Gynäkologie: Bimanuelle Untersuchung laut US-Leitlinie verzichtbar
Minneapolis – Die bimanuelle Untersuchung, die seit Jahrzehnten zur Routine bei der jährlichen gynäkologischen Vorsorgeuntersuchung gehört, ist laut einem „Evidence Report“ in den Annals of Internal Medicine (2014; 161: 46-53) nicht in der Lage, ein Ovarialkarzinom rechtzeitig zu erkennen. Eine parallel publizierte Leitlinie des American College of Physicians (2014; 161: 67-72) rät den Gynäkologen deshalb, auf die jährlichen Untersuchungstermine zu verzichten, was das American College of Obstetricians and Gynecologists sogleich abgelehnt hat.
Zu der jährlichen Untersuchung beim Frauenarzt gehört neben der Inspektion des äußeren Genitals und der Untersuchung von Vagina und Zervix mit dem Spekulum auch die bimanuelle Untersuchung, bei der der Gynäkologe Größe, Lage und Druckempfindlichkeit der inneren Geschlechtsorgane ertastet. Ein wesentlicher Grund für die bimanuelle Untersuchung war lange Zeit die Beurteilung der Ovarien, die heute jedoch einfacher und wesentlich genauer durch eine Ultraschalluntersuchung möglich ist.
Viele Frauen empfinden bimanuellen Untersuchung als unangenehm
Die Notwendigkeit der bimanuellen Untersuchung ist deshalb umstritten, zumal viele Frauen sie als unangenehm empfinden und die Aussicht auf ein rituelles „Abtasten“ einige sogar von der jährlichen Untersuchung abhalten könnte. In den USA ziehen die Gynäkologen häufig eine Vertrauensperson („Chaperone“) hinzu, um sich vor späteren Schadenersatzklagen zu schützen.
Diese Praxis treibt die Kosten der jährlichen Untersuchung weiter nach oben, für die Hanna Bloomfield vom Minneapolis Veterans Affairs Health Care System in Minneapolis und Mitarbeiter nach einer Auswertung von 52 Studien keine Evidenzbasis finden konnten. Die bimanuelle Untersuchung leiste keinen sinnvollen Beitrag zur Früherkennung des Ovarialkarzinoms, schreibt das Team. Es gebe keinerlei Beweis, dass die jährliche Untersuchung die Morbidität oder Mortalität von gynäkologischen Erkrankungen senke. Studien hätten zudem gezeigt, dass bis zu 60 Prozent der Frauen die Untersuchung als unangenehm bis schmerzhaft empfinden, bis zu 80 Prozent sei die Untersuchung peinlich oder die Frauen hätten Angst davor.
Früherkennung des Ovarialkarzinoms durch bimanuelle Untersuchung unwahrscheinlich
Aufgrund dieser Ergebnisse hält das American College of Physicians eine routinemäßige körperliche Untersuchung nicht mehr für notwendig. Eine Früherkennung des Ovarialkarzinoms durch die bimanuelle Untersuchung sei sehr unwahrscheinlich, zumal noch nicht einmal die wesentlich genauere Ultraschalluntersuchung, auch nicht in Kombination mit dem Tumormarker CA125, für die Früherkennung des Ovarialkarzinoms empfohlen würden. Auch eine jährliche Spekulumuntersuchung der Vagina wird nicht als notwendig erachtet, da das Pap-Screening, das nach einer Empfehlung der American Cancer Society im Alter zwischen 21 bis 65 Jahren alle drei Jahre durchgeführt werden sollte, für die Früherkennung des Zervixkarzinoms ausreicht.
Das American College of Obstetricians and Gynecologists widersprach zwar nicht direkt den wissenschaftlichen Ergebnissen der Untersuchung, ein Verzicht auf die jährliche gynäkologische Untersuchung kommt für den Verband der Frauenärzte jedoch nicht infrage. Auch wenn die Untersuchung nicht evidenzbasiert sei, habe sie sich zur Diagnose von Inkontinenzen und sexuellen Funktionsstörungen bewährt.
Sie biete dem Gynäkologen die Möglichkeit, den Frauen „die Anatomie zu erklären, sie in der Normalität zu bestätigen und spezifische Fragen zu beantworten“. Für die Gynäkologen ist der jährliche Termin eine gute Gelegenheit, andere Themen wie Brustkrebsfrüherkennung und Kontrazeption zu besprechen und die Arzt-Patientin-Beziehung zu festigen.
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