, Prüfaufwand und Rechtsstreitigkeiten.
Die kontinuierliche Ausweitung der Analogabrechnung führe deshalb zunehmend zu Rechtsstreitigkeiten und stoße mittlerweile „an die Grenzen des Statthaften“. Damit stelle sich die Frage, ob die Anwendung der bisherigen GOÄ überhaupt noch rechtlich möglich sei.
Schließlich würden Patientinnen und Patienten von Verfassung wegen den Schutz vor drohender unsozialer Behandlung genießen, welche sie auch durch ungerechtfertigte Preisregelungen und aufgrund fehlender Transparenz erfahren könnten.
„Es liegt auf der Hand, dass der Leistungsempfänger in Gestalt des Patienten, erst recht, wenn er ein medizinischer Laie ist, bei dem Versuch, aufgrund von Analogiebildungen bei Vergütungsfestsetzungen empfangener Leistungen, diese Fakturierungsbestandteile zu überprüfen, schlicht überfordert ist“, betont Leisner.
Bereits unter Experten herrsche Uneinigkeit über die Auslegung des Begriffs „Gleichwertigkeit“ ärztlicher Leistungen im Rahmen der Analogiebildung. Für Patienten sei es daher „schlicht unmöglich und unzumutbar, die Statthaftigkeit und Richtigkeit von Leistungs- und Preisansätzen zu beurteilen“.
Um eine solche Grundrechtsverletzung zu verhindern, sei deshalb ein periodisches System der Anpassung adäquater Gebührensätze erforderlich, das zum Schutze des Patienten, aber auch des Leistungserbringers, realitätsgerechte Abrechnung ermöglicht.
Ohne eine solche periodische Aktualisierung müsse die Verordnung selbst verfassungsrechtlich hinterfragt werden und bei Überschreitung vertretbarer Grenzen realitätsgerechter Preisermittlung selbst ihre Wirksamkeit verlieren.
Hinzu komme, dass die aktuelle GOÄ gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Normenklarheit verstoße. Dieses besagt, dass gesetzliche Regelungen in ihren Voraussetzungen und in ihrem Inhalt so formuliert sein müssen, dass die von der Norm Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten daran ausrichten können.
Das sei jedoch nicht sehr eindeutig gegeben, schließlich würden auf dem Behelfsweg der Analogiebildung nur Abrechnungen von „gleichwertigen“ Leistungen ermöglicht, da viele heute erbrachte Leistungen zum Erlasszeitpunkt der GOÄ noch gar nicht existierten.
Überdies eröffne dies im Gegensatz zu den geregelten Leistungsziffern einen Interpretationsspielraum, ob die Leistung überhaupt analogiefähig ist.
Die GOÄ genüge deshalb nicht mehr den diesbezüglichen rechtsstaatlichen Anforderungen an eine hinreichend klare Regelungslage, die es den Patienten ermöglicht, als Durchschnittsbürger ärztliche Fakturierung hinreichend nachvollziehen zu können. Dadurch bestehe auch aufseiten des Arztes eine „erhebliche grundrechtsrelevante Gefährdungslage“.
Aufgrund der ständig wachsenden Entwicklungen der Standards in der Heilbehandlung und deren Kostenentwicklung stoße mittlerweile aber auch der Versuch der Geltungserhaltung der aktuellen GOÄ durch grundsätzlich zulässige Analogiebildung an die Grenzen der Statthaftigkeit. Der Erlass einer neuen GOÄ, die den aktuellen Stand der Medizin abbildet, sei damit für den Verordnungsgeber alternativlos.
Dabei müsse er im Blick haben, dass sich diese Gebührenordnung fortan einer laufenden, periodischen Überarbeitung und Aktualisierung zu unterziehen hat. Leisner empfiehlt deshalb die Einrichtung einer Kommission, die paritätisch aus der Bundesärztekammer (BÄK) und den Kostenträgern besetzt ist und regelmäßig abgestimmte Vorschläge zur Anpassung und Weiterentwicklung dem Verordnungsgeber unterbreitet.
„Eine derartige Lösung verbürgt sich für praxisnahen Sachverstand und verleiht den in die Verordnung einfließenden Ergebnissen somit die hinreichende demokratische Legitimation, verhindert eine bloße Verwaltung der normativen Lage, minimiert Analogiebildungen und gewährleistet laufend eine hinreichend bestimmte Grundlage für ein transparentes Arzt-Patienten-Verhältnis“, unterstreicht er.
Der Vorstand des PVS-Verbandes schließt sich dieser Auffassung an und mahnt, „bereits aus rechtlichen Gründen sämtlichen Überlegungen eine Absage zu erteilen, die aktuellen Novellierungsbemühungen weiter zu verschieben oder gar abzubrechen, um so der aktuellen GOÄ eine Fortgeltung zu verschaffen“. Verabschiede die Ärzteschaft den neuen Entwurf nicht, „so wird die Politik handeln“.
Die Debatte über die vom Vorstand der BÄK anvisierte Verabschiedung des zwischen Ärzteschaft und dem Verband der Privaten Krankenversicherung ausgehandelten Entwurfs für eine neue GOÄ soll in dieser Woche auf dem 129. Deutschen Ärztetag in Leipzig stattfinden. Bereits im Vorfeld hatte der Entwurf für Diskussionen gesorgt, Kritik kommt untere anderen aus der Radiologie, Labormedizin, Chirurgie und Virologie.
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